Alexandra Bleyer: 1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution, Stuttgart: Reclam 2022, 336 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-3-15-011281-6, 26,00
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Christopher Clark: Frühling der Revolution. Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, Klaus-Dieter Schmidt und Andreas Wirthensohn, München: DVA 2023
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Die Autorin will der "Multiperspektivität der historischen Realität einigermaßen gerecht werden" (9). Das ist ihr gelungen. Und nicht nur einigermaßen. Wer dieses Buch liest, erhält einen vorzüglichen Einblick in das revolutionäre Geschehen in Europa, erfährt, warum die Revolution gegensätzlich wahrgenommen werden konnte, wie unterschiedlich die Erwartungen und die Handlungsmöglichkeiten waren, und warum diese Revolution, obwohl sie gescheitert ist, dennoch auf die Haben-Seite der Demokratiegeschichte gehört. Informationen, Reflexionen, Wertungen - und all das lesefreundlich geschrieben, auf der Höhe der Forschung, ohne Fachjargon. Man spürt, warum die promovierte Historikerin als Journalistin, Schreibberaterin, Sachbuch- und Krimiautorin erfolgreich ist. [1]
Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den Revolutionszentren in den deutschen Staaten und der Habsburgermonarchie, Frankreich und Italien, doch man wird über den gesamten europäischen Raum informiert. Einige Besonderheiten des Buches verdienen es, hervorgehoben zu werden. Die auffälligste: Durchgehend wird danach gefragt wird, welche Möglichkeiten Frauen in der Vielfalt politischer Räume hatten, sich an der Revolution zu beteiligen, wie sie diese genutzt und versucht haben, sie zu erweitern. Frauen waren in allen Bereichen beteiligt, an der elementaren Revolution - bei gewaltsamen Aktionen aller Art, bei Demonstrationen und Protesten, in der Straßenöffentlichkeit - und auch in der Institutionenrevolution, wenngleich ihnen hier die Teilnahme an Wahlen und damit der Eintritt in die Parlamente verweigert wurden. Aktiv waren Frauen auch auf der Seite der Gegenrevolution. So wird ausführlich Erzherzogin Sophies Einfluss am Wiener Hof geschildert. Weil Bleyer den Menschen möglichst "über die Schultern schauen" (9) will und dafür Briefe, Tagebücher und andere Ego-Dokumente nutzt, kann sie anschaulich zeigen, wie die Revolution Leben verändern konnte und was es für Frauen bedeutet hat, wenn sie in politische Räume eindrangen, welche die Männer, auch Demokraten und Republikaner, ihnen verschließen wollten. Diese Revolutionsgeschichte führt eindrucksvoll vor Augen, wie das Gesamtbild sich ändert, wenn Frauen einbezogen werden. Und dass dies möglich ist, ohne Sprachbarrieren einzubauen. Der Verzicht auf Gender-Zeichen erlaubt es zudem, eine ironische Merkhilfe für Unverständige einzufügen, wenn die Autorin schreibt, obwohl Gleichberechtigung und Frauenwahlrecht nicht erreicht und von den allermeisten Männern abgelehnt wurden, sei es "ein großes Verdienst hartnäckiger Publizistinnen (Männer sind hier mitgemeint), das Thema in den öffentlichen Diskurs eingebracht zu haben" (269).
Eine zweite Besonderheit des Buches besteht darin, dass in allen Revolutionsbereichen darauf geachtet wird, ob sich Juden und Jüdinnen beteiligt haben, welche Ziele sie vertraten, auf welche Formen der Abwehr sie stießen und wie diese begründet wurden. Zu den Besonderheiten gehört auch, dass die Autorin versucht, der nicht geringen Zahl derer, welche die Revolution zwar beobachtet haben, sich aber nicht an ihr beteiligen wollten, eine Stimme zu geben. Dies ist quellenbedingt schwierig, aber doch möglich.
Wo immer die (gedruckten) Quellen es zulassen, betrachtet Bleyer das Revolutionsgeschehen im Leben einzelner Personen. Wenn dieser individuelle Blick nicht möglich ist oder nicht angemessen wäre, analysiert sie strukturelle Prozesse. Dies gilt insbesondere für den Übergang vom "Völkerfrühling" zum Nationalitätenkampf und für die Entwicklungen im Agrarbereich. Sie untersucht eingehend die gesellschaftlichen Hierarchien auf dem Land, typisiert die Besitzarten und verbindet sie mit den unterschiedlichen Handlungsformen und Zielen. Auch hier verengt sie den Blick nicht nationalgeschichtlich. So tritt die in allen Staaten bedeutsame Rolle der Landbevölkerung hervor und deren Lernprozesse im Laufe der Revolution werden betont.
Eingehend betrachtet werden auch die Wege in die Revolution und die Wirkungen, die von ihr ausgingen. Die Autorin bilanziert präzise, welche Revolutionsergebnisse bewahrt und welche rückgängig gemacht wurden, vor allem aber fragt sie nach den längerfristigen Spuren, welche die Revolution in den Zukunftserwartungen der Menschen hinterließ. Auch hier verengt sie nicht den Blick auf die Revolutionäre und die Reformer in revolutionärer Zeit, sondern fragt auch, wie die Herrschenden über die Repressionsmaßnahmen hinaus reagierten, wie sie ihre Revolutionserfahrungen verarbeiteten, ob sie ihre Haltung zum Partizipationswillen in der Gesellschaft geändert haben und welche Bedeutung sie in ihrer nachrevolutionären Politik dem Nationalstaat zumaßen. So differenziert die schmale Gruppe der Herrschenden betrachtet wird, so präzise werden auch die unterschiedlichen Wege der Revolutionäre nach ihrem Scheitern verfolgt. Verfolgung und Flucht, Emigration und Rückkehr nach den Amnestien, Anpassung an das politische Leitbild "Realpolitik" und Fortführung oppositioneller Ziele unter neuen Bedingungen - ein weites Feld, das ausgeleuchtet wird, indem wieder individuelle Schicksale, in denen allgemeine Entwicklungen sichtbar werden, in den Mittelpunkt gestellt werden.
Schließlich eine Bemerkung zum Handwerklichen. Es ist ein Sachbuch. Zitate aus der Fachliteratur werden nachgewiesen, die weitaus zahlreicheren Quellenzitate nicht. Doch sie werden genau genug benannt, um sie mittels des Literaturverzeichnisses auffinden zu können. Zusätzliche Informationen bieten zahlreiche Abbildungen und farblich abgehobene Passagen mit längeren Quellenauszügen.
Alexandra Bleyer ist eine Geschichte der europäischen Revolutionen von 1848 gelungen, der ein breites Publikum zu wünschen ist.
Anmerkung:
[1] http://www.alexandrableyer.at/
Dieter Langewiesche