Ota Konrád: Geisteswissenschaften im Umbruch. Die Fächer Geschichte, Germanistik und Slawistik an der Deutschen Universität in Prag 1918-1945 (= Forschungen zu Geschichte und Kultur der böhmischen Länder; Bd. 4), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2020, 436 S., ISBN 978-3-631-78036-7, EUR 79,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Ota Konrád hat bereits 2011 auf der Grundlage seiner an der Karls Universität Prag 2007 verteidigten Dissertation eine Monografie zu diesem Thema in tschechischer Sprache verfasst. Das vorliegende Buch ist die von Rezensenten der tschechischen Fassung (so Karel Hruza in der Bohemia im Jahr 2012) als "das bisher beste, sein Forschungsziel stringent verfolgende Buch eines tschechischen Autors zur Prager Deutschen Universität" (11) empfohlene und stark überarbeitete Übersetzung. Grundlage der Abhandlung sind die Auswertung der Archive in Prag sowie die Analyse des Schrifttums, der Forschungsschwerpunkte und der methodischen Ansätze. Ebenfalls hinlänglich berücksichtigt sind die publizistischen und archivalischen Materialien zur Einordnung und Bewertung des gesellschaftlichen Umfelds und der politischen Rahmenbedingungen. Wenn Robert Luft im Geleitwort der Reihe, in der die Monografie erschienen ist, die Forschungslage nur als recht übersichtlich beschreiben kann (denn substanzielle Arbeiten zum Thema sind eigentlich erst ab dem Ende der 1990er-Jahre zu verzeichnen und dann auch vor allem aus tschechischer Feder), so setzte die tschechische Fassung von Konráds Buch zusammen mit der fast gleichzeitig erschienenen Arbeit von Pavel Kolář gewiss einen Kontrapunkt zur Geschichtsschreibung über die Deutsche Universität in Prag (DUP).
Dieser als repräsentativ aufzufassende, weil genuin stark politikgebundene Ausschnitt aus der Geschichte der DUP zeigt nicht nur den Werdegang von Fachdisziplinen unter den Bedingungen gesellschaftlicher Faschisierung, Protektorat und Krieg auf, sondern schildert auch eindringlich das Verhalten von "Auslandsdeutschtum" und die aus den Vorstellungen einer "Schicksalsgemeinschaft" erwachsenden Beziehungen im Spannungsfeld von tschechoslowakischer Republik / Protektorat und Reich, in denen die DUP ihren Platz zu behaupten suchte. Natürlich muss dieses Thema auch und vor allem eine Abhandlung über die Durchdringung der universitären Landschaft mit dem nationalsozialistischen Ungeist sein.
Konrád nähert sich dem Problem der Ideologisierung der Geisteswissenschaften an der DUP, also an exponierter Stelle, konsequent und mit Bedacht. Im Mittelpunkt steht immerhin die Frage: Wie wissenschaftlich ist die Forschung unter den Bedingungen einer bewussten Hinwendung zum Nationalsozialismus überhaupt noch, und sind ihre Protagonisten als Forscherpersönlichkeiten in diesem Sinne gegenstandsberechtigt? Diese Frage ist nahezu eine eigene Disziplin und aus verschiedenen Gesichtspunkten und politischen Haltungen heraus durch die Forschung beleuchtet worden. Der Autor gibt sich mit verbreiteten Kategorisierungen wie "Politisierung" oder "weltanschauliche Prädestination" nicht zufrieden, sondern schildert anschaulich am konkreten fachlichen Gegenstand die Entwicklung hin zu einem relativ homogenen Milieu nationalsozialistischer Gefolgschaft, die sich auf die Grundlagen der faschistischen Ideologie eingeschworen hat. Er zeigt jedoch durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen gegenüber wissenschaftlichen Standards oder gar politischem Engagement auf, wie sie sich etwa bei Eduard Winter, dessen wissenschaftliche Kompetenz auch nach dem Krieg nie ernsthaft in Zweifel gezogen wurde, oder Joseph Pfitzner, der sich zum Stellvertretenden Bürgermeister Prags aufschwang und am Galgen endete, zeigten. Dabei sind sie keinesfalls Antipoden, sondern präsentieren durchaus differenzierte Entwicklungen und Verhaltensweisen bei formaler Einordnung in das gesellschaftlich-akademische System.
Auch weiß der Autor hier signifikante Unterschiede zwischen den Fächern aufzuzeigen, wenn etwa die Slawistik bestrebt war, sich größere Freiräume zu erhalten, und eine enge Zusammenarbeit mit der tschechischen akademischen Welt suchte. Trotzdem wurden in den Geisteswissenschaften alle Voraussetzungen dafür geschaffen, nach dem Oktober 1938 die DUP zu einem willigen Vollstrecker der nationalsozialistischen Ideologie zu machen, nicht zuletzt angetrieben durch das beständige Bemühen, dem Stigma einer Hochschule eher marginaler Bedeutung zu entfliehen.
Es handelt sich um eine gut lesbare und streng strukturgeschichtlich orientierte Arbeit. Die deskriptive Darstellungsform erleichtert die Orientierung und ermöglicht den schnellen Zugriff auf Informationen. Die Analyse wissenschaftlicher Tätigkeit steht in engem Bezug zur politischen Situation und vermittelt tiefe Einblicke in den Komplex "Wissenschaft und Nationalsozialismus" sowie die Ideologisierung von Forscherpersönlichkeiten. Das zeigt sich deutlich in der Gliederung der Arbeit, die im Wesentlichen formalen Gesichtspunkten folgt. Den zeitlichen Abschnitten der Entwicklung der DUP, korrespondierend mit der politischen Entwicklung in der Tschechoslowakischen Republik und dem Deutschen Reich, werden Unterpunkte zugeordnet, die sowohl die strukturelle als auch die personelle Entwicklung der Disziplinen darstellen. Weitere Gliederungspunkte behandeln die methodische Entwicklung und die Wirksamkeit nationalsozialistischer Hochschul- und Wissenschaftspolitik. Zentral positioniert, vornehmlich für die Geschichtswissenschaft, aber durchaus auch für die anderen Fächer relevant, ist das methodische Problem der Volks- und Kulturbodenforschung, welche durch die Professoren Wilhelm Wostry und Joseph Pfitzner im Rahmen der Etablierung einer sudetendeutschen Geschichtsschreibung exponiert vertreten war. Hier zeigt der Autor exemplarisch das politische Potenzial dieser als Erkenntnisgewinn gewerteten neuen Methodik auf und stellt die in der Forschung immer einmal wieder erörterte Frage nach dem Wert und der Bewertung von Innovation in den Geisteswissenschaften, ohne freilich diesen Problemkreis theoretisch näher zu bearbeiten - was auch nicht die Aufgabe der vorgelegten Studie ist. Besondere Aufmerksamkeit verdient das Kapitel "Die 'neue Wissenschaft' im Großdeutschen Reich", wo der Autor die Orientierung auf Südosteuropa als Forschungsgegenstand behandelt und damit den Problemkreis nationalsozialistischer Wissenschaftsstrategie über den Rahmen der DUP hinaus mit den Fragestellungen von Motivation und Bewertung durch die Politik verbindet.
Das Buch ist bebildert, hat ein Personenverzeichnis und eine Ortskonkordanz. Das Quellen- und Literaturverzeichnis bietet eine Auswahl geisteswissenschaftlicher Dissertationen an der DUP aus den Jahren 1918 bis 1945.
Anmerkung:
[1] Pavel Kolář: Geschichtswissenschaft in Zentraleuropa. Die Universitäten Prag, Wien und Berlin um 1900, Leipzig 2008.
Ralph Schattkowsky