Kathrin Klausmeier: So eine richtige Diktatur war das nicht... Vorstellungen Jugendlicher von der DDR. Geschichtspolitische Erwartungen und empirische Befunde (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 20), Göttingen: V&R unipress 2020, 426 S., 20 Abb, 70 Tbl., ISBN 978-3-8471-1203-7, EUR 60,00
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DDR? Oje! Frage ich meine Studierenden an einer schwäbischen für das Lehramt ausbildenden Hochschule, was sie von der DDR wissen - in der Regel haben die Befragten Abitur - sind die Ergebnisse meistens desaströs. Walter Ulbricht, Hammer und Zirkel? Alles unbekannt. Wie soll es da erstmal bei SchülerInnen aussehen?
Diese berechtigte Frage stellte sich vermutlich auch Kathrin Klausmeier vor Beginn ihres Dissertationsprojekts, in dessen Zentrum die Erhebung und Analyse von SchülerInnenvorstellungen von der DDR stehen. Allerdings konzentriert sich die Studie hauptsächlich auf thüringische GymnasiastInnen mit ausgewählten Kontrollgruppen, bestehend aus thüringischen BerufsschülerInnen und GymnasiastInnen aus Nordrhein-Westfalen. Es überrascht tatsächlich, dass daraus kein eigenständiges Kapitel zum Ost-West-Vergleich entstand. "Stattdessen sind die GymnasiastInnen in Thüringen den Lernenden in NRW in ihrem Urteil über die DDR in einigen Punkten ähnlicher als den thüringischen Berufsschülern" (367). Auch, wenn Deutschland mental immer noch als geteiltes Land bezeichnet werden kann, gleichen sich scheinbar zumindest Einschätzungen zur DDR langsam an, während Unterschiede in den Bildungsabschlüssen mehr ins Gewicht fallen.
Bevor aber auf die Ergebnisse der Studie eingegangen werden soll, soll der Aufbau näher betrachtet werden. Zunächst steckt Kathrin Klausmeier den theoretischen Rahmen des Projektes ab. Es werden verschiedene Modelle und Erklärungsansätze der Geschichtsdidaktik, die für das bearbeitete Thema relevant sind, erläutert und in Zusammenhang zueinander gestellt. Die Autorin, praxiserprobte Lehrerin, verliert dabei den Blick auf die schulische Realität nicht, sondern setzt sich durchaus kritisch mit den oft genug arg akademischen Theoremen der Geschichtsdidaktik auseinander. Besonders deutlich wird dies im zweiten Kapitel, in dem sie den aktuellen Forschungsstand zur empirischen Bildungsforschung darstellt. Die Befunde werden kurz vorgestellt und im Kontext der jeweiligen Entstehungszeit und Fragestellung eingeordnet. Dabei werden Desiderate deutlich herausgestellt. So konzentrieren sich die meisten Studien beispielsweise auf vermeintliches 'historisches Wissen'. Dass es so etwas wie einen verbindlichen 'Fakten-Kanon' aber nicht gibt beziehungsweise gar nicht geben kann, wird nicht nur nicht berücksichtigt, sondern 'verfälscht' aus didaktischer Sicht die Ergebnisse vieler Studien. [1] Hierin unterscheiden die genannten Studien sich grundlegend von Klausmeiers Vorgehen, die dankenswerterweise immer von 'Vorstellungen' und nicht von 'Wissen' spricht. Ebenso kritisiert sie die "fehlende Repräsentativität" und die "Nicht-Validität der Fragebögen" (117) einiger Studien. [2]
Kathrin Klausmeier möchte mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur Beantwortung der von ihr behaupteten offenen Forschungsfragen leisten. Ihre Methodik beschreibt sie ausführlich in Kapitel vier. Diese besteht hauptsächlich aus standardisierten Fragebögen, die von 700 thüringischen GymnasiastInnen der elften Jahrgangsstufe beantwortet wurden, sowie aus neun problemzentrierten Einzelinterviews. Um Hypothesen zur Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Bildungsabschlüssen sowie zwischen Ost und West aufstellen zu können, wurden jeweils dieselben Fragebögen mit Vergleichsgruppen bearbeitet. Dafür wurden thüringische BerufsschülerInnen mit Ausbildungsplatz sowie GymnasiastInnen aus Nordrhein-Westfalen befragt.
Besonders das Kapitel sieben, die Analyse der festgestellten Vorstellungen Jugendlicher über die Realität der DDR, ist sehr aufschlussreich. Es gelingt Klausmeier, bisher bestehende Ergebnisse zu korrigieren beziehungsweise zu differenzieren. So konnte herausgearbeitet werden, dass Themen wie 'soziale Absicherung' oder 'Kinderbetreuung' häufig mit Gesprächen innerhalb der Familie verbunden werden. Die familiären Gespräche können aber nicht per se als Entschuldigung für eine 'Romantisierung' gelten. Vielmehr weisen in der Studie auch Themen, wie 'Diktatur und Repression' eine hohe Korrelation zum Familiengedächtnis auf (256). Es scheint fast so, als ginge mit der Häufigkeit der Familiengespräche auch eine Betonung der sozialen Themen gegenüber diktatorischen Elementen einher. Mit dieser These knüpft sie an Erkenntnisse an, die beispielsweise schon zum Thema Nationalsozialismus eruiert wurden. [3]
Ein zentrales Ergebnis der Studie lautet, dass unter den Jugendlichen keine komplette Romantisierung der DDR zu finden sei, da "nahezu alle Jugendlichen um die fehlenden freiheitlich-demokratischen Rechte und die Repressionen in der DDR wissen und diese ablehnen" (366). Trotzdem werden, besonders von thüringischen Jugendlichen, bestimmte Elemente, wie der behauptete gesellschaftliche Zusammenhalt oder die vermeintliche soziale Absicherung in der DDR als besondere Leistungen hervorgehoben. Kathrin Klausmeier sieht hier einen Bezug zur Gegenwart. Denn gerade hierin spiegeln sich Ängste, die Jugendliche wahrnehmen (276f.). Gleichzeitig finden sich aber auch interessante Parallelen zu gewissen rückblickend exkulpierenden Behauptungen, die bis heute mit Blick auf die Jahre 1933-1945 von Menschen aller Altersgruppen angestellt werden.
Besonders ertragreich erscheinen die Vergleiche der unterschiedlichen Referenzgruppen. Gerade Unterschiede zwischen BerufsschülerInnen und GymnasiastInnen machen deutlich, dass die Curricula der Schularten angepasst werden müssen. Das seit den 1990er Jahren flächendeckend eingeführte 'Totalitarismusmodell' scheint gerade unter thüringischen SchülerInnen nicht geeignet zu sein, um ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein zur DDR zu fördern. Stattdessen verstärkt es das Gefühl einer "Sieger-Verlierer-Struktur" (370) noch eher. Klausmeier bietet auf der Grundlage ihrer Ergebnisse, die sicherlich aufgrund der geringen Anzahl der befragten BerufsschülerInnen weiterer Forschung bedürfen, erste Ideen an, wie die Curricula verändert werden müssten. Für sie ist eine dezidierte Auseinandersetzung mit Begrifflichkeiten - zum Beispiel 'Diktatur' oder 'Unrechtsstaat' - essentiell, um gerade auch historische Komplexe wie 'DDR' und 'Nationalsozialismus' korrekt einordnen und einen kritischen Blickwinkel einnehmen zu können. Gleichzeitig erscheinen die Vorstellungen, die in der Studie identifiziert werden konnten, als idealer Ausgangspunkt, um das bestehende Geschichtsbewusstsein reflektieren zu können. In den problemorientierten Interviews zeigt Klausmeier eine didaktische und methodische Möglichkeit auf, die erfolgversprechend zu sein scheint.
Die Dissertation von Kathrin Klausmeier zeichnet sich durch eine breite didaktische Fundierung sowie eine sinnvolle Einordnung der empirischen Befunde aus. Dass gerade im Vergleich einzelner Schularten in Ost und West der Mehrwert der Studie liegt, wird im Laufe des Buches deutlich. Wie Klausmeier schreibt, besteht hier deutliches Vertiefungspotential für weitere Studien, um auch diese Ergebnisse vergleichbarer werden zu lassen. Ebenso wird es spannend sein, zu beobachten, welche konkreten Umsetzungsideen für den Unterricht sich daraus in den kommenden Jahren entwickeln.
Anmerkungen:
[1] Wie zum Beispiel der Schroeder-Studie aus dem Jahr 2008: Monika Deutz-Schroeder / Klaus Schroeder: Soziales Paradies oder Stasi-Staat? Das DDR-Bild von Schülern - ein Ost-West-Vergleich, Stamsried 2008.
[2] Ebendiese.
[3] Vergleiche Harald Welzer / Sabine Moller / Karolin Tschuggnall: "Opa war kein Nazi". Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002.
Carolin Hestler