Rezension über:

Elena Woodacre: Joan of Navarre. Infanta, Duchess, Queen, Witch?, London / New York: Routledge 2022, XVIII + 340 S., ISBN 978-0-3672-0347-4, GBP 35,99
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Rezension von:
Olivia Mayer
Alpen-Adria-Universität, Klagenfurt
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Olivia Mayer: Rezension von: Elena Woodacre: Joan of Navarre. Infanta, Duchess, Queen, Witch?, London / New York: Routledge 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 2 [15.02.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/02/37379.html


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Elena Woodacre: Joan of Navarre

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Elena Woodacre widmet ihr Werk einer Frau, die trotz ihres bewegten Lebens zu einer Fußnote der Geschichte reduziert wurde, obgleich Johanna von Navarra (gest. 1437), Tochter des berüchtigten Karls II. von Navarra, Herzogin einer geteilten Bretagne und Königsgefährtin Heinrichs IV. von England war. Mit der Studie nimmt die Historikerin sich eines Desiderats an und beleuchtet in zwei Teilen gegliedert sowohl die Biografie Johannas (Kapitel 1-4) als auch moderne Forschungsthemen wie Objektgeschichte, Gabentausch, Netzwerk und Patronage (Kapitel 5-7).

Erstmalig wird das Leben der adligen Frau in Gänze untersucht und in den Kontext des Hundertjährigen Kriegs gesetzt. Auf ihre vorherigen Studien zu navarresischen Regentinnen aufbauend leistet Woodacre insbesondere zu den frühen Jahren Johannas Pionierarbeit. Dadurch wird ersichtlich, dass sie ihr ganzes Leben am Familiennetzwerk des Hauses Évreux-Navarra partizipierte. Sehr aufschlussreich ist auch die Analyse der überlieferten Haushaltsbücher, die Einblicke in das alltägliche Leben und die Erziehung der navarresischen Prinzessin geben. Die früheste Erwähnung zu ihr sieht Woodacre in einer 1369 ausgestellten Quittung des Konvents Santa Klara bei Estella, welche die Erziehung einer Isabella, Tochter Karls II. von Navarra, zum Inhalt hat. Hierbei handelt es sich vermutlich um Johanna, die später zum Gedenken an ihre Mutter Johanna von Frankreich umbenannt wurde (26).

In ihrer ersten Ehe mit Herzog Johann IV. von der Bretagne musste sie sich zunächst hinsichtlich eines fehlenden Erben und innenpolitischen Konflikten behaupten. Kurz aufeinanderfolgende Geburten von Töchtern und Söhnen festigten ihre Stellung als Herzogin. Aufgrund ihrer Verwandtschaft mit fast allen wichtigen Häusern Frankreichs war sie ihrem Ehemann eine diplomatische Stütze. So sind friedensstiftende Vermittlungen das besondere Talent Johannas gewesen. [1] Dies wurde auch nach dem Tod Johanns 1399 ersichtlich: Als Regentin bildete sie Allianzen mit verfeindeten bretonischen Familien und konnte die Bretagne zunächst vor den Machtinteressen anderer schützen.

Über ihre erste Begegnung mit dem späteren Heinrich IV. von England und über die Beweggründe Johannas, ihn 1403 zu heiraten, spekulierten schon Zeitgenoss*innen. Auch Woodacre schlägt eine Theorie vor: Das künftige Paar soll sich zum ersten Mal bei der Hochzeit Richards II. von England und Isabellas von Valois getroffen haben (57). Außerdem stützt sie Michael Jones' These, dass das absehbare Ende der Regentschaft Johannas einer der Gründe für ihre erneute Eheschließung gewesen sein könnte. [2] Während sich die bisherige Forschung bei der Bewertung Johannas als Königsgefährtin auf die bretonisch-englischen Beziehungen konzentrierte, wird in dieser Studie auch das französisch-navarresische Familiennetzwerk Johannas betrachtet. Ferner wird ihre aktive Rolle im Zeremoniell, als Petentin und in der Politik hervorgehoben. In ihrer Funktion als Königswitwe unterstützte sie stets ihren Stiefsohn Heinrich V. sowie nach Möglichkeit ihren Sohn aus erster Ehe, Johann V./VI. von der Bretagne.

1419 wurde Johanna der Magieausübung an Heinrich V. beschuldigt. Schon im Titel des Werks setzt Woodacre hinter der Zuschreibung "Hexe" ein Fragezeichen und betont, dass in den Quellen zunächst nur ein Komplott Johannas gegen den König genannt wird. Erst spätere Chronisten erweiterten die Anklage um Magie, sodass Johanna noch heute als "königliche Hexe" rezipiert wird (114-115). Die These, dass der König die Anschuldigung inszenierte, um den Besitz Johannas konfiszieren zu können, relativiert die Historikerin, denn die beschlagnahmte Summe habe nicht ansatzweise ausgereicht, die leeren Kriegskassen zu füllen. Vielmehr wurde versucht, Johanna von Navarra politisch zu neutralisieren (116). Dass Heinrich beabsichtigte, sich mit Katharina von Valois zu vermählen und ihren Haushalt später zum Teil aus den Geldern Johannas bestritt, wird jedoch außer Acht gelassen, obwohl dies den finanziellen Aspekt der Anschuldigung durchaus bekräftigt. [3]

Aufgrund der guten Überlieferungslage wirtschaftlicher Quellen zur Person Johannas wird in der Forschung stets ihre Morgengabe und ihr Wittum thematisiert. Auch diese Studie widmet sich den Finanzen der Königsgefährtin, die ihr Wittum sowohl in der Bretagne als auch in England behaupten musste. Unvollständig waren ebenso die Auszahlungen ihrer Morgengabe von jährlich 10.000 Mark, die Johanna mehrmals vor dem englischen Parlament einfordern musste. Dabei handelte es sich um eine durchaus angemessene Summe für eine Königsgefährtin, die sich an der Morgengabe ihrer Vorgängerin Isabella von Valois orientierte. [4] Schließlich betrachtet Woodacre die Verwaltung der Güter Johannas sowie zusätzliches Einkommen und Ausgaben. In der Netzwerkanalyse werden die miteinander verzahnten, sogenannten kleinen und großen Zirkel untersucht. Demnach wählte Johanna ihre engsten Vertrauten sorgsam aus, von denen ihr einige über einen langen Zeitraum hinweg dienten und sie sowohl in Navarra, der Bretagne sowie in England begleiteten. Dies führte zu Misstrauen gegenüber der "Fremden" im Gefolge der Königsgefährtin (215-219).

Abschließend widmet sich die Historikerin den Orten, der Frömmigkeit, den Objekten und den Besitzungen sowie der kulturellen Patronage Johannas von Navarra. Auffällig ist, dass sich ihre Frömmigkeit nicht durch Stiftungen für oder Zuwendungen an bestimmte Orden auszeichnete (245-246). Die Ursache hierfür könnte das Große Schisma sein, denn Johanna gehörte der Obödienz des avignonesischen, England hingegen der des römischen Papsts an. So lag die Ablehnung gegenüber ihrem Gefolge, das als häretisch angesehen wurde, in der päpstlichen Zugehörigkeit begründet (248-249). Mit dem Ansatz der Objektgeschichte erweitert Woodacre die Netzwerkanalyse und kann damit Aussagen zur Patronage Johannas tätigen, die sie nach der Magieanschuldigung schützte und bei ihrer Rehabilitation half.

Die detailreiche Studie hätte an wenigen Stellen gekürzt werden können wie bei den Ausführungen zu den Haustieren Johannas (28) oder den illegitimen Söhnen des Hauses Évreux-Navarra (17-20). Dass Johanna in ihrer ersten Ehe unter enormen Druck stand, Erben zu gebären, wird im zweiten Kapitel repetitiv erwähnt. Auch hier wäre eine Kürzung wünschenswert gewesen. Außerdem wird anhand einigen emotionalisierend erscheinenden Stellen wie "perhaps an omen of the challenges she would face [...]" ersichtlich (73), dass sich das Werk in das Genre der Herrscherinnenbiografien einreihen möchte. Stets wird Johannas verwandtschaftliche Verflechtung zu allen wichtigen Familien Frankreichs, Navarras und Englands betont, die ihr einen diplomatischen Handlungsraum im Hundertjährigen Krieg gewährte. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass dies kein Einzelfall war und auch andere Familien während des Hundertjährigen Kriegs betraf (297).

Woodacre hat mit ihrer Studie eine Lücke in der Forschung geschlossen und sich der Person Johannas mit neuen Forschungsansätzen angenähert. An dieser Stelle muss auch die reichhaltige Auswahl an Quellen hervorgehoben werden sowie die kritische Arbeit mit alter und neuester Forschungsliteratur. Aktuelle Erscheinungen zum Hundertjährigen Krieg und der Geschlechtergeschichte wurden miteinbezogen und die Ereignisse aus der Perspektive der weiblichen Eliten analysiert, sodass bisher außer achtgelassene Handlungsspielräume Johanna von Navarra aus den Fußnoten der Geschichte hervortreten lassen.


Anmerkungen:

[1] Michael Jones: Between France and England. Jeanne de Navarre, Duchess of Brittany and Queen of England (1386-1437), in: Between France and England. Politics, Power and Society in Late Medieval Britanny, Aldershot 2003, 5.

[2] Ibid., 9.

[3] Alec Reginald Myers: The Captivity of a Royal Witch. The Household Accounts of Queen Joan of Navarre, 1419-21, in: Bulletin of the John Rylands Library, Bd. 24, 1940, 276; Paul Strohm: England's Empty Throne. Usurpation and the Language of Legitimation, 1399-1422, London / New Haven 1998, 164.

[4] Katia Wright: A Dower for Life. Understanding the Dowers of England's Medieval Queens, in: Later Plantagenet and the Wars of the Roses Consorts. Power, Influence, Dynasty, hgg. von Aidan Norrie / Carolyn Harris / J. L. Laynesmith / Danna Messer / Elena Woodacre, New York 2022 [im Erscheinen].

Olivia Mayer