Jörg van Norden / Thomas Must / Lars Deile et al. (Hgg.): Geschichtsdidaktische Grundbegriffe. Ein Bilderbuch für Studium, Lehre und Beruf, Seelze: Klett Kallmeyer 2020, 152 S., 65 Farbabb., ISBN 978-3-7727-1432-0, EUR 25,95
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Christina Brüning / Lars Deile / Martin Lücke (Hgg.): Historisches Lernen als Rassismuskritik, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2016
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Lars Deile / Frank Oliver Sobich: Arbeitsblätter im Geschichtsunterricht. Konzeption und Einsatz, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014
Die Zusammenstellung, Kennzeichnung und Erläuterung geschichtsdidaktischer Grundbegriffe in einer kompakten und zugänglichen Form kann bei Studierenden sowie bei Lehrenden in der Schulpraxis oder der Universität auf dankbares Interesse treffen. Vorhaben dieser Art erfordern von den Autoren/innen vielfältige konzeptionelle und inhaltliche Abstimmungen und nicht selten Kompromisse. Der Diskurs über das Spektrum der jeweils maßgeblichen Grundbegriffe begleitet die Entwicklung einer Disziplin und unterliegt einem kontinuierlichen Wandel. Die semantische Klärung der Begriffe, deren geschichtsdidaktische Perspektivierung, der Abgleich mit der Fachwissenschaft sowie die Aktualisierung und Erweiterung des Begriffsrepertoires waren und sind eine ständige Herausforderung für die Geschichtsdidaktik bzw. für die Gestaltung und Aktualisierung der Nachschlagewerke. [1] Ein innovatives Konzept auf diesem Gebiet verfolgen die sechs Verfasser/- und Herausgeber/-innen mit ihrem Band "Geschichtsdidaktische Grundbegriffe". Bereits der Untertitel, "Ein Bilderbuch für Studium, Lehre und Beruf", gibt den entscheidenden Hinweis auf den unkonventionellen Ansatz: Texterläuterungen zu den Grundbegriffen der Geschichtsdidaktik werden mit ikonographischen Erzeugnissen in Verbindung gestellt.
Herausforderungen der Geschichtsvermittlung mit darauf abgestimmten ikonographischen Systemen zu verknüpfen, ist grundsätzlich nicht neu. Man denkt vielleicht zunächst an Johannes Buno (1617-1697) der einen Kanon schwer zugänglicher Universalgeschichte mittels komplex illustrierter Tafeln didaktisierte und damit zum Pionier der emblematischen Lehrmethode wurde. [2] Doch während es bei Bunos Bebilderung um Personen, Ereignisse und genetisch-chronologische Zusammenhänge ging, zielen die Verfasser/innen der "Geschichtsdidaktische[n] Grundbegriffe" auf "visuell-ästhetische" (6) Assoziationen, die in Verbindung zu den jeweils formulierten Begriffserläuterungen vorgenommen werden sollen. Bei dieser Verbindung aus "Wörterbuch und Bilderbuch" sollen "Text und Bild miteinander - und mit den Leser*innen" (ebd.) in Dialog treten.
Auf den 130 Seiten des aufwendig gestalteten und vierfarbig gedruckten Bandes wird eine Auswahl von insgesamt 65 in der Geschichtsdidaktik verwendeten Begriffen, von A wie "Alterität" bis Z wie "Zukunft" behandelt. Jeder ausgewählte Terminus wird jeweils auf einer Doppelseite thematisiert. Die schriftliche Begriffserläuterung umfasst dabei eine breite Spalte auf der linken Buchseite, während die darauf bezogene Abbildung, lediglich ergänzt um Zählung und Kurztitel, zentral auf die rechte Buchseite platziert wurde. Am Bundsteg der linken Textseite findet sich jeweils eine schmale Spalte mit einem ergänzenden Kurzkommentar, der durchgehend mit der Überschrift "Ansichtssachen" betitelt ist. Diese Kurzerläuterungen sollen dazu anleiten, einen Bezug zwischen der Begriffserläuterung sowie der genau zu betrachtenden Abbildung herzustellen, gedacht als Hilfestellung, "die Aufmerksamkeit für die Details der Bilder zu schärfen" (ebd.). Diese "Ansichtssachen" stammen jeweils von einem anderen Mitglied des Autorenteams als der Haupttext zum Grundbegriff. Unter dieser Spalte finden sich Querverweise zu verwandten Begriffen des Bandes. Zur leichteren Orientierung verfügt der Hauptteil über ein alphabetisches Register am rechten Seitensteg.
Die verwendeten Abbildungen enthalten Bilderzeugnisse oder Objekte unterschiedlichster Art und Herkunft. Neben Reproduktionen historischer oder moderner Bildvorlagen (Gemälden, Karikaturen, Karten, Plänen, Buchseiten, Plakate, Briefmarken, Fotos, Symbole etc.) finden sich Abbildungen von historischen oder aktuellen Objekten (Architektur, mobile Gegenstände, Natur etc.). Einzelne der Bildvorlagen wurden sogar von den Verfassern/innen des Bandes selbst erstellt oder arrangiert (17, 27, 29, 33, 67, 101). Das angehängte Literaturverzeichnis wurde abschnittweise nach den behandelten Grundbegriffen geordnet und weist jedem Begriff drei bis sechs Literaturtitel zu (138-151). Ein Stichwortverzeichnis (152-155) enthält neben den eigens behandelten Grundbegriffen noch zahlreiche weitere wichtige Begriffe der Geschichtsdidaktik mit entsprechenden Seitenverweisen auf den Hauptteil.
Ohne, dass der Anspruch auf die Formulierung eines Kanons erhoben wird, bildet die betont "subjektive" Auswahl der Grundbegriffe ein breites Spektrum zentraler Begriffe und Kategorien ab, die laut Vorwort "besonders kontrovers Verwendung finden" (6). Die inhaltlichen Zugriffe bei der Umsetzung erfolgen dem Anspruch nach ebenfalls "subjektiv" (ebd.) und verlagern sich von jeweils knappen Kennzeichnungen auf problematisierende Überlegungen und exemplarische Erläuterungen zum jeweiligen Grundbegriff. Ein Artikel zum Begriff "Empirie" von Peter Riedel problematisiert beispielsweise Möglichkeiten und Grenzen quantitativer Zugriffe in der Geschichtsdidaktik (26). In der Spalte "Ansichtssache" formuliert Jörg van Norden dazu Überlegungen zur scheinbaren Verlässlichkeit des quantitativen Arbeitens. Das zugeordnete Bild, ebenfalls von Peter Riedel, trägt den Titel "Geschichtsbewusstsein" (27). Es besteht aus einer hochformatigen weißen Seite, die vollständig mit in Zeilen aufgelisteten Ziffern bedeckt ist. Beim genauen Hinsehen, auf der Suche nach dem Sinn der Darstellung, entdeckt der Betrachter unter den Ziffern auch einzelne Buchstaben, aus denen sich, in die richtige Reihenfolge gebracht, der Begriff "Geschichtsbewusstsein" bilden lässt, welches man bekanntlich weder wiegen, messen, noch zählen kann.
Die Auswahl der behandelten Begriffe ließe sich hinterfragen, erweitern oder differenzieren. Trotz der für das Vorhaben zentralen Bedeutung der Bilddokumente, findet sich allerdings keine Auseinandersetzung mit dem Begriff "Bildquelle", der geschichtsdidaktischen Verwendung von Bilddokumenten als "Quelle und Darstellung" oder sonstige speziell auf die Auseinandersetzung mit ikonographisch kodierten Erzeugnissen in der Geschichtsdidaktik gerichteten Beiträge.
Der Band, der seinem Anspruch nach kein bewährtes geschichtsdidaktisches Handbuch ersetzen will (6), kann sicher in verschiedensten Zusammenhängen und mit unterschiedlichen Intentionen - allemal auch außerhalb des Faches Geschichtsdidaktik - Verwendung finden. Ob sich zwischen sprachlichem und ikonographischem Ausdruck weit mehr als lediglich "Unschärfen" (ebd.) oder schlichtweg Beliebigkeit einstellt, mag beim Geschick der Anwender/innen liegen. Den Studierenden, die bei ihrer wissenschaftsorientierten Ausbildung beim Reflektieren, Verstehen und Hinterfragen geschichtsdidaktischer Grundbegriffe nach Klärung suchen, bleibt allerdings zu wünschen, den vorliegenden visuell-ästhetische Zugang kritisch wahrzunehmen und einem reflektierten Umgang mit der klassischen Handbuchkultur die Präferenz zu geben. Hinsichtlich einer Verbindung zwischen 'Wörterbuch und Bilderbuch' wäre jedoch denkbar, dass sich der einleitend skizzierte Fachdiskurs über die Grundbegriffe stärker der Möglichkeiten einer didaktisierten Visualisierung semantischer Strukturen und sachlicher Verknüpfungen annehmen würde. Dies könnte Studierenden und Lehrkräften den Zugang zu den Grundbegriffen der Geschichtsdidaktik entscheidend erleichtern. Bunos Grundanliegen einer didaktischen Visualisierung bleibt hier aktuell.
Anmerkungen:
[1] Vgl.: Ulrich Mayer / Hans-Jürgen Pandel / Gerhard Schneider / Bernd Schönemann: Wörterbuch Geschichtsdidaktik, 3. Auflage, Schwalbach/Taunus 2014 und [angekündigt] 4. erweiterte und aktualisierte Auflage, Frankfurt/Main 2021.
[2] Johannes Buno: Tabularum M[n]emonicarum Historiam Universam - cum profanum tum Eccliasticum, Lüneburg 1662.
Michael Wobring