Joachim Brüser: Reichsständische Libertät zwischen kaiserlichem Machtstreben und französischer Hegemonie. Der Rheinbund von 1658, Münster: Aschendorff 2020, XII + 448 S., 31 s/w-Abb., 16 Tbl., ISBN 978-3-402-13406-1, EUR 62,00
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Tilman Haug hat 2015 in seiner Studie über die französische Krone und die geistlichen Kurfürsten darauf hingewiesen, dass der Rheinbund von 1658 noch immer keine systematische Aufarbeitung durch die "neue" Reichsgeschichtsforschung erhalten hat. [1] Diese Forschungslücke füllt jetzt die hier vorliegende Druckfassung der Tübinger Habilitationsschrift von Joachim Brüser.
Auf der Grundlage umfangreicher Akteneinsicht in den Archiven der deutschen Akteure setzt sich Brüser das Ziel, den Rheinbund als Instrument der Politik der beteiligen Reichsstände, vor allem der beteiligten mindermächtigen Reichsstände - z.B. des Fürstbischofs von Basel oder des Landgrafen von Hessen-Darmstadt - zu untersuchen. Gleichsam aus der Summe verschiedener landesgeschichtlicher Zugänge soll "in der Gesamtschau ein Beitrag zur Reichsgeschichte insgesamt erwachsen" (32).
Nachdem in einer umfangreichen Einleitung der reichsgeschichtliche Kontext skizziert wurde, rekonstruiert Brüser in sieben Kapiteln die Geschichte der Allianz, beginnend mit ihrer Vorgeschichte und Entstehung. Ausführlich werden der Gang der Verhandlungen - die Initiativen des Mainzer Kurfürsten, die französischen Initiativen bis zur Formulierung der einzelnen Vertragsartikel - vorgestellt. Probleme bereiteten die konfessionsübergreifende Konzeption des Projektes, die Rolle Brandenburgs und Schwedens als machtpolitische "Schwergewichte" des Reiches unter den potentiellen Mitgliedern, das Misstrauen gegenüber den Motiven Frankreichs und die Ungewissheit über den Ausgang der Kaiserwahl. Dennoch gelang der Abschluss des Rheinbundes am 14. August 1658 in Frankfurt, den die Kurfürsten von Köln und Mainz, der Herzog von Pfalz-Neuburg, der König von Schweden in seiner Eigenschaft als Reichsstand für Bremen und Verden sowie die drei Braunschweiger Herzöge als Gründungsmitglieder unterzeichneten. Einen Tag später folgten ihnen die Vertreter des französischen Königs.
In den Folgejahren vergrößerte sich der Bund und nahm seine Arbeit auf. Der Blick auf die Institutionen des Rheinbundes offenbart ein intensives Eigenleben der Allianz. Ein Allianzrat tagte in Frankfurt, wo auch weitere Beitritte in manchmal zähen Verhandlungen ausgehandelt wurden. Wie immer bei solchen Zusammenschlüssen gab es untereinander Streit, vor allem über die Beiträge der Mitglieder - die Zahlungsmoral war nicht immer die beste - und über den Umfang der Kontingente, die jedes Mitglied zu den Bundestruppen stellen musste.
Brüser betitelt mit "Ereignisse während des Bestehens des Bundes" die Aktionen und Interventionen des Rheinbundes innerhalb und außerhalb des Reiches; d.h. die Momente in denen sich zeigte, ob der Rheinbund handlungsfähig war. Im Wesentlichen betrafen die Interventionen des Bundes die Sicherung der Landesherrschaft seiner Mitglieder gegen zentrifugale Tendenzen, so etwa bei der Erfurter Reduktion, als die Allianz den Kurfürsten von Mainz gegen die Stadt Erfurt unterstützte, oder den Bischof von Münster in der Auseinandersetzung mit der Stadt Münster, die sich seiner der Herrschaft entziehen wollte. Sicherlich die bedeutendste gemeinsame Aktion des Bundes war die Teilnahme seiner Bundestruppen am Türkenkrieg und am Sieg gegen die Osmanen bei St. Gotthard an der Raab.
Ein besonderer Konflikt entwickelte sich zwischen dem Rheinbund und dem Kurfürsten von der Pfalz, der ihm nach längeren Verhandlungen nicht beigetreten war (vgl. 267f.). Seine exzessive Auslegung des Wildfangrechtes gegenüber seinen Nachbarn - den Hochstiften Speyer und Worms - führte fast zu einer bewaffneten Auseinandersetzung. Bemerkenswert am Konflikt war die Tatsache, dass der König von Frankreich, Mitglied der ersten Stunde, in diesem Konflikt den Pfälzer unterstützte und mit den Schweden eine Vermittlung durchsetzte. Hintergrund für diese Politik mag der Beginn der aggressiven Phase der Außenpolitik Ludwigs XIV. gewesen sein, da eine Zuspitzung des Wildfangstreits mit dem Devolutionskrieg zusammenfiel. Einen bewaffneten Konflikt an der Grenze zum Elsaß wollte Ludwig XIV. zweifellos vermeiden, um alle seine Kräfte gegen die Spanischen Niederlande bzw. gegen die Franche-Comté einsetzen zu können.
Abschließend resümiert Brüser die Bedeutung des Rheinbundes aus sechs Blickrichtungen: Im Hinblick auf die "Teutsche Libertät" - der Rheinbund als Garant der mindermächtigen Reichsstände und als Verfassungsorgan des Westfälischen Friedens, sowie als "Friedensstabilisator im Reich und Europa" (381ff.) -, als "Faktor der konfessionellen Entspannung" und als "Instrument französischer Außenpolitik" (383-386). In der Tat kann man den Rheinbund als einen Ausdruck der Experimentierfreudigkeit der Reichstände begreifen, die ihr 1648 neu ausdrücklich bestätigtes Bündnisrecht ausprobieren wollten. Darüber hinaus wird der Rheinbund zum Vehikel der Interessenswahrung der Landesherrschaft seiner Mitglieder. Zentrifugale Kräfte in den territorial zumeist zersplitterten Territorien wurden so im Zaum gehalten, wie etwa im Falle der Reduktion von Erfurt, oder im Falle von Magdeburg. In diesem Sinne wirkte der Rheinbund letztlich auch stabilisierend und stützte damit das Regelwerk des Westfälischen Friedens. Da er konfessionsübergreifend zusammengesetzt war, konnte er in diesen unsicheren ersten Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden deeskalierend wirken und das Aufbrechen der Konfliktlinien des zu Ende gegangenen Krieges verhindern.
Brüser zeichnet all diese hier nur stichwortartig angesprochen Problemkreise anhand der archivalischen Quellen aller Akteure sehr detailliert und akribisch nach. Was ein wenig fehlt, ist eine europäische Perspektive, eine stärkere Einordnung des Rheinbundes in die europäische "Nachkriegsgeschichte" von 1648: Dies betrifft vor allem die französische Perspektive, die Brüser ausdrücklich nicht näher behandelt hat (hierzu 32f.). Ganz sicher stellt der Rheinbund ein Instrument der französischen Reichspolitik dar, vor allem weil die vom Rheinbund ausgehende antikaiserliche Stoßrichtung auch ein Sicherheitsfaktor für Mazarin und das 1648 von Habsburg gewonnene Elsaß war.
Was über die gesamte Studie irritierend wirkt, sind die immer wieder eingestreuten Zitate der älteren Studien über den Rheinbund vom Ende des 19. bzw. aus dem frühen 20. Jahrhundert. Sie bleiben meist unkommentiert, obwohl sie eindeutig zeittypische Urteile transportieren - etwa hinsichtlich Frankreichs oder des Reichs im Allgemeinen. Hier scheint mir etwas mehr Distanz oder zumindest Kommentar angebracht. Sollte man die Politik des Trierer Kurfürsten von der Leyen 1658, der einen Eintritt ins Bündnis ablehnte, als Ausdruck eines "wahren, nationalen Empfinden" (210) deuten (Brüser zitiert aus einer Studie von 1914)?
Doch abgesehen davon - wer sich über die Geschichte des Rheinbundes aus der reichischen Perspektive informieren möchte, dem steht mit Brüsers Studie ein verläßliches Hilfsmittel zur Verfügung.
Anmerkung:
[1] Tilman Haug: Ungleiche Außenbeziehungen und grenzüberschreitende Patronage. Die französische Krone und die geistlichen Kurfürsten 1648-1679 (= EXTERNA. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven; Bd. 6), Köln / Weimar / Wien 2015, 89.
Sven Externbrink