Andreas Stegmann (Bearb.): Quellen zur brandenburgischen Reformationsgeschichte (1517-1615) (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; Bd. XXV), Tübingen: Mohr Siebeck 2020, 1662 S., 2 Teilbde., ISBN 978-3-16-159423-6, EUR 249,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Renate Zedinger (Hg.): Innsbruck 1765. Prunkvolle Hochzeit, fröhliche Feste, tragischer Ausklang, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2015
Nadine Akkerman (ed.): The Correspondence of Elizabeth Stuart, Queen of Bohemia. Volume I: 1603-1631, Oxford: Oxford University Press 2015
Wolf H. Birkenbihl: Elisabeth Charlotte von Orléans. Eine pfälzische Prinzessin am französischen Königshof, Marburg: Tectum 2023
Die brandenburgische Reformationsgeschichte gehört nicht gerade zu den von der Forschung bevorzugt bearbeiteten Gebieten. An einem Mangel an Quellen kann das nicht liegen, wie Stegmann eingangs konstatiert. Eher wird man dafür die Tatsache verantwortlich machen müssen, dass Brandenburg im 16. Jahrhundert im kirchengeschichtlichen Bereich in der Bedeutung und der Wahrnehmung hinter dem sächsischen Konkurrenten zurückstand und dass die großen Epochen und Herrscher Brandenburg-Preußens eher im 17. und 18. Jahrhundert verortet wurden, denen deshalb stärker das Interesse der Forschung galt. Dass die Zugänglichkeit der Archivalien - auch infolge der Auslagerung wichtiger Bestände in das Zentralarchiv in Merseburg - während der deutschen Teilung besonders schwierig war, ermunterte ebenfalls nicht gerade dazu, sich entsprechenden Themen zuzuwenden. Um dieser Vernachlässigung abzuhelfen, wurde jetzt diese gewichtige Quellensammlung vorgelegt.
Der Zeitraum der Reformationsgeschichte wird dabei ungewöhnlich breit gefasst und geht über die engere Reformationszeit, deren Ende üblicherweise mit 1555 angesetzt wird, hinaus. Den Endpunkt bildet die Konversion Kurfürst Johann Sigismunds zum Calvinismus 1613 und der (gescheiterte) Versuch, diese Konfession im Kurfürstentum verbindlich zu machen. Der Bearbeiter operiert hier mit dem - in der Forschung ansonsten eher nicht mehr so gebräuchlichen - Begriff der "zweiten Reformation", um auch diesen Themenkomplex und diesen Zeitraum unter "Reformationsgeschichte" subsumieren zu können. Am anderen Ende des Zeitraums setzt der Band - sozusagen ganz klassisch - 1517 ein, was hier allerdings nicht auf die Thesenpublikation Martin Luthers rekurriert, sondern auf die Genehmigung Kurfürst Joachims I. für Johannes Tetzel, im Kurfürstentum den Petersablass verkünden zu dürfen.
In seiner Einleitung gibt Stegemann zunächst einen umfassenden Überblick über die Quellenlage zur brandenburgischen Reformationsgeschichte und liefert dabei unzählige Hinweise über Quellen jenseits der hier abgedruckten. Der zweite Teil der Einleitung "Die brandenburgische Reformationsgeschichte im Spiegel der Quellen" bietet weniger einen ereignisgeschichtlichen Überblick, da die Darstellung die Kenntnis der grundlegenden Ereignisse und Personen voraussetzt, als vielmehr eine Einordnung der in die Edition aufgenommenen Stücke einschließlich quellenkritischer Anmerkungen und Hinweisen zu verwandten Quellen. Dieser Teil sollte also bei der Arbeit mit den einzelnen Quellen unbedingt herangezogen werden, was allerdings nicht ganz einfach ist, da der Editionsteil keine Rückverweise auf diesen einleitenden Teil enthält. Dass auf eine wenigstens knappe Darstellung der politischen und kirchlichen Strukturen und Entwicklungen sowie eine Vorstellung der zentralen Akteure verzichtet wurde, ist gerade angesichts des Fehlens einschlägiger einführender Darstellungen zu bedauern, zumal das Werk auch kein Literaturverzeichnis enthält, dem geeignete Beiträge zu entnehmen wären.
Ziel der Publikation ist nicht eine historisch-kritische Edition (LXIII), sondern eine Quellensammlung, d.h. eine Zusammenstellung der für die brandenburgische Reformationsgeschichte zentralen Quellen an einem Ort. Daraus folgt für die Konzeption des Werks, dass auch bereits an anderer Stelle gedruckte und mehr oder weniger gut greifbare Quellen aufgenommen wurden. Für den Gebrauch in der universitären Lehre ist ein solches Auswahlprinzip sehr zu begrüßen. Erkennbar wurde versucht, zu einzelnen Ereigniskomplexen oder Sachverhalten möglichst mehrere Stücke aufzunehmen, um die Ereignisse im Zusammenhang wahrnehmen zu können. Auch das ist gerade für den Einsatz der Bände in der universitären Lehre ein Gewinn.
Geboten werden im ersten Band 242 Stücke sehr unterschiedlicher Länge in deutscher oder lateinischer (sowie je ein Text in sorbischer und italienischer) Sprache, und in Band 2 die brandenburgischen Kirchenordnungen von 1540 und 1572 sowie die Visitations- und Konsistorialordnung von 1573. Die ausgewählten Quellen werden zumeist vollständig abgedruckt. Leider fehlt ein Stückeverzeichnis, das einen raschen Überblick ermöglichen würde. Im Kopfteil zu jedem Stück finden sich jeweils das Datum, ein Kurzregest sowie Informationen zu den herangezogenen Vorlagen und gegebenenfalls bisherige Abdrucke. Geboten werden außerdem Informationen zur Herkunft von Zitaten (meist Bibelzitate) und knappe textkritische Anmerkungen. Verzichtet wird in Übereinstimmung mit dem formulierten Ziel jedoch auf jegliche sachliche und sprachliche Erläuterungen, was den Umgang mit den Quellen für die allermeisten Leserinnen und Leser (gerade im Bereich universitärer Lehre) ungemein erschweren dürfte, da die Quellen häufig sehr voraussetzungsreich sind. Dass ein ausführlicher sachlicher Apparat, wie ihn beispielsweise die Edition der Reichstagsakten bietet, dazu führt, dass solche Projekte fast nur noch im Verbund und in langen Zeiträumen zu realisieren sind, und deshalb pragmatische Lösungen durchaus ihre Berechtigung haben, steht außer Frage. Dennoch hätten knappe Erläuterungen den Wert der Bände erheblich gesteigert. Die hier gewählte Lösung des völligen Verzichts auf jegliche Sach-Anmerkungen ist freilich sehr benutzerunfreundlich.
Auch der Wert der Indizes (Orts-, Personen- und Sachregister) wird durch solche scheinbar pragmatischen Kompromisse geschmälert, wenn es eingangs heißt, dass nicht alle Vorkommen angegeben, die "in einigen Quellen enthaltenen Namenslisten [...] gar nicht oder nur teilweise für den Personenindex berücksichtigt" würden (1567) und die Teile der Kirchenordnungen von 1540 und 1567 "mit ihrem Materialreichtum und ihrer theologischen Komplexität [...] nicht vertieft ausgewertet" worden seien. Dass die Erstellung eines Sachregisters eine ganz erhebliche Herausforderung darstellt und die meisten Autorinnen und Herausgeber sich deshalb mit guten Gründen gegen ein solches entscheiden, dürfte allen bewusst sein, die sich überhaupt einmal näher mit Registern beschäftigt haben. Ob ein Register in der hier gewählten Form sinnvoll ist, lässt sich aber durchaus bezweifeln.
In die Bände aufgenommen wurden Stücke, die ganz unterschiedlichen Quellengattungen angehören, von landesherrlichen Verordnungen über Korrespondenz, Chroniken, Flugschriften, Universitätsdisputationen, Visitationsakten, Gebetbücher bis hin zu liturgischen Handreichungen. Allerdings überwiegt deutlich die obrigkeitliche Perspektive, ein Einblick in die lutherische Konfessionskultur, wie er in der Einleitung angekündigt wird, ist jenseits der obrigkeitlichen Normierung kaum möglich. Das mag der Quellenlage geschuldet sein, wird aber jedenfalls nicht eigens thematisiert. Berücksichtigung finden - sozusagen jenseits der Grenzen des Territoriums - auch die religionspolitischen Aktivitäten der brandenburgischen Kurfürsten auf Reichsebene zunächst gegen, dann für die Reformation - zu diesem Komplex wäre freilich die Edition der Reichstagsakten stets unbedingt heranzuziehen - oder die Beschickung des Trienter Konzils.
Ungeachtet der hier formulierten Einschränkungen bietet die Quellensammlung für die universitäre Lehre eine gute Grundlage für eine intensivere Einbeziehung auch der brandenburgischen (neben z.B. der sächsischen, preußischen oder hessischen) Reformationsgeschichte. Für die Forschung ist zu hoffen, dass von dem Werk Impulse ausgehen, da die hier versammelten Stücke einen Eindruck davon vermitteln, an welchen Stellen man ansetzen könnte, um die brandenburgische Geschichte des 16. Jahrhunderts vertieft zu erforschen.
Bettina Braun