Rezension über:

Carey Fleiner / Elena Woodacre (eds.): Virtuous or Villainess? The Image of the Royal Mother from the Early Medieval to the Early Modern Era, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2016, XIV + 256 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-1-137-51314-4, EUR 76,99
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Anne Foerster
Historisches Institut, Universität Paderborn
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Anne Foerster: Rezension von: Carey Fleiner / Elena Woodacre (eds.): Virtuous or Villainess? The Image of the Royal Mother from the Early Medieval to the Early Modern Era, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 4 [15.04.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/04/30047.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Carey Fleiner / Elena Woodacre (eds.): Virtuous or Villainess?

Textgröße: A A A

Das Gebären von Söhnen zur Sicherung der Dynastie war eine der wichtigsten Aufgaben einer Königin. Die Rolle als Mutter prägte ihr Leben und eröffnete Zugänge zur Herrschaft, wie etwa die Biographien Agnes' von Poitou oder Eleonores von Aquitanien zeigen. Die Königinnenforschung hat die Bedeutung von Mutterschaft bisher nicht systematisch untersucht. Erfreulicherweise sind dem Aufruf Carey Fleiners und Elena Woodacres, königliche Mütter des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in den Blick zu nehmen, viele KollegInnen gefolgt, sodass ein zweiteiliges Sammelwerk entstand, in dem die AutorInnen deutlich zeigen, welches Potential diese Perspektive bietet. Nach dem ersten Band zu Royal Mothers and their Ruling Children, der sich auf die Beziehung zwischen Herrschern und ihren Müttern konzentriert, beschäftigt sich der nun vorliegende zweite Band mit zeitgenössischen und modernen Konzepten von Mutterschaft und deren Einfluss auf die Bewertung vormodernen Königinnen.

Mehrere der Studien befassen sich mit der Funktion der Königinnen, ihre Kinder zu erziehen. Diese Aufgabe nahmen Königinnen in größerem Maß wahr als bisher angenommen, wie Manuela Santos Silva, Louise J. Wilkinson und Laura Gathagan darlegen. So deckt Santos Silva den Anteil Philippas von Lancaster an der Unterweisung ihrer Kinder auf, indem sie englische Einflüsse in deren religiöser Praxis kenntlich macht. Die Vermutung einer auf Veranlassung der portugiesischen Königin hin englisch geprägten Ausbildung am Hof stützt sich auf allgemeine Erkenntnisse zur Bildungsgeschichte. Der Einfluss, den die Herkunft der Mutter hatte, wird jedoch auch in den anhaltenden Kontakten ihrer Söhne zum englischen Hof deutlich.

Gegensätzliche Erwartungen an Königinnen sind ein wiederkehrendes Thema der Beiträge. Charles Beem thematisiert die Kompatibilität der Rollen Herrscherin und Mutter im Hochmittelalter und erklärt die verzögerte Reaktion 'Kaiserin' Mathildes im englischen Thronstreit mit der noch nicht abgeschlossenen Familienplanung. Zwei sehr unterschiedliche Darstellungen Mathildes von Flandern als Mutter erforscht Laura L. Gathagan: Ordericus Vitalis' Kämpferin, die sich auch militärisch für ihren Sohn einsetzt, und die klagende, sich dem Verlust ihrer Tochter durch deren Klostereintritt nicht erwehrende Frau von Fulco von Beauvais. Gathagan deutet an, wie die mütterliche Schutzfunktion bei Ordericus mit den Rollen als Ehefrau und Königin kollidiert, wohingegen Fulcos Mathilde, die ihre Tochter nicht schützt, sich unterordnet.

Für Macht und Einfluss sorgte eine geschickte Inszenierung der Mutterrolle. Die Darstellungen der byzantinischen Kaiserin Theodora im Kreis ihrer Familie wertet Kriszta Kotsis als effektive Reaktion auf Bedrohungen für die kaiserliche Herrschaft und die dynastische Stabilität. Für die Kunsthistorikerin demonstrieren die Abbildungen auf Münzen und einer Bronzetür der Hagia Sophia die Stärkung der Dynastie durch die kognatische Verwandtschaft. Auch Violante von Bar und Jolanthe von Aragón legitimierten ihre Ausübung von Macht und Herrschaft mit der Beziehung zu ihren Söhnen, wie Zita Rohr in ihrem Beitrag andeutet. Während sie dabei vormoderne Schachanleitungen gewinnbringend auf die gesellschaftliche Position von Königinnen hin untersucht, verliert sie den Aspekt der Mutterschaft etwas aus den Augen.

Ehrgeiz war für eine Königin geschlechtsuntypisch und daher keine angemessene Eigenschaft. Charles Beem konstatiert, dass Frauen berechtigt waren zu herrschen, solange sie dies nicht aus eigenem Interesse, sondern im Interesse eines Mannes taten und begründet so das Scheitern der 'Kaiserin' Mathilde in England. Dort hatte sie den Thron für sich beansprucht, während ihr die Mutterrolle, der Kampf für ihren Sohn, mehr Zuspruch verliehen hätte. Margaret Beaufort dagegen nutzte, wie Sally Fisher skizziert, ihre Rolle als Mutter und ihr Keuschheitsgelübde, um Kritik wegen ihres ehrgeizigen Handelns vorzubeugen.

Aus Machtgier den eigenen Nachwuchs vernachlässigt zu haben, wirft die moderne Forschung manchen Königinnen vor. Louise J. Wilkinson rehabilitiert Isabella von Angoulême, indem sie zeigt, dass diese ihre Kinder nicht freiwillig verließ. Sie waren ihr durch den englischen Regentschaftsrat bereits entzogen, bevor sie sich abwandte. Woodacre begutachtet die Forschung zu Johanna von Navarra, Witwe des bretonischen Herzogs, die ihren Nachwuchs zurückließ, als sie den englischen König heiratete. Die bretonische Forschung wertete sie als machthungrig. Viktorianische HistorikerInnen würdigten dagegen ihre Selbstlosigkeit bei der Absicherung ihrer Kinder.

Wie die veränderliche Linse 'Mutterschaft' unterschiedliche Beurteilungen zutage bringt, demonstriert Woodacre damit ebenso wie Katherine Weikert, die in drei Romanen über 'Kaiserin' Mathilde die Übertragung von Vorstellungen und Debatten zur Mutterschaft nach der zweiten Welle des Feminismus ins Hochmittelalter aufdeckt. Als weniger durch veränderte Konzepte von Mutterschaft, sondern vielmehr durch nationalistische und kulturelle Kräfte im Polen des frühen 20. Jahrhunderts geprägt beschreibt Katarzyna Kosior den zeitgenössisch nicht belegten schlechten Ruf Bona Sforzas als Mutter. Die mächtige Italienerin wurde, so Kosior, zum Inbegriff des Polen dominierenden Westens und somit zur machthungrigen, ihre Kinder vernachlässigenden Fremden.

Die Beiträge ergänzen sich hervorragend und liefern einzeln wie in der Zusammenschau wertvolle Anregungen und neue Einsichten. Entbehrlich ist daher die Gliederung der Aufsätze in Teil 1 "Fashioning the Image of the "Good" and "Bad" Royal Mother" und Teil 2 "The Legacy and Reputation of Royal Mothers - from Their Contemporaries to the Present Day", zumal deren fehlende Trennschärfe in der Anordnung der Beiträge deutlich wird. Da die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in ihrer Interdependenz mit den Konzepten Herrschaft und Mutterschaft in den Beiträgen immer wieder hervortritt, hätte eine systematische Berücksichtigung dieser wechselseitigen Abhängigkeiten das Verdienst noch erhöht.

Mit der gewählten Perspektive gelingt es dem Sammelband, aus bereits bekanntem Quellenmaterial vormoderne Idealvorstellungen von Mutterschaft, deren Einsatzmöglichkeiten, aber auch deren Konfliktpotential herauszuarbeiten und auch den Einfluss, den die sich verändernden Mutterschaftskonzepte auf die bisherige Beurteilung der Königinnen in der modernen Geschichtsschreibung hatten, aufzudecken. Damit liefert er wesentliche Erkenntnisse zur Interdependenz von herrschaftlichem Handeln und Mutterschaft, die der Königinnenforschung entscheidende Impulse geben können.

Anne Foerster