Rezension über:

Nina Niedermeier: Die ersten Bildnisse von Heiligen in der Frühen Neuzeit. Porträtähnlichkeit in nachtridentinischer Zeit (= Jesuitica. Quellen und Studien zu Geschichte, Kunst und Literatur der Gesellschaft Jesu im deutschsprachigen Raum; Bd. 23), Regensburg: Schnell & Steiner 2020, 488 S., 180 Abb., ISBN 978-3-7954-3522-6, EUR 60,00
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Rezension von:
Anja Scherb
Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Anja Scherb: Rezension von: Nina Niedermeier: Die ersten Bildnisse von Heiligen in der Frühen Neuzeit. Porträtähnlichkeit in nachtridentinischer Zeit, Regensburg: Schnell & Steiner 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 12 [15.12.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/12/36057.html


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Nina Niedermeier: Die ersten Bildnisse von Heiligen in der Frühen Neuzeit

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Das im Dezember 2020 veröffentlichte Buch von Nina Niedermeier stellt die leicht überarbeitete Fassung ihrer im Jahr 2018 an der Paris-Lodron-Universität zu Salzburg eingereichten Dissertation dar. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage nach zeitgenössischen Konzepten von Porträtähnlichkeit, die sowohl auf produktions- als auch rezeptionsästhetischer Ebene für die ersten Bildnisse von Heiligen während des Posttridentinums (1563 -ca. 1625) bestimmend waren. Niedermeier formuliert eingangs drei für die Untersuchung inhaltlich sowie methodisch relevante Prämissen: Erstens erweise sich "Porträtähnlichkeit als flexible Größe, die mit ihrer jeweiligen Gegenwart in Beziehung tritt." (30) So würden die Bildnisse der Heiligen im mitunter äußerst langen Zeitraum vom Todeszeitpunkt bis zur Kanonisation immer wieder 'aktualisiert' aufgrund von beispielsweise ordens- und reformpolitischen Interessen, oder um den Kanonisationsprozess positiv zu beeinflussen. Zweitens sei der frühneuzeitliche Begriff der "vera effigies" - das sogenannte wahre Abbild und jenes Prädikat, das den Heiligenporträts unter den Zeitgenossen den größtmöglichen Grad an Authentizität bescheinigte - als "ambivalentes Bildkonzept" (43) zu verstehen, das die diametralen Auffassungen des Porträts als Index und als Seelenabbild in sich vereinige. Drittens müsse unter Einbeziehung des theologie- und kirchengeschichtlichen Kontextes die Rolle der ersten Bildnisse innerhalb der Entstehung und Überlieferung der Hagiographie berücksichtigt werden. Denn zum einen sei in den "verae effigies" auch ein ordenspolitisches Instrument zu sehen, das die Entwicklung einer "der Prozesseröffnung dienliche[n] hagiographische[n] Identität des Verstorbenen" (44) befördern sollte. Zum anderen bestünde auch nach der Kanonisierung der Heiligen eine enge Wechselwirkung zwischen Text und Bild, die beispielsweise durch die Popularisierung des Heiligenkultes beeinflusst wurde.

Diesem systematischen Ansatz entsprechend, der die Charakteristika des posttridentinischen Heiligenporträts an sich in den Blick nimmt, wählt Niedermeier keinen monographischen Zugang. Anders als der Großteil der bisher erschienenen Studien zum posttridentinischen Heiligenporträt [1] fokussiert sie nicht eine einzelne Heiligenpersönlichkeit. Vielmehr trifft sie eine "Auswahl von etwa zehn" (17) männlichen, überwiegend den neu gegründeten Orden angehörenden Heiligen, die im Zeitraum 1500 bis 1620 verstarben und erst nach dem Konzil von Trient (1545-1563) kanonisiert wurden. Darunter sind neben Ignatius von Loyola, dem eine Schlüsselrolle innerhalb der Analyse zukommt, Filippo Neri, Carlo Borromeo, Camillo de Lellis und Lorenzo da Brindisi enthalten. Mit dem Schwerpunkt auf den 'ersten Bildnissen' dieser Heiligen schränkt Niedermeier das zu untersuchende Bildmaterial auf jene Porträts in Form von Gemälden oder Zeichnungen ein, die nachweislich als früheste Porträtanfertigungen hinsichtlich der Lebenszeit der Heiligen gelten. Die zahlreich überlieferten druckgraphischen Bildnisse finden insofern Beachtung, als sie über die ikonographische Weiterentwicklung und Tradierung dieser ersten Porträts Aufschluss geben. Methodisch kommt der Erschließung der textbasierten Diskurse zu Porträtähnlichkeit und Bildnisauthentizität ein essentieller Stellenwert zu, um deren Auswirkungen auf die Porträtanfertigung und -gestaltung nachvollziehbar zu machen.

Niedermeier beginnt ihre Untersuchung mit den schriftlich überlieferten Entstehungslegenden der ersten Bildnisse (Kapitel I) sowie den textbasierten Diskursen zu Porträtähnlichkeit zwischen Index, Erinnerung und Seelenabbild (Kapitel II). Der bereits aus frühchristlicher Zeit überlieferte Topos der Porträtverweigerung, der als Ausweis der Demut der Heiligen fungierte, machte den Todeszeitpunkt der Kanonisationskandidaten zur frühesten legitimen Möglichkeit der Porträtanfertigung. Lediglich die "ritratti rubati", die 'geraubten Porträts', die heimlich, ohne das Wissen und die Zustimmung der Porträtierten geschaffen wurden, bildeten hier eine Ausnahme. Für das postume Porträt hingegen musste der Leichnam selbst oder die Totenmaske als Modell dienen, das dann in ein Bildnis des Lebenden rückübersetzt wurde. Bei diesem Prozess kam den nahestehenden Bekannten und Vertrauten des Toten eine Schlüsselrolle zu: Qua ihrer Erinnerung berieten sie die Maler in Detailfragen bezüglich der Physiognomie, Mimik und Ausstrahlung des Verstorbenen und waren gleichzeitig die höchste Instanz in der Beurteilung der Porträtähnlichkeit des fertigen Resultats. Im Anschluss wendet sich Niedermeier der formalen Gestaltung und Ikonographie der frühesten Bildnisse zu (Kapitel III). Da die behandelten Heiligenporträts eine - konzeptuell durchaus intendierte - Einfachheit in Komposition, Farbe und Motivik charakterisiert, erweisen sich die Bildanalysen in diesem Teil der Arbeit als umso anregender zu lesen. Denn der Autorin gelingt es hier sehr anschaulich zu zeigen, wie mit subtilsten motivischen und gestalterischen Mitteln die Bildnisse dennoch Hinweise auf das jeweilige Leben und das spirituelle Wirken der Porträtierten sowie auf die empfangenen Charismata, wie beispielsweise Ignatius' Tränengabe, offenbaren. Abschließend (Kapitel IV) beleuchtet Niedermeier die ordenspolitische Funktion der ersten Bildnisse, denen eine wesentliche Rolle bei der Installierung einer Verehrung der Kanonisationskandidaten und der damit einhergehenden Einflussnahme auf den Heiligsprechungsprozess zukam. Zudem gibt sie einen Ausblick auf die ikonographische Entwicklung und die Etablierung der "verae effigies" als Prototypen in der Folgezeit.

Indem sich Niedermeier der Frage nach der Porträtähnlichkeit innerhalb verschiedener Kontexte annimmt (Produktionsbedingungen, literarische Topoi, Ikonographie, Hagiographie, Ordens- und Kanonisationspolitik), gelingt es ihr, die Vielschichtigkeit und Variabilität der posttridentinischen Konzepte und Vorstellungen von Porträtähnlichkeit aufzuzeigen und anhand des umfangreichen Bildmaterials anschaulich zu machen. Das methodische Vorgehen zeichnet sich durch die enge Verquickung der rein objektbezogenen Bildanalyse mit einer ausführlichen und akribischen Auswertung assoziierter schriftlicher Quellen aus. Hervorzuheben ist hierbei insbesondere die beachtliche Vielzahl und Mannigfaltigkeit der hinzugezogenen Textquellen, die von antiken und frühchristlichen Schriften über frühneuzeitliche Heiligenviten und bildertheologische Traktate bis zu Briefen und offiziellen Dokumenten der Kanonisationsprozesse reichen. Anlass zu Kritik muss in dieser methodisch sorgfältig gearbeiteten Studie, die durch ihren umfangreichen Erkenntnisgewinn auch hinsichtlich einzelner Nebenaspekte überzeugt, nachgerade gesucht werden. Allenfalls wäre eingangs eine Erklärung wünschenswert gewesen, warum - mit Ausnahme von Angela Merici - auf die Einbeziehung weiblicher Heiliger des Posttridentinums, wie beispielsweise Teresa von Ávila, die gleichzeitig mit Filippo Neri, Ignatius von Loyola und Franz Xaver heiliggesprochen wurde, verzichtet wurde.

Niedermeiers Arbeit stellt nicht nur einen grundlegenden Beitrag zur Erforschung des posttridentinischen Heiligenporträts dar, sondern dürfte auch die Forschung zur Gattung des Porträts und zum Verständnis von Porträtähnlichkeit in der Frühen Neuzeit um wichtige Impulse bereichern. Aufgrund der breit gefächerten Basis an schriftlichen Quellen und der theologie- und kirchengeschichtlichen Kontextualisierung hat die Arbeit weit über die Grenzen des Faches Kunstgeschichte hinaus Relevanz.


Anmerkung:

[1] Vergleiche dazu exemplarisch: Ursula König-Nordhoff: Ignatius von Loyola. Studien zur Entwicklung einer neuen Heiligen-Ikonographie im Rahmen einer Kanonisationskampagne um 1600, Berlin 1982; Katja Burzer: San Carlo Borromeo. Konstruktion und Inszenierung eines Heiligenbildes im Spannungsfeld zwischen Mailand und Rom [Diss. 2008, Frankfurt a. M.], Berlin/München 2011; Josette Curtil: Images de Saint François de Sales. Mémoire et patrimoine de Savoie, Rennes 2014.

Anja Scherb