Julia Friedrich (Hg.): Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR. Ausst. Kat. Museum Ludwig, Köln, Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2021, 248 S., 266 Abb., ISBN 978-3-7533-0066-5, EUR 24,80
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Es mag unzeitgemäß erscheinen, den großen Meister der Moderne mit kleinlicher Rezensionshuberei anzugehen, doch eben dies erscheint mir anlässlich der im Kölner Museum Ludwig stattfindenden Ausstellung "Der geteilte Picasso" unerlässlich. Dort wird nicht Picassos Œuvre thematisiert, vielmehr dessen Interpretation in beiden Teilen Deutschlands unter die Lupe genommen. Dabei kommt der Rezensent des Katalogs nicht umhin, einige kritische Anmerkungen vorzubringen.
Vorab muss festgehalten werden, dass Picassos politisches Engagement beiderseits der innerdeutschen Grenze unterschiedlich aufgefasst wurde. Hier wurde das Guernica-Bild als Ikone der Moderne gefeiert, dort als politisches Menetekel propagiert. Dem verhaltenen Echo, das der "politische Picasso" im Ausstellungsbetrieb der BRD fand, standen die bereits in den 50-er Jahren einsetzenden Ausstellungen des "Friedenskämpfers" in der DDR (32 f., 38-44) entgegen. Es gibt kaum einen Künstler, über den so viel Druckerschwärze ausgegossen wurde. [1] Unter Federführung der Kuratorin Julia Friedrich gingen zehn Autoren ans Werk, den Themenkomplex aufzuarbeiten.
"Sie verkauften Schokolade, (und) kauften Kunst..." heißt es im Vorwort des Katalogs von den Aachener Schokoladefabrikanten Irene und Peter Ludwig (7). Mit einer Bilddokumentation von Picassos Mitgliedschaft in der KPF ("Why I became a Communist"), mit Zeitungsartikeln und Plakaten, sowie einer Doppelseite mit Friedenstauben wird das Kernthema eingeleitet (9-21). Das unglückliche Motto ("Der geteilte Picasso") - hat doch der Künstler selbst versichert: "Es gibt nur einen Picasso" [2] - hat die Kuratorin ihrem Beitrag vorangestellt (23-57). Mit einem gut recherchierten Überblick führt sie in das Thema ein. Die "politische Bedeutung", welche sie Picasso zuspricht, scheitert am Mangel politischer Werke (23). Die Entpolitisierung und Kommerzialisierung Picassos in der BRD darzustellen, gelingt ihr unbestritten (26). Friedenstaube und Guernica sollen der Autorin zufolge im Osten durch "Negation ihres Warencharakters" ihrer Autonomie entblößt worden sein (29). Doch just dadurch kam den Werken Rettung zu. [3] Das Wenige, was im Osten gezeigt werden konnte, hatte sich gegen sozialistischen Kunstformalismus und Devisenknappheit zu behaupten.
Kurz und bündig hat Bernard Eisenschitz seinen Beitrag "Kunst und Kinder" über Peter Nestlers Film Picasso in Vallauris (2020) abgefasst (59-72). Da geht es um Biographisches, Kinder, Familie, Frauen, Spiel und Arbeit. Mit schönen Bildern führt der Autor durch die 1952 von Picasso ausgemalte Schlosskapelle von Vallauris (Krieg und Frieden).
Mit Stefan Ripplingers Aufsatz "Willkür des Modernen" geht es ans 'Eingemachte' (73-99). Der Verfasser dekliniert den Begriff von West nach Ost, definiert Picassos "Modernität" je aus der ideologischen Perspektive: hier der Freiheitsapologet und Individualist, dort die "Deshumanisation" und "Willkür" seiner Arbeiten (74-75). Ripplinger scheut nicht davor zurück, dass 'Hickhack' um den Überbau von Picassos Kunst zu entwirren, was es dem Leser angesichts der Rezeptionskapriolen nicht leicht macht, die Übersicht zu behalten.
Hubert Brieden stellt noch einmal das Guernica-Bild zur Diskussion (101-113). Mit aufklärerischer Verve dröselt er die bundesrepublikanische Verharmlosung der Zerstörung Gernikas durch die faschistische Legion Condor auf und belegt überzeugend die gründliche Aufklärung der DDR-Kulturpolitiker. Zur Entstehungsgeschichte informiert er über die hochgereckte Faust, die der Akzeptanz wegen aus der Komposition getilgt wurde (107).
Um den "Mythos Picasso" geht es im Aufsatz von Georg Seeßlen (115-123). Der Autor zieht alle Register, die Vermarktung Picassos durch die Kulturindustrie darzustellen. Allzu flapsig wird dieser mit "Kino", "Song", "Reklame", "Tapete", "Automobil" etc. verballhornt (115). Richtig ist, dass die Medien Fotografie und Film den Mythos Picasso beförderten. Picasso als "Witzfigur" und "Pinselaffe" dem "gesunden Volksempfinden" der 1950er Jahre zu überantworten erscheint mir übertrieben. Der 'Eiertanz' um das Model "Sylvette" sowie diverse Interpretationsarabesken erschweren dem Leser, die Gedankengänge Seeßlens nachzuvollziehen.
In seinem Artikel "Picasso, Ivens und die DDR" (125-145) irrt Günter Jordan, wenn er den Beginn von Guernica erst nach der Bombardierung der baskischen Stadt (26. April 1937) ansetzt. [4] Kundig und detailreich erinnert der Verfasser an die Verdienste des Dokumentarfilmers Joris Ivens um die Arbeiten Picassos und schildert ausführlich das 'Gezerre' um die Wanderausstellung "Der Künstler und sein Modell" (1955) in der DDR.
Iliane Thiemann sondiert die Kontroversen um das Vorhang- und Plakat-Motiv des Berliner Ensembles, das Picassos Friedenstaube auf die Bühne brachte und kommentiert die Korrespondenz zwischen Bertolt Brecht und dem "Cher camerade Picasso." (147-159)
Theresa Nisters erzählt, wie es dazu kam, dass Picassos Pariser Galerist Daniel Henry Kahnweiler 1967 dem Dresdner Kupferstich-Kabinett 20 Picasso-Grafiken zum Geschenk machte und die große Retrospektive Picasso. 1900-1955 in Paris, München, Köln und Hamburg (1955) eröffnete. Sie charakterisiert treffend die Bedeutung des agilen, nicht immer selbstlos handelnden Geschäftsmanns und Kunsthändlers für die Rezeption des Künstlers im gesamtdeutschen Raum (161-169).
Im Beitrag "Sozusagen im Nebenberuf" befasst sich Boris Pofalla mit Peter Ludwigs Doppelengagement in der DDR (171-209). Als Industriemanager und Kunstsammler respektive Kunstmäzen transferierte er zwischen 1977 und 1990 Westkunst in den Osten und Ostkunst in den Westen. Mit seinem Kakaogetränk warb der geschäftige "Pralinenmeister" für die Kunst (172). Pop-Art und Picasso sah man in Berlin-Ost, Leipzig und Dresden, Heisig und Sitte in Oberhausen. Hier enttäuscht der reiche Abbildungsteil aus den Fotoalben der Ludwigs durch das verunklärende, halbseitig reproduzierte Pergaminpapier.
Am Ende kommt auch der 'Tratsch' zu Wort. Émilie Bouvard pflückt aus dem abundanten Blümchenstrauß des Künstlers zwei Protagonistinnen: Die Kritiker-Freundin und Kommunistin Hélène Parmelin und die Gefährtin Françoise Gilot. Die eine solidarisierte sich mit dem parteiisch engagierten Künstler, berichtete ihm über die Politik der Partei und die Kunstszene in Paris; die andere publizierte ihr Leben mit Picasso (Life with Picasso, 1964) und plauderte Intimitäten aus der Erinnerung an den egoistischen und unersättlichen Macho aus (215-223).
Den Artikel über Peter Ludwigs kunsthistorische Dissertation (Das Menschenbild Picassos als Ausdruck eines generationsmäßig bedingten Lebensgefühls, Mainz 1950) hätte sich Thorsten Schneider ersparen können, es sei denn, er hätte eine beinharte Kritik dazu verfasst (211-213).
Im Anhang werden die Ausstellungen zu Picasso von 1955-1989 aufgezählt. Dem vorbildlich illustrierten und informativen Katalog ist ein Faltblatt mit Abbildungen der Ausstellungsgestaltung beigelegt, die sich im Ikea-Look präsentiert. Darüber, ob die differenzierte Wertung des Picasso-Œuvres in Ost und West hinreicht, den "only one-Picasso" zu zweiteilen, mögen sich andere den Kopf zerbrechen.
Anmerkungen:
[1] Allein ca. 450 Ausstellungs-Kataloge mit und über Picasso und sein Werk sind von 1946 bis 1989 in Deutschland erschienen. Vgl. Sarah Jonas: Picasso-Ausstellungen 1945-1989, 224-236.
[2] Ilja Ehrenburg erzählt in seinem Buch "Dem Frieden!" (1952), dass Picasso auf den Einwand, die Kunstfreunde kämen nicht, um ihn als Anhänger der Friedensbewegung, sondern als Künstler zu sehen, erwiderte: "Es gibt nicht zwei Picasso, sondern nur einen!" Das Zitat ist lediglich in der Ausstellung veröffentlicht.
[3] Eine Beschädigung ihrer Autonomie käme den Werken allenfalls durch propagandistische Instrumentalisierung in der DDR zu. Zur Autonomie der Kunst vgl. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1981, 32-35, 352-353 u.a.
[4] Picasso erhielt von der republikanischen Regierung Spaniens 1936 den Auftrag, ein Wandbild für den spanischen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung (1937) anzufertigen. Den Titel "Guernica" erhielt das Bild erst, nachdem es schon teilweise fertiggestellt war. Es waren Picassos Freunde Paul Éluard und Christian Zervos, die dem Bild den Namen gaben, um ihm ikonische Bedeutung zu verleihen. Vgl. Jörg Martin Merz: Guernica oder Picassos 'Abscheu vor der militärischen Kaste', Freiburg im Breisgau 2017.
Dietmar Spengler