Paul John Frandsen: "Let Greece and Rome Be Silent". Frederik Ludvig Nordens Travels in Egypt and Nubia, 1737-1738, Kopenhagen: Museum Tusculanum Press 2019, 216 S., 57 s/w-Abb., ISBN 978-87-635-4638-6, EUR 37,00
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Wer sich mit älteren Reisen befasst hat, weiß um die kulturgeschichtlich höchst bedeutsame Reise nach Arabien, die auf Anregung des Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis im Auftrag des dänischen Königs 1761-1767 unternommen wurde und von der Carsten Niebuhr als einziger Überlebender zurückgekehrt ist. Weniger bekannt ist dagegen, dass schon eine Generation vorher eine vom dänischen König finanzierte Reise in diese Weltgegend durchgeführt wurde. Um diese geht es hier.
Die Zusammenhänge klingen höchst phantastisch: Ein französischer Abenteurer mit Namen Pierre Joseph le Roux d'Esneval (1682?-1756) bewog den dänischen König in den 1720er Jahren zu einem Unternehmen, mit dem er diesem einen Anteil an den Piratenerträgen um Madagaskar zu sichern versprach. Er erlangte mit diesem Vorhaben zwar den Titel eines Admirals, aber es wurde nichts daraus.
Dieser Abenteurer erbot sich 1736 erneut, seine Beziehungen spielen zu lassen, um der dänischen Krone Handelsbeziehungen mit Äthiopien zu verschaffen, und er behauptete, dies im Auftrag des Königs von Äthiopien zu tun. Er versprach einen privilegierten Zugang zu einem wichtigen Hafen und lockte mit der Aussicht auf Perlen, Seide, Elfenbein, Edelsteine, Gewürze und Sklaven. Erneut gewährte Dänemark die Vorfinanzierung einer Expedition - ohne zu wissen, dass le Roux d'Esneval parallel mit dem Papst verhandelte, für den er zwei Missionare nach Äthiopien bringen wollte. Tatsächlich erhielt der Abenteurer den Auftrag, den Titel und die Mittel für eine Expedition über Ägypten nach Äthiopien, doch gab man ihm sicherheitshalber einen dänischen Marineoffizier bei, der ihn überwachen und auf eigene Hand Informationen sammeln sollte.
Dieser Mann war Frederik Ludvig Norden (1708-1742). Er hatte sich in seiner militärischen Laufbahn vor allem durch seine Zeichenkunst qualifiziert. Zur Perfektionierung dieser Fähigkeit war er auch schon auf Kosten des Königs anderthalb Jahre in die Niederlande geschickt worden. Weiterhin durfte er über Marseille nach Italien reisen. In Florenz wurde der Kontakt zu Baron Philipp von Stosch für ihn zum entscheidenden Erlebnis - derselbe Stosch, den man aus Winckelmanns Leben kennt. Stosch begeisterte Norden für Ägypten, das er zunächst aus den damals vorliegenden Publikationen mit Kupferstichen kennenlernte, während ihm Kenntnisse des Griechischen und Arabischen offenbar mangelten.
Das Zusammentreffen von Norden und le Roux d'Esneval gestaltete sich so, dass sie zwar 1737 von Livorno nach Alexandria und Kairo segelten und nilaufwärts bis Derri (zwischen dem ersten und zweiten Nilkatarakt), dort aber die Expedition aufgrund von Krankheiten und Schwierigkeiten mit der einheimischen Bevölkerung für gescheitert erklären mussten und nach Kairo zurückkehrten. Für die unvermeidlichen Missverständnisse im Zusammenprall abendländischer und orientalischer Kultur und deren Analyse aus heutiger Sicht findet man hier übrigens aufschlussreiche Ausführungen.
Nachdem der eigentliche Zweck eines direkten Handelskontakts zwischen Dänemark und Äthiopien (ohne Umsegelung Afrikas) aufgegeben worden war, unternahm Norden eine eigene Initiative, die Expedition als wissenschaftliche Forschungsreise umzudeklarieren und im Dienste der Dänischen Akademie der Wissenschaften und Künste Informationen über die alte ägyptische Kultur zu sammeln. Dies wurde genehmigt, und so entstand im Ergebnis die Publikation einer Beschreibung Ägyptens, welche die Augen Europas auf die Kopenhagener Akademie richtete und das internationale Ansehen des dänischen Königs erhöhte. Sie wurde 1755 zunächst in französischer Sprache vorgelegt, 1757 in englischer, 1779 in deutscher - und 2010 in dänischer Sprache Königin Margarethe II. zum 70. Geburtstag präsentiert.
Das hier von Paul John Frandsen vorgelegte Werk stellt in analytischer Weise die dänische Forschungsreise dar, gibt reichliche Zitate aus der englischen Ausgabe wieder, rückt sie in den Fokus heutiger Reiseforschung und präsentiert nicht weniger als 60 Kupferstiche, die aufgrund der Zeichnungen Nordens für die damalige Publikation angefertigt wurden (der Autor verstarb früh und erlebte sie nicht mehr). Die auch nach Papier, Druck und Reproduktionen höchst anspruchsvolle Publikation dokumentiert das europäische Interesse an der Kultur Ägyptens im Zeitalter der Aufklärung. Das titelgebende Zitat "Let Greece and Rome Be Silent" wurde einem Brief Nordens entnommen, in dem er die architektonischen und technologischen Leistungen der alten Ägypter über die Griechenlands und Roms stellte. Damit wird erkennbar, dass derartige Publikationen im 18. Jahrhundert auch im Kontext des Klassizismus und des vielberufenen Wettstreits zwischen den Anhängern der Antike und denen der Moderne rezipiert wurden. Frandsen bietet vergleichende Hinweise auf die französischen und englischen Ägyptenreisen (Claude Sicard 1729, Benoît de Maillet 1735, Richard Pococke 1743) und schlägt auch den Bogen zur Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts, die mit Napoleons Ägypten-Expedition und deren Dokumentation einsetzte.
Frederik Ludvig Norden übrigens ging nach seiner Rückkehr in englische Dienste. Mit einer Kritik der Pyramidographie von John Greaves (1646) erreichte er seine Aufnahme in die Royal Society in London. Er wies noch mit einer kleinen Publikation von vier Stichen auf seine eigene Reise hin (Drawings of Some Ruins and Colossal Statues at Thebes in Egypt, 1741), aber eine Gesamtpublikation seines Reisewerkes erlebte er nicht mehr. Er wurde nämlich in die Karibik geschickt und zog sich eine Tuberkulose zu, an der er 1742 in Paris verstarb.
Seine handschriftlichen und zeichnerischen Hinterlassenschaften erfuhren eine abenteuerliche eigene Geschichte, die von Frandsen ebenfalls erzählt wird. Posthum kamen sie doch noch unter die Druckerpresse, mit Hilfe des Nürnberger Stechers Carl Marcus Tuscher, der in Diensten des dänischen Königs arbeitete. Die Publikation lässt sich auch als Monument für einen meisterhaften Zeichner von Antiken verstehen, welcher die besten ästhetischen Qualitäten seiner Zeit mit hoher Genauigkeit zu verbinden wusste. Und eines kongenialen Radierers, der daraus Kunstwerke schuf.
Michael Maurer