Rezension über:

Constanze Knitter: Städtepartnerschaften zwischen Frankreich und der DDR (1959-1990). Akteure, Ziele und Entwicklungen (= Transformationen - Differenzierungen - Perspektiven. Mainzer Studien zur Neuzeit; Bd. 10), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2023, 456 S., ISBN 978-3-631-90737-5, EUR 69,95
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Rezension von:
Christian Rau
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Christian Rau: Rezension von: Constanze Knitter: Städtepartnerschaften zwischen Frankreich und der DDR (1959-1990). Akteure, Ziele und Entwicklungen, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 1 [15.01.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/01/39081.html


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Constanze Knitter: Städtepartnerschaften zwischen Frankreich und der DDR (1959-1990)

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Partnerschaften zwischen französischen und DDR-Städten waren schon mehrfach Gegenstand politik- und geschichtswissenschaftlicher Studien. Diese Partnerschaften erlebten ihre Blütezeit in den 1960er Jahren, als viele kommunistische Bürgermeister in Frankreich und lokale Vertreter des SED-Regimes gleiche Interessen teilten. Sie kämpften gegen die westdeutsch-französische Annäherung und warben zugleich für eine diplomatische Anerkennung der außerhalb der sowjetischen Einflusssphäre isolierten DDR. Obwohl all dies bekannt ist, kann Constanze Knitter in ihrer Dissertation neben bereits gut erforschten Themen noch einige weniger bekannte Aspekte in den Fokus rücken. Das gelingt ihr erstens durch die Langzeitperspektive. So untersucht sie sieben Fallstudien im Licht der ostdeutsch-französischen Beziehungen synchron zu den Dynamiken des Kalten Krieges (Konfrontation und Entspannung) und seines Endes 1989. Zweitens erweist der vergleichs- und verflechtungsgeschichtliche Ansatz seinen Mehrwert. Dadurch werden Eigendynamiken der partnerschaftlichen Beziehungen jenseits außenpolitischer Interessen und die Grenzen der SED-Diktatur sichtbar. Dazu hat die Autorin Dokumente aus 16 nationalen und lokalen Archiven sowie Pressequellen aus Deutschland und Frankreich ausgewertet und sieben Interviews, allerdings nur mit Beteiligten aus Frankreich, geführt.

Die fünf Kapitel sind thematisch geordnet, was Vor- und Nachteile birgt. So lässt sich Kapitel 3, das die Akteure der Partnerschaftsbeziehungen in den Blick nimmt, auch als eine Art Handbuch-Kapitel lesen. Weiterführende Studien werden davon profitieren. Der Nachteil ist jedoch, dass die außenpolitischen Rahmenbedingungen (Kapitel 2), die Akteure der Partnerschaften (Kapitel 3) und die Inhalte sowie Praktiken der Städtepartnerschaften (Kapitel 4) getrennt voneinander behandelt werden, was nicht nur zu Redundanzen führt, sondern auch inhaltliche Abschweifungen befördert. So ist das zweite Kapitel viel zu umfangreich geraten, zumal die Darstellung des Manövrierens und Taktierens im Dreiecksverhältnis zwischen der Bundesrepublik, der DDR und Frankreich überwiegend aus der Forschungsliteratur erarbeitet wurde und keine neuen Zusammenhänge präsentiert werden. Ob etwa der erwähnte Kompetenzgewinn französischer Städte in den 1980er Jahren Auswirkungen auf die Partnerschaftsbeziehungen zur DDR hatte, wird nicht beleuchtet. Auch Kapitel 3 zeigt trotz der Vorteile der handbuchartigen Darstellung mit Blick auf die Studie von Knitter einige Schwachstellen. So werden manche Akteure wie die Fédération mondiale des villes jumelées recht ausführlich vorgestellt, obwohl sie im Verlauf der Studie keine große Rolle mehr spielen. Letztlich muss jeder Fall für sich betrachtet werden. Nicht alle Akteure waren an allen Partnerschaftsbeziehungen beteiligt und auch die Art der Beteiligung variierte von Fall zu Fall. Jedoch werden diese Dynamiken im Verlauf der Arbeit nicht systematisch verfolgt, was den Nutzen von Kapitel 3 für die Studie zusätzlich schmälert. Es irritiert, dass die Staatssicherheit in diesem Kapitel nicht als Akteur aufgeführt wird, obwohl ihre Rolle später noch einmal gesondert betrachtet, gleichwohl als nicht herausgehoben eingeschätzt wird. Zudem führt die Feingliederung des Kapitels bisweilen zu Verzerrungen, etwa wenn das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) als parteilicher Akteur dem Zentralkomitee der Parti communiste français (PCF) gegenübergestellt wird, obwohl ersteres auch als staatlicher Akteur fungierte. Den unterschiedlichen Staatskonzepten wird hier zu wenig Rechnung getragen.

Das erst auf Seite 137 beginnende Kapitel 4, das sich auf über 200 Seiten mit den Inhalten und Praktiken von Städtepartnerschaften befasst, bildet den Kern der Untersuchung. Zunächst stellt Knitter die sieben Fallstudien vor und beleuchtet die unterschiedlichen Entstehungskontexte der Partnerschaften. Dabei zeigt die Autorin, dass es für die Praxis und Wahrnehmung der Akteure unerheblich war, ob die Partnerschaften offiziellen oder inoffiziellen Charakter hatten. Instruktiv ist vor allem das Beispiel Drancy/Eisenhüttenstadt, wo auch Konkurrenzen der französischen NS-Opferverbände eine wichtige Rolle spielten. Überhaupt spielten neben gemeinsamen Feindbildern auch gemeinsame Erinnerungsmythen vom kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, zum Teil auch gemeinsame Erfahrungen in der Résistance, eine herausragende Rolle für das Eingehen und die Praxis der Städtepartnerschaften. Für die DDR-Führung waren die kommunalen Beziehungen mit Frankreich in den 1960er Jahren Erfolgsmomente. Es gelang, die Partner in politische Kampagnen gegen die Bundesrepublik zu involvieren, sie zum Protest gegen Maßnahmen des französischen Außenministeriums zur Verhinderung von Einreisen ostdeutscher Delegationen zu bewegen, positive Bilder über die DDR zu verbreiten und sogar, ostdeutsche Politiker als Nicht-Offizielle getarnt nach Frankreich einreisen zu lassen.

Doch letztlich spielten Städtepartnerschaften keine entscheidende Rolle bei der Herstellung offizieller diplomatischer Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR. Den Weg ebneten vielmehr die neue Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung und der Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten 1972. Dennoch, so Knitter, sei die kommunale "Außenpolitik 'von unten'" nicht bedeutungslos gewesen. Sie habe der "DDR-Führung mehr Visibilität in Frankreich" (218) verschafft. Wie genau diese Visibilität jedoch mit den außenpolitischen Entscheidungen zusammenhängt, arbeitet Knitter nicht heraus. So ergibt sich der Eindruck, dass kommunale Außenpolitik und zwischenstaatliche Diplomatie bei aller Verflechtung in Frankreich am Ende doch eher getrennte Sphären blieben.

Nach der diplomatischen Anerkennung der DDR durch Frankreich 1973 sollten die Städtepartnerschaften der weiteren Festigung der zwischenstaatlichen Beziehungen dienen. Doch mit der Liberalisierung des Reiseverkehrs wuchsen auch die Erwartungen der französischen Partner nach Reziprozität und einem Mehr an fachlichem und persönlichem Austausch, denen die DDR aber aus sicherheitspolitischen und finanziellen Gründen nicht entgegenkam. Damit wuchsen die Spannungen zwischen den Partnerstädten über Formen und Zweck des Austauschs, aber es kam auch zu nicht intendierten persönlichen Kontakten, wie Knitter an zahlreichen Beispielen aus der Praxis zeigt. Obwohl parallel dazu auch die Staatssicherheit stärker in die Partnerschaftsorganisation eingriff, bleibt am Ende offen, inwieweit abweichendes Verhalten bei ostdeutschen Beteiligten Sanktionen nach sich zog.

Im Ausblick (Kapitel 5) verfolgt Knitter die Entwicklung der ostdeutsch-französischen Städtepartnerschaften nach dem Mauerfall. Dabei betont sie die neuen Möglichkeiten, aber auch personelle und inhaltliche Kontinuitäten. Mehr noch weist sie darauf hin, dass das Ende des Kalten Krieges keinen neuen Städtepartnerschaftsboom auslöste. Französische Städte hatten sich seit den 1980er Jahren zunehmend auf westeuropäische Städte konzentriert, um den forcierten europäischen Integrationsprozess zu unterstützen. Eine vergleichbare Dynamik im Hinblick auf Ostdeutschland/Osteuropa nach 1989 blieb dagegen aus. Obwohl das Buch einige Schwachstellen, vor allem in der Gliederung, aufweist, stellt es mit seiner Langzeitperspektive und seinem vergleichs- und verflechtungsgeschichtlichen Ansatz einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Städtepartnerschaftsbewegung und zur Geschichte Europas seit 1945 dar.

Christian Rau