Rolf Straubel: Grundbesitz und Militärdienst. Kurzbiographien pommerscher Offiziere (1715 bis 1806). Zwei Teile (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte; Bd. 56), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, 1294 S., ISBN 978-3-412-52214-8, EUR 200,00
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Matthew Glozier: Marshal Schomberg (1615 - 1690). "The ablest soldier of his age", Brighton: Sussex Academic Press 2005
Grundlagenforschung ist im heutigen Wissenschaftsbetrieb mit seinem Zwang zur raschen Publikation selten geworden. Rolf Straubel, der bereits mit zahlreichen gewichtigen Beiträgen v.a. zur brandenburgisch-preußischen Geschichte hervorgetreten ist, hat sich mit seinem von der Historischen Kommission für Pommern herausgegebenen zweibändigen Werk diesem Trend erfreulicherweise widersetzt und Kurzbiographien pommerscher Offiziere in der preußischen Armee zwischen 1715 und 1806 zusammengestellt. Das ist umso verdienstvoller, als die Quellenlage in vielerlei Hinsicht äußerst dürftig ist. In Pommern sind zahlreiche Archive und Bibliotheken im 20. Jahrhundert durch Kriegseinwirkungen, Vernachlässigung oder Plünderung vernichtet oder wenigstens stark beeinträchtigt worden. Das gilt sowohl für die staatlichen Archive als auch für die für die Landesgeschichte so bedeutsamen Guts- und Adelsarchive. Forschungsansätze, die in anderen Regionen ohne weiteres auf einen reichhaltigen Quellenfundus zurückgreifen können, sind hier daher entweder gar nicht oder nur eingeschränkt möglich. Oder sie müssen Umwege beschreiten und neue Quellen ausfindig machen.
An dieser Stelle setzt Rolf Straubel an. In den Reihen der preußischen Armee dienten im 18. Jahrhundert zahlreiche Offiziere aus Pommern. Dabei spielten zwar auch die klassischen Motive des niederen Adels eine Rolle, seine Söhne die Offizierslaufbahn einschlagen zu lassen: Erwerb von Ruhm und Ehre, eine standesgemäße Beschäftigung, Knüpfen von Netzwerken. Für Pommern kommen aber noch wirtschaftliche Motive hinzu, die junge Männer deutlich nachhaltiger in den Militärdienst trieben als anderenorts. Denn der pommersche Adel saß damals auf kleinen und zersplitterten, oft überschuldeten Gütern, die kaum dazu in der Lage waren, den Lebensunterhalt einer größeren Familie zu finanzieren - von einem standesgemäßen Leben ganz zu schweigen. Not und nicht unbedingt Begeisterung oder eine besondere Königstreue trieb daher viele Pommern zu den Fahnen (die manche von ihnen daher rasch wieder verließen, wenn sie ein ausreichendes ziviles Auskommen fanden). Die Untersuchung ihrer Biographien ist angesichts dieses Hintergrundes auf der Schnittstelle zwischen Militär- und Landesgeschichte angesiedelt, die beide von Straubels Arbeit profitieren.
Dass eine bessere Kenntnis von Offiziersbiographien für erstere ein Gewinn ist, muss nicht eigens begründet werden. Für die Landesgeschichte treten mit den Lebensbeschreibungen der Offiziere Familien und Güter in das Blickfeld der Forschung, für die es sonst keine oder kaum einschlägige Quellenbestände gibt. Die beiden zu besprechenden Bände bieten zu ihnen einen bequemen Zugang. Der erste Band enthält die Kurzbiographien von A bis Z auf mehr als 700 Druckseiten. Der zweite Band listet nach Gütern geordnet deren Besitzer und Eigentümer auf, soweit sie aus der Quellenbasis ersichtlich sind. Gerade diese güterzentrierte Sicht macht deutlich, wie rasch der Grundbesitz häufig in andere Hände wechselte, wie prekär also die wirtschaftliche Situation vieler Familien tatsächlich war.
Straubels Quellenbasis liegt in Berlin und ist daher unabhängig von den Archivgutverlusten in Pommern. Er wertet zahlreiche Akten und Verzeichnisse aus dem Geheimen Staatsarchiv und der Staatsbibliothek aus, die Angaben zu preußischen Offizieren enthalten. Hinzu kommt ein Rückgriff auf die Literatur, soweit sie denn verfügbar ist. Damit kann er zwar zahlreiche verstreute Informationen zu Pommern heben und bündeln, aber keine wie auch immer definierte Vollständigkeit oder Systematik erreichen. Es ist jedoch zu begrüßen, dass er sich trotz dieser Einschränkung für ein pragmatisches Vorgehen entschieden hat, mit dem er aus einer mehr als beschränkten Quellenlage das Beste gemacht hat. Denn auf das Bessere zu warten, das aber nie realisierbar sein wird, hätte niemandem einen Nutzen gebracht. Die Kurzbiographien fallen auf diese Weise nach Umfang und gebotener Information sehr unterschiedlich aus. Während es bei einigen Männern nur zu wenigen dürftigen Zeilen reicht, sind die Lebensläufe anderer, v.a. natürlich höherer Chargen, ausführlich nachvollzogen (allerdings ohne militärische Taten im engeren Sinne wie etwa Schlachtbeteiligungen). Soweit möglich enthalten sie neben den Lebensdaten Angaben zu Verwandtschaftsverhältnissen und Gütern sowie zu den äußeren Stationen der militärischen Laufbahn.
Enthalten sind nicht alle Offiziere aus Pommern. Abgesehen von der Frage, wie eine pommersche Herkunft genau zu definieren und festzustellen ist, sind auch die preußischen Quellen nicht in jeder Hinsicht vollständig. Die Quellenlage für Grenadier- und Füsilierbataillone, für Garnisonstruppenteile, einige Husarenregimenter und generell für die Artillerie ist so schlecht, dass hier sogar mit größeren Lücken zu rechnen ist. Es fehlen aber natürlich auch diejenigen Männer, die Offiziersdienste in anderen Armeen angenommen haben. Schließlich ist es bisweilen schwierig, namensgleiche Familienmitglieder derselben oder unterschiedlicher Generationen sauber voneinander zu trennen.
So darf man das Werk trotz seines eindrucksvollen Umfanges nicht mit einem vollständigen Adelsverzeichnis für Pommern gleichsetzen, worauf Straubel selbstverständlich hinweist. Deshalb sollte man auch vorsichtig damit sein, es als Basis für statistische und quantifizierende Auswertungen heranzuziehen. Sein Wert liegt in seiner Funktion als Nachschlagewerk für einzelne Offiziere, Familien, Orte und Güter, in der Zusammenführung von Informationen, die der Forschung sonst nicht zur Verfügung stünden, weil der Aufwand der Konsultation der verstreuten Quellenbestände für Einzelfragen viel zu hoch wäre. Davon können noch in Jahrzehnten zahlreiche Forschungsansätze profitieren, so dass die beiden Bände noch sehr lange zur Standardausrüstung zahlreicher Historikerinnen und Historiker zählen werden. Da deren Studien noch weitere Informationen und Biographien hervorbringen können, die aus einer anderen Quellenbasis geschöpft sind, sei der Historischen Kommission für Pommern ans Herz gelegt, über eine digitale, erweiterbare Fassung nachzudenken.
Max Plassmann