Jutta Dick: Berend Lehmann. Hofjude Augusts des Starken (= Jüdische Miniaturen; Bd. 249), Berlin / Leipzig: Hentrich & Hentrich 2020, 70 S., ISBN 978-3-95565-366-8, EUR 8,90
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Berndt Strobach: Der Hofjude Berend Lehmann (1661-1730). Eine Biografie (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 26), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018, VIII + 469 S., 23 Farb-, 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-060448-1, EUR 89,95
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Rieke Buning / Beate-Christine Fiedler / Bettina Roggmann (Hgg.): Maria Aurora von Königsmarck. Ein adeliges Frauenleben im Europa der Barockzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015
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Ines Elsner: Friedrich III./I. von Brandenburg-Preußen (1688-1713) und die Berliner Residenzlandschaft. Studien zu einem frühneuzeitlichen Hof auf Reisen. Ein Residenzhandbuch, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2012
Die deutsch-jüdische Geschichte hat in den letzten Jahren die soziale Differenziertheit der jüdischen Minderheit immer stärker wahrgenommen und erforscht. Besondere Aufmerksamkeit hat dabei die Gruppe der Hofjuden gefunden, die sich durch ihren Wohlstand, ihre privilegierten Kontakte zu einzelnen Fürstenhöfen sowie ihre herausragende Stellung innerhalb der Judengemeinden auszeichneten. Ihr Stellenwert und ihre Funktionen während des 17. und 18. Jahrhunderts haben durch die Jahrhunderte verschiedene Deutungen erfahren. Diese reichen von einer Verklärung ihrer Wohltaten für die jüdischen Gemeinden, einer Überhöhung ihrer Vorreiterrolle für die Emanzipationsprozesse bis hin zu ihrer Instrumentalisierung für antisemitische Propaganda im Nationalsozialismus. Die beiden vorliegenden Titel beschäftigen sich jeweils in biographischer Form mit einem der herausragenden Vertreter dieser Gruppe der jüdischen Elite - allerdings in höchst unterschiedlichen Formaten.
Das nur wenige Seiten umfassende Heft von Jutta Dick ist erschienen in den 'Jüdischen Miniaturen', einer Publikationsreihe des Centrum Judaicum in Berlin, die Persönlichkeiten der jüdischen Geschichte einem interessierten Publikum in knapper Form vorstellt. Das reich bebilderte Bändchen überzeugt durch die Dichte der Informationen, die ausgewogenen Interpretationen im Kontext der aktuellen Forschungsliteratur sowie seine Lesbarkeit. In acht Abschnitten werden die wichtigsten familiären, geschäftlich-politischen und gemeindlichen Handlungsfelder und biographischen Stationen Berend Lehmanns erläutert. Da die Autorin von den schriftlichen, bildlichen und materiellen Überlieferungen zu seiner Person ausgeht, werden die Grenzen der Aussagemöglichkeiten durch die schwierige Überlieferungssituation sehr deutlich. Erfreulicherweise werden einige der Quellen auch vorbildlich beschrieben und dargestellt - bis hin zur Übersetzung der Inschrift seines Grabsteines. Das Literaturverzeichnis enthält - obwohl nur in Auswahl - doch die wichtigsten Schriften zu seiner Person sowie zum Phänomen des frühneuzeitlichen Hofjudentums. Die Publikation ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie komplexe historische Erkenntnisse im Format eines Sachbuches auch auf engsten Raum angemessen vermittelt werden können.
Bei ihrer Darstellung hat Jutta Dick auch auf die zweite hier zu besprechende Monographie zurückgegriffen - das wesentlich umfangreichere Buch von Berndt Strobach. Auf der Basis breiter Quellenkenntnisse und bereits publizierter eigener Vorstudien zu Teilaspekten des Wirkens von Lehmann unternimmt Strobach den Versuch einer umfassenden, kritischen Neubewertung. In der Summe ist dieses Vorhaben durchaus gelungen. Sehr erhellend ist die konsequente (De)Rekonstruktion der verschiedenen historischen Deutungen, die der Protagonist im Kontext der Entwicklungslinien der deutsch-jüdischen Geschichte durchlaufen hat. Ausführlich werden dabei die Legendenbildungen, auf die bereits Lucia Raspe [1] verwiesen hat, und welche u.a. auf die Publikation des Halberstädter Rabbiners Benjamin Hirsch Auerbach [2] im 19. Jahrhundert zurückgehen, aufgedeckt sowie die antisemitischen Deutungen durch Heinrich Schnee u.a. offengelegt. Deutlich werden dabei nicht nur die sich wandelnden Konstrukte in der historiographischen Entwicklung, sondern auch die Notwendigkeit einer quellenbasierten objektiven Darstellung. Dazu greift der Autor auf den aktuellen Forschungsstand zum frühneuzeitlichen Phänomen des Hofjudentums zurück und kontextualisiert sein Fallbeispiel dazu in überzeugender Weise. Behandelt werden ausführlich Lehmanns Geschäftsverbindungen an den sächsischen, brandenburg-preußischen und braunschweigischen Fürstenhof, die die Basis seines Erfolgs bildeten. Das differenzierte Bild seiner Geschäftstätigkeit für mehrere Fürstenhöfe zeigt die Risiken bei der Absicherung umfangreicher Kreditgeschäfte und die große Rolle, die die Erhaltung der Kreditwürdigkeit gerade auch für die jüdischen Geldhändler spielte. Deutlich wird auch die tragende Funktion familiärer und verwandtschaftlicher Netzwerke bei seiner Kredittätigkeit. Wie andere Hofjuden auch war er neben der Kreditvergabe, der Heeresversorgung und dem Handel mit Edelmetallen und Juwelen auch im Münzhandel tätig und profitierte dabei von den strukturellen Schwächen des frühneuzeitlichen Münzwesens. So eröffneten sich durch die unterschiedliche Geltung von Münzen in den verschiedenen Territorien Verdienstmöglichkeiten durch den Aufkauf von verbotenen minderwertigen Münzen und deren Verkauf an anderen Orten. Auf diese Weise verdiente Berend Lehmann an der vom kursächsischen Hof und anderen betriebenen fürstlichen Münzverschlechterung mit.
Während diese Geschäftsfelder mit all ihren Gewinnchancen und Risiken geradezu idealtypisch für die Gruppe der Hofjuden waren, ragen seine diplomatischen Aktionen unter dem Titel eines 'Residenten' des niedersächsischen Kreises im Kontext des Erwerbs der polnischen Königskrone durch Kursachsen heraus. Dabei kann der Autor Lehmanns tatsächliche Einflussmöglichkeiten relativieren und die Handlungsgrenzen der jüdischen Elite innerhalb der christlich dominierten Ständegesellschaft aufzeigen. Ein Aspekt, der auch beim Erwerb adeliger Landgüter durch Verpfändungen zum Ausdruck kommt. Begründet in quasiadeligen Prestigebedürfnissen erwies sich der Erwerb der Ländereien als wenig lukrativ. Ähnlich schwierig gestaltete sich der Erwerb von Grundstücken und die Erbauung repräsentativer Wohnhäuser. An seinen stets im zähen Ringen durchgeführten und manchmal auch gescheiterten Bauprojekten wird ersichtlich, auf welche Weise das Repräsentationsbedürfnis Lehmanns mit den Standesgrenzen seiner restriktiven nichtjüdischen Umgebung kollidierte. Erstmals wird hier nun auch sein Bankrott in seinen letzten Lebensjahren detailliert beschrieben und erklärt: Neben dem Verlust seiner Hofkontakte, anderen Konkursen in seinen Netzwerken und nichterfolgten Rückzahlungen großer Kreditsummen waren wohl auch eine nachlassende Geschäftstüchtigkeit dafür verantwortlich. Neben seiner familiären Herkunft steht dann seine umfangreiche Stiftertätigkeit für die Judengemeinde in Halberstadt im Mittelpunkt der Darstellung, die durch ihr Ausmaß besticht, aber auch typisch war für das Selbstverständnis der jüdischen Elite.
Mit dem Buch von Berndt Strobach liegt nun eine moderne, am aktuellen Forschungsstand orientierte Biographie zu einem der herausragenden Hofjuden im frühneuzeitlichen Reich um 1700 vor. Zu seinen wichtigen Handlungsfeldern werden differenzierte Erläuterungen vorgelegt und ältere, überzogene Deutungen relativiert. Ohne die Erträge des Buches insgesamt zu schmälern weist der Aufbau der Studie aber Mängel auf, die den Lesefluss stören - so sind die Darlegungen in Kapitel 10 und 11 nicht mehr systematisch und überschneiden sich. Die Überschriften treffen nicht immer den geschilderten Inhalt. Zudem finden sich immer wieder Wiederholungen der Gedankengänge und Aussagen sowie kleinere handwerkliche Fehler, die bei einem sorgfältigen Reihenlektorat hätten behoben werden können.
Anmerkungen:
[1] Lucia Raspe: Individueller Ruhm und kollektiver Nutzen. Berend Lehmann als Mäzen, in: Rotraud Ries / J. Friedrich Battenberg (Hgg.): Hofjuden. Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert, Hamburg 2002, 181-208.
[2] Benjamin Hirsch Auerbach: Geschichte der israelitischen Gemeinde Halberstadt, Halberstadt 1866.
Sabine Ullmann