Marcel Bois: Von den Grenzen der Toleranz. Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gegen Kommunistinnen und Kommunisten in den eigenen Reihen (19741980), Weinheim: Verlagsgruppe Beltz 2021, 148 S., ISBN 978-3-7799-6586-2, EUR 24,95
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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) rang in den 1970er Jahren hart um den richtigen Umgang mit dem linken Rand des eigenen Anhangs. Am Ende stand infolge von Unvereinbarkeitsbeschlüssen der Ausschluss von annähernd 300 GEW-Mitgliedern aufgrund ihrer Nähe zu linksradikalen Gruppen und Vereinigungen.
Nach Jörn-Michael Golls ebenfalls GEW-finanzierter Studie [1] zum Umgang der Gewerkschaft mit ihrem NS-Erbe setzt Marcel Bois' Buch das lobenswerte Streben des Verbands fort, Licht in die dunkleren Ecken seiner Vergangenheit zu bringen. Dabei stellen sich die Debatten durchaus unterschiedlich dar: Während die innergewerkschaftliche Diskussion zur Frage des NS-Erbes unvermindert anhält und unter anderem auf dem jüngsten GEW-Gewerkschaftstag zum Beschluss führte, die bislang nach dem ersten Nachkriegsvorsitzenden Max Traeger benannte gewerkschaftseigene Stiftung umzubenennen, ist die Lage beim vorliegenden Thema klarer. So hat sich der Gewerkschaftstag bereits 2013 für den Ausschluss von Mitgliedern infolge der Unvereinbarkeitsbeschlüsse entschuldigt - eine Linie, die im vorliegenden Band im Vorwort der ehemaligen Vorsitzenden Marlis Tepe wie auch aktuell durch die heutige Vorsitzende Maike Finnern weitergeführt wird. Damit nimmt die GEW im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammen mit Ver.di eine Vorreiterrolle ein.
Der Hauptteil der Studie zerfällt in drei Abschnitte, von denen die ersten beiden besonders umfangreich geraten sind. Zu Beginn wird der zeitgenössische Horizont in Form des "Radikalenbeschlusses" (9) der Bundesregierung ausgeleuchtet - also der 1972 etablierten Praxis, vor der Einstellung von Anwärterinnen und Anwärtern in den öffentlichen Dienst eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu stellen. Diese Praxis sollte politische "Extremisten" von links und rechts aus dem Staatsdienst fernhalten. Die GEW kritisierte diese Maßnahmen von Beginn an, betrafen sie doch ganz überwiegend die eigene Klientel: Über 90 Prozent der Verfahren richteten sich gegen Lehramtsanwärterinnen und -anwärter sowie angehende Hochschullehrerinnen und -lehrer. Dennoch verlängerte die GEW Mitte der 1970er Jahre diese Politik quasi in ihre eigene Organisation hinein. Die Fragestellung des Buchs setzt hier an und dominiert die beiden Hauptabschnitte: Welche Umstände führten zu den Unvereinbarkeitsbeschlüssen? Welche Akteure spielten die entscheidende Rolle? Und was bedeuteten die Beschlüsse in der Praxis?
Dass das Thema für die GEW überhaupt an Relevanz gewann, lag am Eintritt vieler junger, oft im Gefolge der Studentenproteste von 1968 politisierter und mitunter linksradikaler Mitglieder. Jedoch waren es weniger weltanschauliche Differenzen innerhalb des Verbandes, die zu den Unvereinbarkeitsbeschlüssen führten, sondern ein gesellschaftliches Klima des Umgangs mit der vermeintlichen Gefahr von links, gegenüber der Verfassungstreue demonstriert werden musste. Diese Wahrnehmung, die sich oft an der Roten Armee Fraktion festmachte, hatte bereits dem Radikalenbeschluss der Bundesregierung den Weg gewiesen, und sie stand auch hinter dem Unvereinbarkeitsbeschluss des DGB von 1973, den die angeschlossenen Gewerkschaften gemäß Satzung zu übernehmen hatten.
Wie Bois anschaulich schildert, führte dies in der GEW zu einiger Unruhe. Der Hauptvorstand um Erich Frister übernahm die Vorlage des DGB und setzte den Beschluss 1974 gegen den Widerstand des linken, zahlenmäßig jedoch unterlegenen Flügels durch. Die Regionalgliederungen folgten dem Bundesverband mal mehr, mal weniger bereitwillig. Erwähnung finden sie in der vorliegenden Studie vor allem dann, wenn es Widerstand gegen die Zentrale gab. Diesem konnte meist, wie im Falle Hamburgs, durch Überredung beigekommen werden. [2] Eine Ausnahme stellt der West-Berliner Landesverband dar: Für seine Weigerung, die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in seine Satzung zu übernehmen, wurde er 1976 aus der GEW ausgeschlossen.
In der Folge widmet sich das Buch der konkreten Umsetzung der Beschlüsse und ihrer Folgen für die Betroffenen. Bois gliedert sie in Ausschlüsse, Nichtaufnahmen und Fälle von verweigertem Rechtsschutz. Hierbei wird schnell klar, dass die Kriterien, anhand derer der Hauptvorstand über Sanktionierungen befand, keineswegs eindeutig waren: Nicht "Mitgliedschaft" bei den inkriminierten K-Gruppen, sondern "Tätigkeit für oder Unterstützung" waren ausschlaggebend (78). Bois liefert zahlreiche Beispiele von komplizierten oder fragwürdigen Fällen, die dennoch sanktioniert wurden. Der Vorwurf, die GEW-Führung würde sich schlicht unbequemer Kritiker entledigen, lag auch den Zeitgenossen nicht fern. Den Betroffenen selbst - soweit die Studie sie erfasst - wird wenigstens sozialstatistisch (Geschlecht, Wohnort, usw.) Aufmerksamkeit zuteil. Mitunter erschwerte die GEW ihre berufliche und private Existenz durch an den DGB weitergereichte Ausschlusslisten noch weiter, eine Praxis, die pikanterweise erst von staatlicher Seite unterbunden wurde.
Den abschließenden Teil der Analyse bildet ein knapp gehaltenes Kapitel über das Ende der Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Hier führt Bois im Wesentlichen drei Faktoren ins Feld: Zum einen schaffte der Bund 1979 die Regelanfrage wieder ab, zum anderen verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse in der GEW hin zur jüngeren Generation. Zudem verloren die K-Gruppen nach Mitte der 1970er Jahre erheblich an Schlagkraft.
Die Studie ist überzeugend gegliedert, methodisch transparent und argumentiert stets nachvollziehbar. Zudem bietet sie zahlreiche Anregungen für nachfolgende Forschungen im selben Themenfeld, vor allem auf Ebene der GEW-Landesverbände. Das Bewusstsein um die Grenzen der Tragfähigkeit der eigenen Ergebnisse hält den Autor selbst erfreulicherweise nicht davon ab, sich zur GEW-Praxis der späteren 1970er Jahre klar zu positionieren - allerdings sind in dieser Frage, im Gegensatz zum NS-Erbe der GEW, die Fronten im heutigen Gewerkschaftsapparat auch geklärt.
Einige (wenige) Kritikpunkte sollen nicht verschwiegen werden: An manchen Stellen hätte man sich etwas mehr Tiefe gewünscht, wie beim Ausschluss der West-Berliner GEW-Sektion. Bois streift die Episode, die immerhin über 13.000 Mitglieder betraf, eher oberflächlich, wiewohl er selbst auf die gute Quellenlage verweist. Auch wird manch interessantes Ergebnis der Recherchen nicht weiterverfolgt, so der Befund, dass die Wahrscheinlichkeit, in sozialdemokratisch regierten Bundesländern aus der GEW ausgeschlossen zu werden, erheblich höher war als unter einer christdemokratischen Regierung. Derlei Desiderate sind jedoch weniger der Nachlässigkeit des Autors als dem Auftrag der Studie geschuldet, die sich eben nur auf den Bundesverband erstreckte. Demselben Umstand dürfte die nahezu ausschließlich Fokussierung auf Gewerkschaftsquellen geschuldet sein - es wird kein multiperspektivisches Bild der GEW in ihrer Zeit gezeichnet, und auch die Betroffenen selbst kommen kaum zu Wort. Vielmehr handelt es sich hier um eine punktuell ergänzte Innenschau für die geneigte GEW-Mitgliedschaft mehr noch als für Fachhistorikerinnen und -historiker. Mehr will die Studie jedoch auch nicht sein. So bleibt festzuhalten, dass Bois ein aufschlussreiches und schlüssig argumentiertes Buch geschrieben hat, das hoffentlich weitere ebenso lesenswerte Studien nach sich zieht.
Anmerkungen:
[1] Jörn-Michael Goll: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und das NS-Erbe, Weinheim 2021, http://www.sehepunkte.de/2021/09/35512.html.
[2] Für den Fall Hamburg vgl. die detaillierte Studie von Alexandra Jaeger: Abgrenzungen und Ausschlüsse. Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse in der GEW Hamburg in den 1970er Jahren, Weinheim 2020.
Patrick Hesse