Victoria Blud / Diane Heath / Einat Klafter (eds.): Gender in medieval places, spaces and thresholds, London: University of London Press 2019, XVIII + 265 S., ISBN 978-1-909646-84-1, GBP 40,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Anna Becker / Almut Höfert / Monika Mommertz u. a. (Hgg.): Körper - Macht - Geschlecht. Einsichten und Aussichten zwischen Mittelalter und Gegenwart, Frankfurt/M.: Campus 2020
Susan Broomhall (ed.): Authority, Gender and Emotions in Late Medieval and Early Modern England, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2015
Jürgen Sarnowsky (Hg.): Wahrnehmung und Realität. Vorstellungswelten des 12. bis 17. Jahrhunderts, Göttingen: V&R unipress 2018
Andrea Osten-Hoschek: Reform und Liturgie im Nürnberger Katharinenkloster. Die Sterbe- und Begräbnisliturgie des 15. Jahrhunderts. Edition und Kommentar, Berlin: De Gruyter 2023
Benedikt Hotz: Litterae apostolicae. Untersuchungen zu päpstlichen Briefen und einfachen Privilegien im 11. und 12. Jahrhundert, München: Utz Verlag
Der Zusammenhang zwischen Raum und Körper ist nicht nur Gegenstand physikalischer Diskussion, sondern längst auch etabliertes Thema der Gesellschafts- und Geschichtswissenschaft. Hier geht es um die Frage, wer sich einen Raum zu eigen machen kann, welche sozialen Körper die Form eines Raumes bestimmen, mit welchen Bedeutungen dieser aufgeladen wird und wie solche Bedeutungen wiederum auf die unterschiedlichen Körper einer Gesellschaft zurückwirken, sie formen, aufnehmen oder ausschließen. Als wirkmächtige Faktoren sind dabei die Genderkonstrukte zu erkennen, die noch allzu oft die unhinterfragte Zuordnung des Weiblichen zum 'Innen' und des Männlichen zum 'Außen' bewirken. Während sich beispielsweise die moderne Stadtentwicklung im Rahmen des 'Gender Planning' um die Beseitigung dieses Effektes im urbanen Raum bemüht, haben die Beteiligten des vorliegenden Sammelbandes die Raum-Gender-Beziehung als Instrument ihrer Analysen der mittelalterlichen Gesellschaft bestimmt. Ausgangspunkt dafür war die Jahreskonferenz der Gender and Medieval Studies Group im Jahr 2017 zu diesem Thema.
Als Prämisse unterstreichen die Herausgeberinnen noch einmal die Eignung der Gender-Linse für die Erforschung überlieferter Räume und Raumbeschreibungen: Ausgehend von Judith Butlers Definition von 'Gender' als einer Identität, die zeitlich instabil ist und durch eine hochstilisierte Wiederholung von Handlungen vor allem räumlich hergestellt wird, treten noch einmal ganz neue Details von Ritualen, Praktiken, Reisen, Netzwerken und Hierarchien in den Blick (1-3). Als Mechanismen der Wechselwirkung zwischen Raumgestalt und Geschlechtszuschreibung offenbaren sie in beide Richtungen kulturelle Aspekte vergangener Gesellschaften, die sonst nur schwer greifbar wären. Dazu bietet der Band zwischen Vorwort, Einleitung und Nachwort fünfzehn Artikel in vier thematischen Gruppen, die sich in der Regel auf den angelsächsischen Raum konzentrieren. Der erste dieser Abschnitte (Sacred space) ist vornehmlich den monastischen Lebensformen von Frauen gewidmet, während Abschnitt II (Going places) die Pilgerfahrt von Frauen und Männern betrifft. Abschnitt III (A woman's place?) ist hauptsächlich auf laikale Frauen ausgerichtet, Abschnitt IV (Watch this space!) hingegen auf Frauen und Männer beider Stände unter dem Aspekt des Sehens und der Sichtbarkeit.
Allen Beiträgen ist gemein, dass sie sich auf konkrete Objekte beziehen, also eine einzelne Figur, einen Text, ein bestimmtes Ensemble von Handschriften oder von archäologisch-architektonischen Bau- und Kunstgegenständen untersuchen. Mithin gelingt ein äußerst vielfältiger Einblick in die materielle Kultur des (angelsächsischen) Mittelalters, die sich auch auf eher selten betrachtete Aspekte der Lebenswirklichkeiten erstreckt und so wertvolle Anknüpfungspunkte bietet. Der ertragreiche Nutzen des gewählten Ansatzes wird vor allem deutlich in den Beiträgen von Collins (zur Archäologie irischer Frauenklöster), Bakkus (zu Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepten im Seefahrtstopos irischer Handschriften), Laidlaw (zum Konflikt des klerikalen Zölibats mit Männlichkeitskonzepten), Donohoe (zum Einsatz von hagiografischen Handschriften im Geburtsraum) und Shepherd (zur Interpretation von Fenstern und Schwellen in Klausurräumen von Frauen). Hier zeigt sich nicht nur der symbolisch aufgeladene Gebrauch von Räumen und spezifisch raumbezogenen Objekten, sondern auch die prinzipielle Konstruiertheit von Geschlechterrollen. Vor allem der mehrfach gezogene Vergleich zu anderen Gegebenheiten, sei es in anderen geografisch-sozialen Regionen oder eben für das jeweils andere Geschlecht, lässt die abstrakten Zuschreibungen hervortreten und macht gleichzeitig ihren Variantenreichtum deutlich.
Dem gegenüber stehen allerdings einige Beiträge, die überraschender Weise ganz ohne einen Bezug zu Gender und / oder Raum beziehungsweise zu den Wechselwirkungen zwischen beiden argumentieren. Auch die Zuordnung eines Artikels zum jeweiligen Abschnitt bleibt manchmal opak. Damit geht zwar nicht zwangsläufig ein Mangel des jeweiligen Artikels einher, doch stellt sich eben die Frage nach seinem Zusammenhang zur komplexen Thematik des Bandes. Hier fehlt deutlich ein komponierendes Element, dass die Beiträge in Bezug setzt und eventuell schon bei der Konzeption verhindert hätte, dass hin und wieder eine leichte Ratlosigkeit gegenüber dem eigenen Instrumentarium durchschimmert.
Wünschenswert wäre zudem auch eine stärkere Problematisierung von Gender als soziale Rolle, die übernommen, bekämpft, verkehrt oder unterwandert werden kann, denn auch in mittelalterlichen Quellen lässt sich ja das Nachdenken über und Spielen mit Geschlechterrollen erkennen. Hier ist es jedoch vor allem Gerald von Wales' bärtige Frau von Limerick auf dem Cover, die eine binäre und mit dem biologischen Geschlecht deckungsgleiche Auffassung von Gender durchkreuzt. Ein weiterer vermisster Aspekt ist der Zusammenhang von Gender und sozialem Status. Kommt die aktuelle mediävistische Frauenforschung in vielen Studien zu dem Schluss, dass ökonomische Unabhängigkeit und gesellschaftlicher Rang die Gendergrenzen für Frauen verwischen lassen konnten, finden sich hier keine vergleichbaren Folgerungen, obwohl ja gerade die Möglichkeit zur Gestaltung eines Raumes oft an die Verfügungsgewalt über Materialien und Arbeitskräfte geknüpft war und ist. Die Fragen, ob solche Aufweichungen beispielsweise auf Widerstand stießen oder ob sie auch eine Auswirkung auf Frauen niederen Ranges hatten und wenn ja, welcher Art diese gewesen sein könnte (zu denken wäre etwa an das Verhältnis zwischen Auftraggeberinnen und Arbeiterinnen), hätten mindestens in der Einleitung angerissen werden sollen. [1]
Schließlich sind unabhängig vom Thema auch ein paar handwerkliche Schwächen zu bedauern. Die Qualität der Abbildungen lässt vor allem in den kunsthistorischen Beiträgen (Heath und Wackett) häufig nur erahnen, was zu sehen sein könnte. Zudem sind einige Artikel nicht frei von eher assoziativen Argumentationsketten, in denen mehrere Aspekte angerissen, jedoch nicht wirklich eingebunden werden. Aus subjektiver Sicht der Rezensentin ist leider auch zu konstatieren, dass hin und wieder der aktuelle Forschungsstand zu Frauenklöstern und ihrer gesellschaftlichen Funktion unterlaufen wird.
Insgesamt schafft es der Band also nicht ganz, den physischen Raum als soziale Konstruktion wirklich auszuleuchten, seine Überlagerung durch intellektuelle Räume und so seine Funktion als Verhandlungsort von Geschlechterverhältnissen klar herauszustellen. Mit dieser eher zaghaften Demonstration dürften an den Vorteilen von Gender als Instrument historischer Forschung Zweifelnde nur schwer zu überzeugen sein. Von anderen aktuellen Diskussionen bereits Überzeugte werden hingegen mehrere Anwendungsbeispiele finden, die trefflich zum Vergleich und zur Fortsetzung in weiteren Studien anregen.
Anmerkung:
[1] Sehr gut gelungen ist dies beispielsweise in dem Sammelband: Women Intellectuals and Leaders in the Middle Ages, ed. by Kathryn Kerby-Fulton / Katie Bugyis / John van Engen, Cambridge 2020.
Lena Vosding