Wolfram Drews / Antje Flüchter u.a.: Monarchische Herrschaftsformen der Vormoderne in transkultureller Perspektive (= Europa im Mittelalter; Bd. 26), Berlin: De Gruyter 2015, XI + 422 S., ISBN 978-3-11-041164-5, EUR 89,95
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Der vorliegende Band dokumentiert den Versuch einer DFG-Netzwerkgruppe, das Phänomen monarchischer Herrschaftsformen in der Vormoderne in seiner Vielfalt für einen transkulturellen Vergleich fruchtbar zu machen. Die zentrale Untersuchungseinheit bildet die Dynastie, deren Praktiken und Repräsentationen untersucht und mit anderen verglichen werden sollen. Die untersuchten Dynastien und ihre Herrschaftssysteme werden dabei nicht als in sich geschlossen betrachtet, sondern als eingebettet in mehr oder weniger weitreichende Netzwerke. Durch diesen Zugang soll unter anderem die Essentialisierung von Großkulturen aufgebrochen werden. Die Autoren verfolgen ein doppeltes Ziel: Zum einen zielen sie auf das Erklärungspotential, welches die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden ausgewählter Dynastien für Funktionsweisen und allgemeine Mechanismen monarchischer Herrschaftsformen bietet. Zum anderen soll die jeweilige Herrschaftsform aus den religiös-kulturellen oder epochalen Zuschreibungen wie islamisch oder mittelalterlich herausgebrochen werden, um sie stattdessen in ihrem konkreten historischen Kontext zu untersuchen. Die Autoren hoffen, mit ihrer Studie Anregungen für weitere transkulturelle Vergleiche geben zu können. Der Band ist das Ergebnis kollaborativen Schreibens, bei dem je drei der insgesamt neun Netzwerkmitglieder federführend für eines der drei Hauptkapitel verantwortlich zeichnen. Die Risiken ihres "Arbeitsexperiments" sind den Autoren bewusst: die Schwierigkeiten, die untersuchten Einzelphänomene so detailliert zu kontextualisieren wie dies in einer herkömmlichen Monografie möglich wäre; die unterschiedlichen Fachtraditionen der betroffenen Disziplinen; die Tatsache, dass die Zusammensetzung der Netzwerkgruppe - und somit die zugrundeliegende Expertise - letztlich arbiträr ist (22).
Der Band setzt sich aus Einleitung und drei Hauptkapiteln zusammen, in denen sich die Autoren dem Thema aus drei Perspektiven nähern: Eliten, Sakralität / Sakralisierung und Gedenken / Memoria. Die Einleitung (Antje Flüchter, 1-31) formuliert Ziele, Methodik und Vorgehen und verortet die Untersuchung konzeptionell, abgeschlossen durch die Vorstellung der Struktur des Bandes. Die Autoren der Hauptkapitel haben je eigene Zugänge und Vorgehensweisen gewählt, welche in den jeweiligen Einleitungen erläutert werden. Das erste Hauptkapitel (Christoph Dartmann / Antje Flüchter / Jenny Rahel Oesterle, 33-173) vergleicht Rekrutierungswege, die den Zugang zu Eliten in der Umgebung des Monarchen öffnen, die Inszenierung des Anspruchs eines elitären Status sowie die Formen der Kooperation und Konkurrenz zwischen Herrscher und Eliten sowie innerhalb der Eliten. Das zweite Hauptkapitel (Wolfram Drews / Almut Höfert / Jörg Gengnagel, 175-238) versucht, anhand des christlichen römischen Kaiserreichs sowie des islamischen Kalifats die Kategorien Religion und Sakralität für einen bestimmten Kontext zu historisieren und dabei für einen transkulturellen Horizont furchtbar zu machen. Das dritte Hauptkapitel (Gerald Schwedler / Ruth Schilling / Sebastian Kolditz, 239-344) untersucht die Manifestationen des Gedenkens an den Monarchen, den Stellenwert solcher Manifestationen und Praktiken für die Ausübung der Herrschaft, wessen Verfügung sie unterliegen, das Verhältnis zwischen einem zu Lebzeiten gestifteten Gedenken und dem Gedenken nach dem Tode sowie die Rolle des Gedenkens für die politische Krisensituation des Herrschaftsübergangs. Die Autoren stellen meist zwei oder drei Fallbeispiele aus den Sphären der jeweiligen Dynastien vergleichend gegenüber. So vergleichen Sie etwa den Sonderfall des "zweiten Mannes im Staat" am Beispiel des abbasidischen Wesirs und des Günstlings-Premierministers in verschiedenen europäischen Reichen (86-95). Der Ansatz der Autoren basiert dabei auf einem konstruktivistischen und interaktionistischen Kulturbegriff, in dessen Mittelpunkt die Zuweisung von Bedeutung steht: Kultur wird definiert durch die menschliche Fähigkeit, Symbole zu erzeugen und zu lesen.
Bei ihrem transkulturellen Vergleich, der seine Untersuchungseinheiten in einem verflochtenen Kontext angesiedelt sieht, treffen jedoch mehrere Kulturen aufeinander. Mit ihrem Verständnis von Transkulturalität rücken die Autoren dabei solche Phänomene in den Blick, die in der oder durch die Interaktion von verschiedenen Gruppen - als soziale Formationen auf allen Ebenen menschlicher Gemeinschaften - in solchen Kontaktzonen entstehen. Konzeptionell verorten sie ihre Studie einerseits in der historischen Komparatistik, während sie andererseits einen kulturalistischen Ansatz und eine globalgeschichtliche Perspektive vertreten. Die Autoren sind sich der Risiken und Schwächen der komparatistischen Methode, gerade wie sie von der historischen Sozialwissenschaft benutzt worden ist, bewusst und versuchen, diese zu minimieren. Etwa messen sie dem Akteur neue Relevanz bei, im Gegensatz zur Struktur. Die Studie antwortet auf ein Problem, mit dem sich heute letztlich alle historischen und kulturwissenschaftlichen Disziplinen konfrontiert sehen. 'Europa', 'die islamische Welt' oder 'Indien' lassen sich ebenso wenig isoliert betrachten wie 'die' Abbasiden, Karolinger oder Moguln. Die Autoren versuchen, für dieses Problem methodisch gangbare Lösungswege aufzuzeigen. Somit setzen sie den Trend globalgeschichtlicher Fragestellungen zur Vormoderne fort, der neben komparatistischen Ansätzen auch die Analyse von Transferprozessen einschließt. Sie schließen dabei an zahlreiche Studien an, in denen Fallbeispiele aus unterschiedlichen Kulturräumen miteinander verglichen werden, insbesondere das lateinische Europa und die arabisch-islamische Welt. Einige dieser Studien stammen von einzelnen Mitgliedern der Netzwerkgruppe selbst.
Obwohl eingedenk alleine der geografischen und chronologischen Spannbreite der verglichenen Dynastien wohl beinahe notwendigerweise Fragen offen bleiben, ist die Studie insgesamt überzeugend. Zwar wird der Fachmann für abbasidische Begräbnisriten wohl ebenso wenig grundlegend neue Erkenntnisse zu seinem Spezialgebiet erhalten wie der Experte für spätantike Herrschaftslegitimation, dies ist jedoch auch nicht der Anspruch der Autoren. Der an Möglichkeiten, Herausforderungen und Problemen des transkulturellen Vergleichs interessierte Leser hingegen wird ebenso zahlreiche Anregungen finden wie der an globalhistorischen Fragestellungen interessierte. Gleichzeitig erweist sich der arbeitstechnische Ansatz des Bandes, das kollaborative Schreiben einer letztlich arbiträr zusammengesetzten Expertengruppe, in der Tat als Risiko, da der universitäre Hintergrund der einzelnen Mitglieder den Text fundamental prägt. Die mediävistische Expertise ist dabei ebenso wenig zu übersehen wie die Tatsache, wie intensiv sich einige der Autoren in das Feld der Abbasiden eingearbeitet haben. Auf der anderen Seite fällt jedoch ebenso auf, wo die entsprechende Expertise nicht in gleichem Umfang vorhanden ist. Dies ist etwa für weite Teile der persophonen Welt zu konstatieren und tritt etwa dort deutlich zutage, wo auf die Safaviden oder das Sultanat von Delhi eingegangen wird. Aussagen haben hier oft eher allgemeinen Charakter, verallgemeinern bisweilen und scheinen häufig auf der Basis von Studien getroffen, die schwerpunktmäßig andere Dynastien zum Gegenstand haben, insbesondere die Moguln. Nicht selten scheinen diese auch für Analogieschlüsse Pate gestanden zu haben, sei es durch die Autoren selbst oder durch die von ihnen herangezogenen Studien. Allerdings sind allgemeingültige Aussagen etwa zur Frage nach dem Verhältnis zwischen fester Residenz und Reisekönigtum unter 'den' Safaviden (106, insb. Fußnote 290) riskant und Analogieschlüsse von 'der' Situation unter den Moguln problematisch. Nicht zuletzt liegt eine Reihe von Studien speziell zum safavidischen Hof vor, die unerwähnt bleiben. Die Aussage hingegen, Militärsklaven hätten mit dem Sultanat von Delhi weite Teile Indiens beherrscht (72), scheint stark vom Wissen über die ägyptischen Mamluken geprägt und gibt die Lage im mittelalterlichen Indien nur allzu oberflächlich wieder.
Zwar sind sowohl die Safaviden als auch das Sultanat von Delhi für die vorliegende Studie marginal und ihre Auswahl der Vorbildung dieses Lesers geschuldet. Das Grundproblem fällt jedoch auch an anderer Stelle auf, und mag anders vorgebildeten Lesern an wiederum anderen Stellen auffallen. Wichtiger ist ohnehin, dass sich der mediävistische Schwerpunkt auch bei der Gewichtung der Fallbeispiele zeigt: Solche aus dem islamischen oder indischen Raum kommen in nur wenigen Fällen den europäischen an Umfang und Tiefe gleich und sind zudem meist weniger gut belegt (was zweifelsohne auch dem quantitativen Ungleichgewicht an entsprechender Forschungsliteratur geschuldet ist). Das Kapitel über Festmähler und Sitzordnungen (109-27) sei hier exemplarisch genannt. Strukturell sieht sich der nicht-mediävistische Leser somit immer wieder mit vergleichsweise langen, mitunter sehr ins Detail gehenden und immer wieder nicht geringes Vorwissen erwartenden Kapiteln zu europäischen Fallbeispielen konfrontiert, bei denen bisweilen der Eindruck entsteht, die Erkenntnisse würden am Ende nicht immer wieder ganz zusammengeführt. Dies liegt vor allem daran, dass ein Schluss fehlt. Eine abschließende Zusammenführung und einordnende Diskussion der gewonnenen Erkenntnisse hätte dem Band vermutlich gut getan. Dessen ungeachtet handelt es sich bei dem vorliegenden Band um eine sehr anregende Studie. Dass die spezifische Expertise der Autoren erkennbar ist, ist diesen sicher nicht anzulasten. Vor allem aber soll dies nicht als Argument gegen solch breit angelegte transkulturelle Zugänge zu vormodernen Phänomenen verstanden werden, sondern im Gegenteil der Hoffnung Ausdruck verleihen, solche in Zukunft auf noch breiterer fachspezifischer Basis zu suchen.
Tilmann Trausch