Bernd Wegner: Das deutsche Paris. Der Blick der Besatzer 1940-1944, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, XI + 259 S., 38 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-78055-3, EUR 39,90
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Kersten Knipp: Paris unterm Hakenkreuz. Alltag im Ausnahmezustand, Darmstadt: wbg Theiss 2020, 472 S., 31 s/w-Abb., ISBN 978-3-8062-4109-9, EUR 28,00
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Zygmunt Klukowski: Tagebuch aus den Jahren der Okkupation 1939-1944. Hrsg. von Christine Glauning und Ewelina Wanke, Berlin: Metropol 2017
Hagen Fleischer: Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert. Übersetzung aus dem Griechischen von Andrea Schellinger, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2020
Klaus Kellmann: Dimensionen der Mittäterschaft. Die europäische Kollaboration mit dem Dritten Reich, 2., durchgesehene Auflage, Wien: Böhlau 2019
Zwei neue Monografien reihen sich in die Fülle an Forschungsliteratur zur deutschen Besatzung Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs ein: "Das deutsche Paris" des Historikers Bernd Wegner und "Paris unterm Hakenkreuz" aus der Feder des Journalisten Kersten Knipp.
Bereits mit dem Untertitel seines Werkes "Der Blick der Besatzer 1940-1944" markiert Wegner die Perspektive, aus der er in seinem Buch die deutsche Besatzungsgeschichte beschreibt. In nicht weniger als 19 Kapiteln lässt er eine Fülle von Quellen sprechen, um die diversen Erfahrungen deutscher Soldaten und ziviler Angehöriger der Besatzungsmacht in Paris zwischen 1940 und 1944 möglichst breit aufzuzeigen. Insofern erinnert sein Werk an das Buch von Jeanne Guérout, Aurélie Luneau und Stefan Martens [1], wobei sich Wegner auf die französische Hauptstadt beschränkt.
In Form einer "dokumentarischen Collage" (X) breitet der Autor Erinnerungen und Erlebnisse aus. Seine Ziele sind nicht Vollständigkeit oder Repräsentativität, er möchte vielmehr die Bandbreite der Erfahrungen abbilden. Für seine Darstellung greift Wegner auf Feldpostbriefe und Tagebücher ebenso wie auf Zeitungen, Broschüren, Filme und Fotos oder Abhörprotokolle der Alliierten zurück. Das Buch ist thematisch nach den unterschiedlichen Erfahrungen strukturiert. Welche Themen in den einzelnen Abschnitten jeweils behandelt werden, wird aber erst während der Lektüre deutlich, da die Kapitelüberschriften aus Quellenzitaten bestehen. Wegner behandelt die Wohnsituation, das Essen, das Feiern, die Unterhaltungskultur, die sexuellen Abenteuer und Beziehungen, aber auch die Angst vor Luftangriffen sowie individuelle Zweifel, die bis zur Desertion führen konnten. Diese unterschiedlichen Erfahrungen sind in seinem Buch weitgehend chronologisch geordnet - vom ersten Kontakt der deutschen Besatzer mit der Pariser Bevölkerung bis zur Befreiung und Übergabe der Stadt an die Alliierten und der folgenden Kriegsgefangenschaft der deutschen Besatzungssoldaten.
Mit Abstand am weitesten verbreitet war die oberflächliche Erfahrung des touristischen Sightseeings - die meisten Soldaten, so Wegner, hätten Paris als "Kriegstouristen" (198) erlebt. Dies ist dadurch zu erklären, dass sich die meisten nur wenige Tage dort aufhielten und nur ein kleiner Teil von ihnen im Zentrum der Stadt untergebracht war. Neben diesem Typus macht der Autor vier weitere Kategorien aus: den "desinteressierten Landser", den "Abenteurer", den "Bildungsbürger" und den "Flaneur" (198 f.).
Insgesamt lebt Wegners Buch von der Fülle der Quellen und der Nähe zu ihnen. Der Fokus auf das "deutsche Paris" - Mythos und Symbol - als Erfahrungsraum der Besatzungssoldaten lässt das bereits gut erforschte "französische Paris" zwischen 1940 und 1945 in den Hintergrund treten. Das entspricht auch den oberflächlichen Erfahrungen der deutschen "Kriegstouristen", die mit ihren ganz unterschiedlichen Erwartungen - und oft mit Klischees und Vorurteilen beladen - in die französische Metropole kamen, hinter denen das "französische Paris" mehr oder weniger verschwand.
Im Gegensatz zu Wegner - und entgegen dem plakativen Titel "Paris unterm Hakenkreuz" - widmet sich Kersten Knipp in seiner Monografie nicht nur der Stadt an der Seine, sondern ganz Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Dabei fasst der Autor anhand verschiedener thematischer Schwerpunkte die bisherige Forschung zu (Vichy-)Frankreich zwischen 1940 und 1944 für eine breitere, historisch interessierte Leserschaft zusammen. Sein Buch gliedert sich in fünf unterschiedlich lange Abschnitte, die chronologisch geordnet sind. Im ersten und zweiten Teil beschreibt Knipp die (Vor-)Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Frankreich, die dort zwischen den 1930er Jahren und der Niederlage im Juni 1940 vorherrschende Stimmung, den Exodus der Franzosen aus dem Norden auf der Flucht vor den deutschen Truppen in Richtung Süden sowie die ersten Erfahrungen mit den Besatzern. In den beiden folgenden Kapiteln richtet der Autor sein Augenmerk dann vermehrt auf einzelne Akteure. So behandelt er im dritten Teil seines Buches das Vichy-Regime vor allem anhand der Person von Marschall Pétain. Im folgenden Kapitel beschreibt Knipp den Aufbau und die Entwicklung des französischen Widerstands sowie den Kampf gegen die Besatzer (hier vor allem gegen Klaus Barbie) und stellt dabei erneut einzelne Führungspersönlichkeiten wie Charles de Gaulle oder Jean Moulin ins Zentrum seiner Darstellung. Im letzten Teil seines Buches thematisiert der Autor den französischen Umgang mit der Kollaboration (épuration) und die daraus resultierenden innerfranzösischen Auseinandersetzungen nach der Befreiung durch die Alliierten. Ein kurzer Ausblick auf die französische Erinnerungskultur mit einem Schwerpunkt auf der Rolle des Landes im Holocaust rundet das Buch ab.
Seinem eingangs gestellten Anspruch entsprechend präsentiert Knipp ein breites Panorama der Erfahrungen während der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. Dabei stützt er seine Darstellung vorwiegend auf deutsche sowie französische Forschungsliteratur und greift nur vereinzelt auf gedruckte Quellen sowie Memoiren zurück. Anders als bei Wegner, der dezidiert den deutschen Blick in den Mittelpunkt stellt, fehlt diese Perspektive bei Knipp, der die deutschen Besatzer nur kursorisch behandelt - etwa mit Schlaglichtern auf die Waffen-SS-Division "Das Reich" oder auf den Gestapo-Offizier Klaus Barbie, besser bekannt als "Schlächter von Lyon".
Beide Bücher sind sehr anschaulich geschrieben, gut lesbar und durch zahlreiche Schwarz-Weiß-Bilder illustriert. Beide Autoren präsentieren in ihren Werken ein breites Panorama an Erfahrungen aus der Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs - jedoch auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Während der Historiker Bernd Wegner mit dem spezifischen Fokus auf das "deutsche Paris" zahlreiche (Archiv-)Quellen sprechen lässt, hat der Journalist Knipp eine auf der bisherigen Forschung basierende, sehr anschauliche Überblicksdarstellung vorgelegt, die sich gut als Einstieg in die Materie eignet.
Anmerkung:
[1] Vgl. Jeanne Guérout / Aurélie Luneau / Stefan Martens: Comme un Allemand en France. Lettres inédites sous l'Occupation 1940-1944, Paris 2016.
Isabella Radmann