Bärbel Küster / Stefanie Stallschus / Iris Wien (Hgg.): Joint Ventures. Der künstlerische Zugriff auf Kunstsammlungen und Ausstellungsgeschichte (= 21: Inquiries into Art, History, and the Visual Beiträge zur Kunstgeschichte und visuellen Kultur; Bd. 3.1), 2022, ISSN 2701-1569
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Es ist inzwischen selbstverständliche Praxis von Museen in Europa und Nordamerika, Künstler*innen mit temporären Interventionen zu beauftragen, wenn es gilt, die historischen Vorzeichen ihrer Sammlungen wahrnehmbar zu machen und ihre Displays einer Revision zu unterziehen, zu kommentieren und zu modifizieren. Die ästhetisch, politisch und ethisch relevante Frage, ob solche künstlerisch-kuratorischen Koalitionen als Fortsetzung institutionskritischer Ansätze in der Kunst zu verstehen sind oder ob hier nicht vielmehr routinierte Auftragsarbeiten entstehen, die für die einladenden Museen wie auch für die eingeladenen Künstler*innen gleichermaßen attraktiv sind, weil beide Seiten aufgrund der behaupteten Kritikalität von einer Steigerung ihrer Reputation und einer erhöhten medialen Aufmerksamkeit profitieren, wird im Themenheft Joint Ventures der Zeitschrift 21: Inquiries into Art, History, and the Visual. Beiträge zur Kunstgeschichte und visuellen Kultur anhand exemplarischer Einzelfälle gründlich untersucht und kenntnisreich diskutiert. Basierend auf Ergebnissen einer Tagung, die im September 2019 in Kooperation des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich und dem Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich stattgefunden hat, stellt das Heft neun von Kunst- und Kulturwissenschaftler*innen erarbeitete Fallstudien vor, die einerseits dem Potenzial, andererseits der Gefahr der Funktionalisierung künstlerischer Kompetenzen und Methoden - darunter Recherche, Verschiebung, Wiederholung, Parodie, Performance und Partizipationsverfahren - in staatlich oder städtisch finanzierten Kunst- und Naturkundemuseen bzw. ethnologischen Museen nachgehen, aber auch Privat- und Unternehmenssammlungen berücksichtigen. Ergänzend treten zwei Debattenbeiträge hinzu, die aus künstlerisch-kuratorischer Perspektive verfasst sind.
Die Initiatorinnen Bärbel Küster, Stefanie Stallschus und Iris Wien plädieren dafür, die Allianzen zwischen Museen und Künstler*innen, deren Spektrum "von Partizipation und Profit bis hin zu Kritik und Verweigerung" (3) reicht, als Joint Ventures zu bezeichnen. Das Modell Joint Venture, das aus dem juristischen Bereich sowie aus den Wirtschaftswissenschaften bekannt ist, sei geeignet, die kompetitiven Strategien, die Beweggründe, die Erfolgsaussichten und die gemeinsamen, aber auch die gegenläufigen Interessen von Museumskurator*innen und Künstler*innen zu analysieren. Diese These, die die kontextbezogenen Produktionen von Künstler*innen in Museen definitorisch und strukturell mit synergetischen Unternehmenskooperationen gleichsetzt, wie sie zum Zwecke der Erschließung neuer Märkte vereinbart werden, wird im Heft von Fiona McGovern kritisch reflektiert. In ihrem Beitrag "In wessen Interesse? Zu einer Ethik künstlerischer Sammlungspräsentationen" ordnet sie die sammlungsbezogenen Interventionen von Künstler*innen schlüssig in den Diskurs um Institutionskritik [1], New Institutionalism und New Museology ein und bringt die in den letzten Jahren virulent gewordene Frage zur Sprache, "ob und wenn ja, wie überhaupt noch kritische Ansätze von künstlerischer Seite aus entwickelt werden können oder ob sie durch die fortgeschrittene Kanonisierung und Institutionalisierung der Kritik inzwischen nicht selbst zu einem historischen Phänomen und damit Teil des Problems geworden sind" (56). Ausgehend von Fred Wilsons legendärer Sammlungsintervention "Mining The Museum"[2] in der Maryland Historical Society in Baltimore aus dem Jahr 1992/93 über die Einrichtung einer Künstler*innenresidenz im MARKK in Hamburg bis zur Ausstellung "Always, Always, Others. Unklassische Streifzüge durch die Moderne" im mumok Wien stellt sie gelungene Kooperationsmodelle vor, die mehr sind als ein "Mittel zum Zweck eines angestrebten radical change" (70). Fiona McGovern sieht in ihnen vielmehr eine "von gegenseitiger Fürsorge geprägte, nachhaltigere kuratorische Praxis" (70).
Annette Bhagwati, die die Ausstellung "Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald", näher untersucht, die 2017 am Centrum für Naturkunde in Hamburg stattfand, deutet "Joint" bildlich als Verbindungsstück, als Scharnier, das die Lücke zwischen verschiedenen Wissenskulturen überbrückt. Dabei verschweigt sie nicht, dass das Projekt, das sich grosso modo mit dem Naturbegriff vor dem Hintergrund kolonialer Ausbeutung und im speziellen mit dem Aktionsfeld des britischen Naturforschers Alfred Russel Wallace befasste, nicht nur Machtmissbrauch und politische Konflikte der Vergangenheit offenbarte, sondern zuweilen selbst zu Spannungen zwischen den mit künstlerischen Mitteln arbeitenden Gastkurator*innen und dem im Haus dauerhaft tätigen Museumspersonal führte.
Die meisten Autor*innen sind weniger an solch definitorischen Klärungen als vielmehr an der Rekonstruktion und Beurteilung exemplarischer künstlerischer Vorgehensweisen interessiert, wobei eine Fixierung auf die eigene Gegenwart überwiegt. Dieser Präsentismus[3] wird historisch stimmig hergeleitet, indem die Rezeptionsgeschichte der Zusammenarbeit zwischen El Lissitzky und Alexander Dorner im Provinzial-Museum Hannover im Jahr 1927 an den Anfang gestellt wird (Ines Katenhusen), war es doch das Kabinett der Abstrakten, das die im Kino eingeübte Simultaneität als Wahrnehmungsmodus ins Kunstmuseum überführte.[4] Heute setzen Künstler*innen wie Bethan Huws "assoziative Formen der Verkettung der Exponate" (73) ein, um den kuratorischen Vorgaben, hier formuliert von Renate Wiehager, Leiterin der Daimler Art Collection Berlin, zu entsprechen und sie zugleich zu unterlaufen (Iris Wien). Sie streben - wie Rirkrit Tiravanija - "eine symbolische Unterwanderung der Katalogisierung von Objekten" (175) an, indem sie sich musealen Klassifikations- und Ordnungssystemen verweigern (Jörn Schafaff). Sie verleihen - wie Laure Prouvost - der Vision, das Museum könne ein paradiesischer Ort sein, absurd-komische Züge (Stefanie Stallschus) oder prangern - wie Sondra Perry - die "'Systemfehler' der Universalmuseen [...] im Hinblick auf ihre Sammlungspolitiken und Vermittlungsstrategien" (257) an (Daniel Berndt).
Deutlich wird, dass das Experiment, "durch künstlerischen Zugriff Dekolonialisierungsprozesse anzustoßen" (129), von ethnologischen Museen ausging. In dieser Hinsicht hat das Frankfurter Weltkulturen Museum unter der Direktion von Clémentine Deliss von 2010 bis 2015 durch die Zusammenarbeit mit Künstler*innen "als Dauerzustand und Grundlage aller musealen Aufgaben" (187) eine Vorreiterfunktion übernommen. Stefanie Heraeus bemängelt allerdings "die dominierende kuratorische Handschrift der Museumsleitung" (208). Um Machtverhältnisse nicht zu stabilisieren, sondern aushandeln zu können, sei es notwendig, so Bärbel Küsters Plädoyer, bereits im Vorfeld gemeinsamer Projekte die Positioniertheit sämtlicher Teilnehmer*innen - ihre soziale Situierung, ihre Rollen innerhalb der Institutionen und die Rahmenbedingungen ihres jeweiligen Handelns - zu bedenken.
Das Heft ist eindrücklicher Beweis dafür, dass die strategischen Allianzen zwischen Museen und Künstler*innen ein fruchtbares Forschungsfeld eröffnen, das Perspektiven der Curatorial Studies, der New Museum Studies und der Postcolonial Studies produktiv miteinander verschränkt. Blinder Fleck ist allerdings die Rolle der akademischen Kunstwissenschaft. Zuweilen entsteht bei der Lektüre nämlich der Eindruck, es könne die Kunstwissenschaft sein, die am meisten von ihrer impliziten Komplizenschaft mit den Künstler*innen profitiert, während die Tätigkeitsfelder der Kurator*innen, die als Stellvertreter*innen von Institutionen beschrieben werden, die im Rahmen einer Jahrhunderte langen Geschichte Systematiken, Ordnungssysteme und Displays hervorgebracht haben, lediglich Anlass zu Kritik und Dekonstruktion bieten. Dabei demonstrieren die erhellenden Beiträge von Khadija von Zinnenburg Carroll und Alhena Katsof im Heft, dass die Grenzen zwischen Künstler*innen und Kurator*innen in Museen oftmals fließend sind: [5] Statt Rollenzuschreibungen zu fixieren, kommt es vielmehr darauf an, nicht nur anklagend zurückzuschauen, sondern gemeinsam an einer neuen Verantwortungsästhetik [6] zu arbeiten.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Isabelle Graw: Jenseits der Institutionskritik. Ein Vortrag im Los Angeles County Museum of Art, in: Texte zur Kunst, 59 (2005), 40-53.
[2] Vgl. Fred Wilson: Die museale Aufbereitung des Spektakels kultureller Produktion, in: Das Museum als Arena. Institutionskritische Texte von KünstlerInnen, hg. von Christian Kravagna, Köln 2002, 119-124.
[3] Vgl. Eckhard Schumacher: Present Shock. Gegenwartdiagnosen nach der Digitalisierung, in: Merkur. März (2018), 72. Jg., H. 826, 67-77.
[4] Vgl. Annette Tietenberg: Die Ausstellungskopie als anachronistisches Geschichtsmodell. Demonstriert am Beispiel des Kabinetts der Abstrakten in Hannover, in: Textes & Contextes. 71-1, 2022, Anachronismes, hgg. von Anne Deffarges / Hélène Valance
https://preo.u-bourgogne.fr/textesetcontextes/index.php?id=3376
[5] Vgl. Beatrice von Bismarck: Kuratorisches Handeln. Immaterielle Arbeit zwischen Kunst und Managementmodellen, in: Norm der Abweichung, hg. von Marion von Osten, Zürich 2003, 81-98, hier 91.
[6] Tom Holert: Eine meta-ethische Wende. Anmerkungen zu einer neuen Verantwortungsästhetik, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 81, (2018), 538-554.
Annette Tietenberg