Joanna Cannon: Religious Poverty, Visual Riches. Art in the Dominican Churches of Central Italy in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, New Haven / London: Yale University Press 2013, XII + 444 S., 80 Farb-, 200 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-18765-6, USD 85,00
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Das voluminöse und reich bebilderte Buch ist das Ergebnis einer lebenslangen Beschäftigung mit dem Dominikaner-Orden und den Kunstwerken in seinen Konventen. 1980 hatte Joanna Cannon ihre Dissertation zu diesem Thema bei Julian Gardner eingereicht und seitdem immer wieder maßgebliche Studien den Fragen der spätmittelalterlichen Religiosität und der spezifischen Rolle der Bilder gewidmet. [1] Jetzt hat sie eine zusammenfassende Publikation vorgelegt, die eine beeindruckende Fülle an Material verarbeitet und größte Bewunderung verdient. Es gibt wohl kein besseres Buch, in dem man sich derart umfassend über die Tätigkeit der Bettelorden, die Struktur ihrer Konvente und ihre Interaktion mit der städtischen Gesellschaft in Italien informieren kann. Zwar stehen die Kunstwerke, also die Tafelbilder, Wandmalereien, Glasfenster, Skulpturen und illuminierten Bücher im Mittelpunkt der Argumentation, aber das Interesse der Autorin gilt ganz der Kontextualisierung dieser Objekte, ihrem konkreten Platz in den Kirchen und ihrer Funktion im Alltag der Mönchsgemeinschaft. Von daher erschließt sich dem Leser eine sehr anschauliche und noch dazu historisch exakt fundierte Vorstellung von der Struktur und dem Wirken der dominikanischen Konvente.
Das Untersuchungsgebiet beschränkt sich auf die "Provincia Romana" des Ordens, das heißt auf die heutigen Gebiete der Toskana sowie von Umbrien und Latium. Im 13. und 14. Jahrhundert existierten dort 28 Konvente, zu denen zum Teil auch eine umfangreiche schriftliche Dokumentation vorhanden ist, die von der Verfasserin immer detailliert ausgewertet wird. In der zeitgenössischen Nutzung teilt der Lettner die Kirchen in zwei getrennte Bereiche, die "Ecclesia Laicorum" und die "Ecclesia Fratrum". Diese Unterteilung wird in kluger Weise auch für die Gliederung des Buches genutzt, sodass die unterschiedliche Nutzung dieser Bereiche konkret vor Augen tritt. So erfährt man zunächst etwas über die tägliche Prozession der Mönche aus dem Chor in den Laienraum, bei der Bilder des Crucifixus und der thronenden Gottesmutter, die sich in der Regel am Lettner befanden, eine Rolle spielen. Dies berührt zentrale Fragen zur Entwicklung der Tafelmalerei im Italien des 13. Jahrhunderts, zu denen es in den letzten Jahrzehnten eine intensive Forschung gegeben hat. Deren Ergebnisse kommen anhand der dominikanischen Beispiele in einer straffen Zusammenfassung zur Sprache, wobei allerdings ein Leser, der mit diesen Bildern nicht schon vertraut ist, vielleicht zuweilen Schwierigkeiten haben dürfte, all diese Zusammenhänge zu durchschauen. Generell wird die Analyse der künstlerischen Formen zuweilen ein wenig knapp gehalten, da das Interesse vornehmlich den Funktionsweisen der Bilder gilt. So wird beispielsweise der innovative Charakter der sogenannten Rucellai-Madonna von Duccio zu Recht hervorgehoben, ohne dass wirklich deutlich wird, worin die Modernität dieses Bildes eigentlich besteht. Gerade in diesem Fall hätte aber eine Formanalyse auch zusätzliche Argumente für die Frage nach Nutzung und Funktion liefern können. Aber man kann auch von einem so gründlich recherchierten Buch nicht Antworten auf alle Fragen erwarten.
Im Kapitel zur "Ecclesia Fratrum" geht die Autorin zunächst auf die großformatigen Chorbücher ein, deren Miniaturen auf den Lesepulten des Chores ihre Wirkung entfalteten. Dies ist ein ausgesprochen instruktiver Abschnitt, der diese Bilder, die so eng mit der Liturgie verbunden sind, erstmals systematisch in den Blick nimmt. Hier kann Cannon zugleich eine höchst ungewöhnliche Bilderfindung vorstellen, die nur in einem Antifonar des frühen 14. Jahrhunderts aus Perugia belegt ist (135f., Abbildung 119). Zu sehen ist in der ganzseitigen Miniatur Dominikus, der eine Gruppe von zwölf Laien an den gedeckten Tisch des Herrn einlädt, an welchem Christus wie beim Abendmahl mit den Jüngern an der Stirnseite Platz genommen hat. Mit seiner anderen Hand aber verweist der Heilige die Gäste wie ein Vermittler auf die geöffnete Pforte im Hintergrund, durch die der Weg ins Paradies führt. In ihrer Argumentationsstruktur ist diese mit narrativen Elementen aufgeladene Allegorie jenem berühmten, späteren Fresko des Andrea Bonaiuti sehr verwandt, das in der Spanischen Kapelle von Santa Maria Novella in Florenz den Weg von der irdischen zur himmlischen Kirche schildert. Vielleicht lässt sich gerade hier, so möchte ich vermuten, ein spezifisch dominikanisches Bildkonzept fassen, das aber offenbar keine Breitenwirkung entfalten konnte.
Anhand dominikanischer Beispiele lässt sich auch die Entwicklung des Altarretabels abhandeln, da sich der Orden dieses neuen Bildtyps offenbar früh bedient hat. Doch erschließt sich ein derartiges Phänomen natürlich nur in einem größeren Zusammenhang mit den anderen Orden und den Bischofskirchen. Die bewusst vorgenommene Isolierung einer Gruppe aus dem gesellschaftlichen Gefüge, die zahlreiche Einblicke erst ermöglicht, erweist sich dabei als ein Handikap, das aber schlechterdings nicht zu vermeiden ist. Der Vergleich mit den Aktivitäten der Franziskaner wird von der Autorin immer wieder gesucht, doch würde ich stärker herausstreichen, dass die Dominikaner in zahlreichen Fällen offenbar gezielt auf die elaborierte Bildpropaganda der Franziskaner reagieren.
Ganz offensichtlich ist dies bei dem sogenannten Baum des Dominikaner-Ordens im Kreuzgang von Santa Maria Novella, dessen Bildidee nicht allein auf den Darstellungen des Lignum Vitae nach Bonaventura rekurriert, sondern auch direkte franziskanische Vorbilder hat, wie ein Fresko zeigt, das sich in den Kreuzgängen des Santo in Padua erhalten hat. Auch das komplexe Bildprogramm der Spanischen Kapelle, des Kapitelsaals der Florentiner Dominikaner, kann im vorliegenden Buch leider nur kursorisch zu Sprache kommen. Das ist insofern bedauerlich, als es sich dabei nicht nur um die berühmteste, sondern auch um die elaborierteste Ausmalung des Ordens handelt. Leider fällt auch unter den Tisch, dass der sogenannte Triumph des Thomas von Aquin auf der linken Wand ein älteres Bildkonzept der Augustiner-Eremiten aufgreift, wie Dorothee Hansen vor einiger Zeit zeigen konnte. [2] Die Augustiner-Eremiten als der dritte wichtige Bettelorden fehlen bei Cannon völlig - abgesehen von einer Anmerkung. Doch für das religiöse Wirken der verschiedenen Bettelorden in den spätmittelalterlichen Städten spielen sie eine große Rolle. In den Bildprogrammen ihrer Konvente entwickeln sie eine anspruchsvolle Selbstdarstellung, auf welche die Dominikaner dann ja auch reagieren. Der Vergleich mit den Franziskanern wird in einer ausführlichen und instruktiven Zusammenfassung noch einmal aufgegriffen und dabei wird das spezifische Profil, das sich die beiden Orden in ihrer Bildpropaganda gaben, deutlich herausgearbeitet.
Doch mindern diese Monita in keiner Weise den Wert dieses herausragenden Buches, da sie für die Argumentation der Autorin nach dem konkreten Gebrauch der Bilder im Grunde nur eine untergeordnete Rolle spielen. Ohne Frage wird dieses Buch für lange Zeit den Rang eines Standardwerkes behalten. Der Forschungsleistung von Joanna Cannon kann man nur den größten Respekt entgegen bringen.
Anmerkungen:
[1] Joanna Cannon: Dominican Patronage of the Arts in Central Italy: The Provincia Romana, c. 1220 - c. 1320, Ph.D. Diss. University of London (Courtauld Institute of Art), http://courtauld.ac.uk/people/cannon/thesis.pdf [22.08.2014].
[2] Dorothee Hansen: Das Bild des Ordenslehrers und die Allegorie des Wissens: ein gemaltes Programm der Augustiner, Berlin 1995; vgl. auch Dieter Blume / Dorothee Hansen: Agostino "pater" e "praeceptor" di un nuovo ordine religioso. Considerazioni sulla propaganda illustrata degli eremiti agostiniani, in: Arte e Spiritualità negli ordini mendicanti. Gli Agostiniani e il cappellone di San Nicola a Tolentino, hg. v. Centro Studi "Agostino Trapè", Tolentino 1992, 77-91.
Dieter Blume