Rezension über:

Alheydis Plassmann / Michael Rohrschneider / Andrea Stieldorf (Hgg.): Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (= Studien zu Macht und Herrschaft; Bd. 11), Göttingen: V&R unipress 2021, 321 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-1275-4, EUR 50,00
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Rezension von:
Bettina Braun
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Bettina Braun: Rezension von: Alheydis Plassmann / Michael Rohrschneider / Andrea Stieldorf (Hgg.): Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Göttingen: V&R unipress 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 3 [15.03.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/03/35702.html


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Alheydis Plassmann / Michael Rohrschneider / Andrea Stieldorf (Hgg.): Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Köln im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

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Der Band geht zurück auf eine 2019 in Bonn durchgeführte Tagung und ist erschienen in der Publikationsreihe des Bonner Sonderforschungsbereichs "Macht und Herrschaft". Unter dieses Oberthema ordnen die Herausgeberinnen und der Herausgeber ihren Band denn auch wenig überraschend ein, indem sie ausgehend von der Macht-Definition des Soziologen Heinrich Popitz erläutern, dass das Begriffspaar "Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis" im Titel die Spannungen zwischen den verschiedenen Arten von Macht zum Ausdruck bringe (13). Solche Spannungen träten prinzipiell in allen Herrschaften auf, doch würden sie in einem geistlichen Staat wie Kurköln noch einmal potenziert durch die häufig genug gegensätzlichen Ansprüche an eine geistliche und weltliche Herrschaft. Dass Kurköln darüber hinaus eine "composite monarchy", bestehend aus verschiedenen Territorien mit jeweils wieder eigenen Ansprüchen, war, macht das Erzstift in den Augen der Herausgeberinnen und Herausgeber zum geradezu idealen, weil besonders komplexen Gegenstand für die Frage nach Herrschaftsnorm und Herrschaftspraxis.

Der zeitliche Rahmen ist weit gesteckt: vom Hochmittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Der Band ist in drei Sektionen "Akteure und personelle Praktiken", "Herrschaft und Außenbeziehungen" und "Zur Rollenpluralität der Erzbischöfe und Kurfürsten von Köln" gegliedert, mit unterschiedlichen zeitlichen Schwerpunkten: Sektion I weist einen Schwerpunkt in der Frühen Neuzeit, genauer gesagt in der Regierungszeit Clemens Augusts von Bayerns auf, Sektion II behandelt vor allem das Spätmittelalter, während die Beiträge in Sektion III ausschließlich dem Mittelalter gelten. Solche Ungleichgewichte sind bei Tagungsbänden kaum zu vermeiden, dennoch erschweren sie natürlich die Einordung und Vergleichbarkeit der Befunde. Freilich geht es den Autorinnen und Autoren ohnehin kaum um einen Beitrag zu einer übergeordneten Fragestellung - die Rückbindung an die in der Einleitung aufgeworfenen Fragen ist zumeist doch eher lose -, sondern mehr um Einzeluntersuchungen zu Details der Herrschaftspraxis in Kurköln.

Fabian Schmitt zeigt in seinem Beitrag über die Ministerialen zur Zeit Engelberts von Berg auf, dass Engelbert der letzte Kurfürst war, der für die Herrschaftsausübung in besonderem Maß auf die Ministerialen setzte und dass er damit auf die spezielle Situation nach dem welfisch-staufischen Thronstreit reagierte. Philipp Gatzen stellt die kurkölnischen Statthalter unter Clemens August vor und macht deutlich, dass diese mehr dazu dienten, den in den Wahlkapitulationen verbrieften Anspruch des Domkapitels auf Mitregierung zu befriedigen, als ein effizientes Herrschaftsinstrument für die Zeiten der Abwesenheit des Kurfürsten zu installieren. Michael Rohrschneider unterzieht die Arbeiten Max Braubachs über Clemens August einer Re-Lektüre und hebt hervor, dass dieser den Kurfürst-Erzbischof als janusköpfige Persönlichkeit zwischen herausragendem Mäzenatentum und persönlichen Defiziten gesehen habe. Die Gründe für die schlechte Politik sah Braubach im Charakter des Kurfürsten und nicht in systemischen Ursachen. Über die personellen Grundlagen der Herrschaft erfährt man in diesem Beitrag freilich eher wenig, er ließe sich auch lesen als ein Beitrag zur Frage nach der Rollenpluralität, denn manche der von Braubach konstatierten Spannungen dürften auf Normenkonkurrenzen als Folge verschiedener Rollen zurückgehen (als Dynast, als (Kur-)Fürst, eher weniger als Geistlicher, als Herrscher verschiedener Territorien).

Um Rollenpluralität geht es letztlich auch in dem ersten Beitrag der Sektion "Herrschaft und Außenbeziehungen", in dem Alheydis Plassmann nach dem Nutzen und Schaden des Engagements der Kölner Erzbischöfe im Reich fragt, indem sie für das 12. und 13. Jahrhundert systematisch die einzelnen Episkopate durchgeht und nach den Erwartungen an den Reichsfürsten und den Erzbischof von Seiten des Oberhaupts (also Papst bzw. Kaiser / König), auf der Ebene des Reichs, des geistlichen bzw. weltlichen Herrschaftsbereichs und der Stadt Köln fragt. Dabei geht Plassmann jeweils insbesondere auf die Reichspolitik ein, die in Beziehung zu den anderen Tätigkeitsfeldern gesetzt wird, über die man auf diese Weise also auch einiges erfährt. Während schon bei der Reichspolitik durchaus gefragt werden kann, ob diese sinnvollerweise unter "Außenbeziehungen" subsumiert werden kann, gilt das für die anderen Tätigkeitsfelder in noch stärkerem Maße.

Dem spatial turn verpflichtet sind die nächsten beiden Beiträge. Manfred Groten geht dabei von der Beobachtung aus, dass die bekannte Herrschaftsdefinition von Max Weber Herrschaft als eine Beziehung zwischen Menschen verstand und dabei Zeit und mehr noch Raum außer Acht ließ. Deshalb möchte er sich der räumlichen Dimension der Herrschaft der Kölner Erzbischöfe am Beispiel der Regierung Heinrichs von Virneburg zu Beginn des 14. Jahrhunderts widmen, einer Zeit also, für die die Forschung üblicherweise die territoriale Dimension von Herrschaft noch eher gering ansetzt. Dass diese sehr wohl eine Rolle spielte, zeigt die Untersuchung der Verhandlungsorte von Verhandlungen mit gleichrangigen oder niederrangigen Fürsten und Adligen, die nämlich keineswegs zufällig gewählt wurden, sondern abhängig waren vom Rang der Verhandlungspartner und der Ausdehnung ihrer Herrschaftsbereiche. Claudia Garnier wendet sich gegen die Meistererzählung von der Entwicklung territorialer Staatlichkeit, für die Konflikte wie derjenige, der 1225 zur Ermordung Erzbischof Engelberts führte, dysfunktional gewesen seien. Sie betont stattdessen die Definition von Räumen mit Hilfe von Kommunikation, wobei z.B. beim Abschluss von Bündnissen Gültigkeitsbereiche definiert worden seien, die keineswegs mit den jeweiligen Territorien identisch gewesen seien - eine Beobachtung, die gegen die Annahme einer kontinuierlichen Territorialisierung spricht. Um klassische Außenbeziehungen geht es dann in dem (französischsprachigen) Beitrag von Philippe Sturmel über das Verhältnis Kölns zu Frankreich zwischen 1740 und 1760. Sturmel klagt, dass es kaum französische Forschung zu Kurköln gebe, konzentriert sich aber seinerseits weitgehend auf die französische Sicht und geht kaum konkret auf Kurköln ein. Gravierender ist jedoch, dass er die neuere deutsche Forschung, z.B. zur Kulturgeschichte des Politischen oder die Infragestellung des Absolutismus-Begriffs, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat und sich deshalb beispielsweise über die zeremoniellen Ansprüche der Kurfürsten wundert.

In der Sektion zur Rollenpluralität der Kölner Erzbischöfe fragt Andrea Stieldorf nach der Darstellung der verschiedenen Rollen, also vor allem der bischöflichen und der fürstlichen Rolle, auf Münzen und Siegeln. Dabei überwogen eindeutig die Hinweise auf die geistliche Herrschaft, mit der Integration von Wappen wurde schließlich ein Verweis auf die adlige Herkunftsfamilie der Erzbischöfe aufgenommen, wie dies die Abbildung des Goldguldens Dietrichs II. von Moers in dem Beitrag von Schnack veranschaulicht. Denn leider sind dem Beitrag von Stieldorf keine Abbildungen beigegeben, was das Lesevergnügen und die Nachvollziehbarkeit der Erkenntnisse doch spürbar mindert. Eine häufig in Bezug auf die Erzbischöfe übersehene Rolle beleuchtet Nina Gallion, nämlich die des Metropoliten. In ihrem Überblick über die Entwicklung zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert kann sie zeigen, dass die Norm des über den Suffraganbischöfen stehenden Metropolitanbischofs immer mehr von der Praxis in Frage gestellt wurde, zum einen von der Praxis zunehmender päpstlicher Durchgriffe auf die Ebene der Bischöfe unter Umgehung des Metropoliten, zum anderen aber auch durch die Territorialisierung mit ihrem Anspruch einer gleichberechtigten Regierung aller Fürsten über einen immer mehr flächig gedachten Herrschaftsbereich, ein Anspruch, der zu der Abstufung von Metropolitan- und Suffraganbistümern nicht passen wollte. Der Rolle des Erzbischofs als Mitglied einer hochadligen Familie am Beispiel Dietrichs II. von Moers gilt der Beitrag von Frederieke Maria Schnack. Mit wechselndem Erfolg versuchte Dietrich seinen Brüdern zu kölnischen Suffraganbistümern zu verhelfen, wobei die Rollen als Metropolitan und als Dynast kaum klar zu trennen sind. Ebenso wie die anderen Beiträge des Bandes gibt auch dieser mehr Aufschluss über die Herrschaftspraxis als die Herrschaftsnorm, also die Erwartungen, mit denen die Erzbischöfe in ihren unterschiedlichen Rollen konfrontiert wurden.

Den Abschluss des Bandes bildet ein Beitrag über den im Zusammenhang der Bonner Tagung 2019 aufgesetzten Tagungsblog, der in den bestehenden Wissenschaftsblog zur rheinischen Geschichte integriert wurde, was seine Sichtbarkeit und längerfristige Verfügbarkeit erhöht. Der Beitrag bildet sowohl eine Einführung in die Spezifika eines solchen Blogs als auch einen Appell an die Wissenschaft, durch die Nutzung solch (jedenfalls für manche Bevölkerungsgruppen) niedrigschwelliger Angebote, sich aus dem Elfenbeinturm hinaus und in eine breitere Öffentlichkeit hineinzubegeben. Letztlich aber, so das etwas ernüchterte Ergebnis eines Blicks der Rezensentin auf das Blog, bietet dieses nicht mehr als ein ausführliches Tagungsprogramm und schöpft damit die Möglichkeiten eines Blogs kaum aus.

Bettina Braun