Armin Bergmann: Das Martyrium und seine Stellung im kirchlichen Reformdenken des ausgehenden Mittelalters. Eine ideengeschichtliche Untersuchung mit Fallstudien von Marsilius von Padua bis Savonarola, Berlin: De Gruyter 2022, VIII + 177 S., ISBN 978-3-1107-8633-0, EUR 82,95
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Die im Februar 2021 angenommene Augsburger historische Dissertation verbindet zwei für die mittelalterliche Kirchengeschichte höchst bedeutsame Konfliktfelder, Martyrium und Reform. Um derart gewichtige Themen auf knappem Raum durchdringen zu können, hat der Verfasser sich für den Vergleich von ausgewählten Reformern des 14. und 15. Jahrhunderts entschieden.
Auf eine Einleitung und ein Kapitel, in dem die Begriffe 'Reform' und 'Martyrium' erläutert werden, folgt das Hauptkapitel 3. Dort finden sich insgesamt fünf Fallstudien: Marsilius von Padua und John Wyclif für das 14., Johannes Hus, Girolamo Savonarola und Andreas Jamometić für das 15. Jahrhundert, von kürzeren Ausblicken auf weitere, vergleichbare Persönlichkeiten (zum Beispiel Wilhelm von Ockham oder Pius II.) abgesehen. Bergmanns Ziel ist, zu erklären, warum die Reformer des 14. Jahrhunderts anders endeten als ihre Nachfolger: Marsilius und Wyclif starben zwar im Exil beziehungsweise im privaten Refugium, aber nicht gewaltsam, während Hus und Savonarola verbrannt wurden und Jamometić in der Haft umkam. Der Unterschied, so die These, hänge damit zusammen, dass die Kirchenreformer des 14. Jahrhunderts ihre Reformideen "mittelbar", nämlich mit Hilfe einer weltlichen Macht, in deren Schutz sie sich stellten, lancierten, während die Reformer des 15. Jahrhunderts sich selbst "unmittelbar" zur Speerspitze der Reform erhoben, sich daher auch stärker als Märtyrer inszenierten und entsprechend endeten (zusammenfassend 144-146).
Die Quellenarbeit muss sich bei derart breit erforschten Themen (dass das Martyrium im Unterschied zur Reform "nur selten im Fokus des wissenschaftlichen Interesses steht" (8), würde der Rezensent so nicht einmal für die deutschsprachige, geschweige denn die internationale Forschung unterschreiben) und bei derart schreibfreudigen Personen zwangsläufig auf eine Auswahl des Nötigsten beschränken. Hauptsuchkriterium ist die Frage, wie die fünf Reformer sich zur Idee des Martyriums stellten, was sie über Selbstopfer, über antike Märtyrer und imitatio Christi sagten und welche einschlägigen Bibelstellen sie zitierten. Der Verfasser benutzt gerne, wenn auch nicht ausschließlich, deutsche Übersetzungen der Traktate seiner Autoren, gibt in den Anmerkungen aber erfreulicherweise die lateinischen (oder, bei Savonarola, auch italienischen) Originalpassagen wieder. Diese Zusammenstellung ist verdienstvoll, und mehr lässt sich angesichts der Tatsache, dass über so bekannte Persönlichkeiten auf 100 Seiten (die Länge von Kapitel 3) kaum etwas Neues gesagt werden kann, auch nicht erwarten.
Ihre Reformideen fasst Bergmann nach einzelnen Quellenzitaten, vor allem aber nach der Forschung zusammen, behilft sich dabei allerdings ein wenig zu häufig mit Lexikonartikeln. Auf ausgewählten historischen und theologiegeschichtlichen Vorarbeiten basiert auch die Begriffsgeschichte von 'Reform' und 'Martyrium' in Kapitel 2. Hier wäre, statt eines raschen Durchmarschs, eine Problemgeschichte des Martyrium-Begriffs zu wünschen gewesen, ein geduldigeres Abschichten der Metaphorisierungen, Rückübertragungen ins Reale und Entgrenzungen des Martyriums und seiner während des Mittelalters ersonnenen paradoxen Logiken. Schade ist auch, dass er die gängige Formel von der "Rückwärtsgewandtheit" (11 und öfter) des mittelalterlichen Reformdenkens nachschreibt, ohne die Gelegenheit zu ergreifen, der Sache auf den Grund zu gehen.
Bergmanns These fordert zu zwei Haupteinwänden heraus: Erstens bleibt die Auswahl der fünf Reformer ohne nähere Begründung. Diese fünf, weil sie besonders berühmt sind? Hätte es keine anderen gegeben? Ihre geringe Zahl verbietet es eigentlich, an ihnen eine historische Entwicklung zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert festmachen zu wollen. Würde man zu Wyclif die Lollarden und zu Wilhelm von Ockham (der im Zusammenhang mit Marsilius erwähnt wird) die Fratizellen hinzunehmen, würde sich das Bild vom friedlichen Ende im eigenen Bett für das 14. Jahrhundert verändern. Und würde man Reformer wie Nikolaus von Kues heranziehen (dem phasenweise nicht allzu viel zum Märtyrer fehlte), sähe das 15. Jahrhundert weniger blutig aus. Wie kann das Thema sinnvoll auf das Spätmittelalter begrenzt werden? Waren die Märtyrer der gregorianischen Reform des 11. Jahrhunderts oder die Märtyrer der Reformation aus völlig anderem Holz geschnitzt? Wie soll generell die Grenze zwischen Reform und Häresie gezogen werden - eine Frage, die nicht diskutiert wird?
Sie führt, zweitens, zum Problem, welcher konkrete Zusammenhang summa summarum zwischen Reform und Martyrium nachgewiesen werden kann. Dass Dissidenten und Kritiker des Bestehenden ihr Leben riskieren und sich oft als Märtyrer inszenieren oder als solche kommemoriert werden, ist ja nichts Neues. Dass ein solcher Zusammenhang ein historisch relevanter kultureller oder ideengeschichtlicher Faktor im kirchlichen und politischen Leben speziell des Spätmittelalters war, scheint dem Rezensenten auch nach der Lektüre des Buches nicht bewiesen.
Thomas Frank