Elisabeth Badinter: Macht und Ohnmacht einer Mutter. Kaiserin Maria Theresia und ihre Kinder, Wien: Zsolnay Verlag 2023, 205 S., ISBN 978-3-552-07344-9, EUR 26,00
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In Ergänzung zu ihrer 2016 erschienenen und 2017 ins Deutsche übersetzten Studie über Maria Theresia hat Elisabeth Badinter nun erneut ein Buch über die Kaiserin vorgelegt. [1] Der komplementäre Charakter der beiden Werke wird bereits in den Titeln deutlich, im Deutschen noch mehr als im Französischen: Ging es 2016/17 um die "Macht der Frau", stehen nun "Macht und Ohnmacht einer Mutter" im Mittelpunkt. Insbesondere hätten neue Quellenfunde "ein zweites Porträt erfordert, das die Mutter zeigt" (12), so Badinter im Vorwort. Ihr geht es allerdings nicht nur darum, dem Bild von Maria Theresia als "politische Ausnahmeerscheinung" (11), wie sie es damals gezeichnet hatte, einige neue Facetten hinzuzufügen, vielmehr verfolgt sie ein ambitionierteres Ziel. Badinter möchte zeigen, dass Maria Theresia "einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Mütter [begründete], der sich bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte: die bürgerliche aktive Mutter, die sich für Leben und Zukunft jedes ihrer Kinder verantwortlich fühlte." (13).
Solcherart vom Vorwort eingestimmt, nimmt man das Buch mit umso größerem Interesse zur Hand, als Badinter in Bezug auf die Erforschung von Mutterschaft nun wahrlich kein unbeschriebenes Blatt ist, sondern den Diskurs über die Mutterrolle mit ihrem 1980 erschienenen Buch "L'Amour en plus" maßgeblich angestoßen und geprägt hat. [2]
Badinter umkreist ihr Thema in vier Kapiteln. Im ersten Kapitel über "Die kaiserliche Mutter" wendet sie sich zunächst gegen die These, dass Maria Theresia ihren Nachwuchs lediglich politisch instrumentalisiert habe. Sie sei vielmehr eine "wahre Mutter" gewesen (16), die sich fürsorglich um ihre Kinder gekümmert habe, was sich vor allem in der Sorge um erkrankte Kinder und den Schmerz nach dem Tod von Söhnen und Töchtern äußerte. Damit versucht Badinter das von ihr explizit formulierte methodische Problem zu lösen, dass Mutterliebe kaum zu messen ist und sich noch am ehesten in Verlustangst greifen lässt. Ob sich dabei die Sorge und das Bemühen der Kaiserin - unter Ausblendung dynastisch-politischer Überlegungen - ausschließlich auf die Mutterliebe zurückführen lassen, erscheint doch fraglich. Denn die Sorge um den ältesten Sohn war eben auch die Sorge um den Thronfolger, was gerade für Habsburg in der Mitte des 18. Jahrhunderts wahrlich kein marginales Problem war. Und der Tod einer Tochter verringerte stets auch die dynastischen Optionen. Damit sollen der Kaiserin keineswegs Muttergefühle abgesprochen werden, aber bei einer Persönlichkeit wie Maria Theresia das Politisch-Dynastische so weitgehend zu ignorieren, wird ihr kaum gerecht. Auch ansonsten erscheint die Argumentation nicht immer ganz schlüssig, so wenn Badinter einerseits von einer Umkehrung der traditionellen elterlichen Rollen ausgeht und Franz Stephan zu Recht als zärtlichen Vater beschreibt, gleichzeitig aber doch Maria Theresia als zärtliche Mutter ausweisen will. Gerade letzteres geben zudem die bekannten und ausführlich zitierten Äußerungen ihres Vertrauten Graf Tarouca und ihrer Schwiegertochter Isabella von Parma nicht her, die Maria Theresia als streng, unversöhnlich und distanziert beschreiben.
In dem Kapitel über "Die Mutter als Erzieherin" steht weniger die Mutter im Mittelpunkt als vielmehr die Erzieherinnen und Erzieher der Kinder. Ausführlich wird aus den Instruktionen für die Ayos und vor allem die Ayas zitiert, und zwar aus bekannten ebenso wie aus jetzt erst in verschiedenen Familienarchiven gefundenen Texten. Anders als vielleicht zu erwarten wäre, finden sich wesentlich mehr Informationen zur Erziehung der Töchter als der Söhne, was auch daran liegen dürfte, dass Maria Theresia zu einigen dieser Frauen, denen sie die alltägliche Erziehung ihrer Töchter anvertraute, ein enges Vertrauensverhältnis aufbaute. Letztlich aber zeigen die Instruktionen gerade nicht die "Mutter als Erzieherin", sondern eine Mutter, die "hinsichtlich der Erziehung ihrer Töchter [und auch ihrer Söhne] volle Kontrolle" hatte (61), das Alltagsgeschäft der Erziehung aber selbstverständlich anderen - sorgsam ausgewählten, persönlich instruierten und engmaschig kontrollierten - Personen überließ. Daraus zu schließen, dass "sie zu allen Söhnen und Töchtern oder wenigstens zur Mehrheit ihrer Kinder ein enges Verhältnis" hatte (61), scheint mir freilich auf der Grundlage der Instruktionen nicht möglich.
Das dritte Kapitel "Die Kinder und ihre Mutter" ist das ausführlichste des Buchs. Es bietet Kurzbiographien aller Kinder - und der Schwiegertochter Isabella von Parma -, zumeist bis zu ihrem Weggang aus Wien bzw. ihrem Erwachsenwerden oder Tod. Auch in diesem Kapitel wird ausführlich auf die Erziehungsinstruktionen zurückgegriffen, da Maria Theresia in diesen Texten stets auch die zu erziehenden Kinder in ihren Stärken und vor allem in ihren Schwächen genau charakterisierte. Daneben kommen auswärtige Gesandte zu Wort. Letztlich aber muss Badinter konstatieren, dass aus dem Verhältnis zu den Kindern in ihrer Kindheit nicht unbedingt auf das Verhältnis im Erwachsenenalter geschlossen werden kann, wobei auch hier die politische Perspektive, z.B. hinsichtlich der ganz unterschiedlichen politischen Konstellationen, die die Kinder an den fremden Höfen vorfanden, seltsam ausgeblendet bleibt.
Das Kapitel "Der Konflikt zwischen Mutter und Kaiserin" gilt der Zeit ihrer Witwenschaft nach 1765 und damit den Konflikten mit den erwachsen werdenden oder gewordenen Kindern, die sich den permanenten Kontrollversuchen ihrer Mutter mehr oder weniger intensiv entzogen. Badinter konstatiert hier passiven Widerstand bei fünf Kindern (Maria Anna, Leopold, Ferdinand, Maria Karolina von Neapel und Marie Antoinette) sowie aktiven Widerstand bei Joseph und Maria Amalia von Parma. Auch in diesen Fällen liegt der Fokus primär auf der persönlichen Differenz, während die politischen Hintergründe nur angedeutet werden, was den Konflikten - gerade auch im Falle Josephs - nicht in ihrer ganzen Komplexität gerecht wird.
Im Epilog zeichnet Badinter dann ein schonungsloses Bild vom Verhältnis zwischen den Geschwistern, das nur in den wenigsten Fällen unbelastet und voll geschwisterlicher Liebe war. Dass die Instrumentalisierung der Kinder durch Maria Theresia, aber auch die offensichtliche Bevorzugung mancher von ihnen, vor allem Marie Christines, dazu einiges beigetragen haben dürfte, liegt nahe. Insofern ist es sicher richtig, dass Maria Theresia "keine perfekte Mutter" war (183). Man muss sie allerdings auch nicht mit dem Hinweis exkulpieren, dass das heutigen Müttern wohl kaum anders gehe. Zur Debatte steht vielmehr, ob die Darstellung die eingangs formulierte These von der Vorbildrolle Maria Theresia für eine moderne aktive Mutterschaft bestätigen konnte. Das freilich vermag ich nicht zu erkennen. Die ersten Kapitel zeigen Maria Theresia als eine Mutter und Dynastin, die die Erziehung ihrer Kinder perfekt zu organisieren suchte, aber keineswegs als Vorläuferin einer bürgerlichen Mutter, die in ihrer Mutterrolle und Fürsorge aufging, auch wenn sie sich wohl in der Tat mehr als manche andere Fürstin um ihre Kinder gekümmert hat. Aber spätestens als die Zukunft der Kinder geplant werden musste, sind die Parallelisierungen zur bürgerlichen Mutter nicht mehr adäquat, da es sich dabei immer um politische Entscheidungen handelte und diese für Maria Theresia deutlich im Vordergrund standen. Insofern bleibt es für mich weiterhin besonders erklärungsbedürftig, weshalb die Kaiserin für ihre Tochter Marie Christine von diesen Prinzipien abwich.
Auch wenn die große These meines Erachtens nicht trägt, bleibt es doch ein erhebliches Verdienst Badinters, zahlreiche bisher unbekannte Quellen jenseits der üblichen Archive aufgespürt zu haben. Entsprechend dem eher essayistischen Charakter des Bandes lässt sie vor allem die Quellen zu Wort kommen, bringt diese aber nicht in einen Dialog mit den reichen Erträgen der neueren Forschung zu Maria Theresia, die im Umfeld des Jubiläums 2017 entstanden ist. Ärgerlich ist zudem, dass die Übersetzung des Bandes erhebliche Schwächen aufweist. Das reicht von nicht ganz geglückten Formulierungen wie "Karolinas erste[r] Geburt" (gemeint ist die Geburt ihres ersten Kindes, also ihre erste Entbindung) über die Tatsache, dass "princesse" im Zusammenhang mit der verwitweten Maria Theresia nicht als "Prinzessin", sondern als "Fürstin" zu übersetzen ist, bis zu komplett unverständlichen Formulierungen wie - in Bezug auf Maximilian Franz - "die Wahlen seiner Koadjutanten", womit die Wahlen des Erzherzogs zum Koadjutor des Erzbischofs von Köln und Bischofs von Münster gemeint sind. Ein Satz wie "Die Säuglings- und Kindersterblichkeit war in jener Zeit so hoch, dass sie als nahezu unbedeutend galt" (28) wiederum entbehrt jedes Sinns. In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung, die französischen Zitate nur in der deutschen Übersetzung abzudrucken, zu bedauern.
Anmerkungen:
[1] Elisabeth Badinter: Le pouvoir au féminin. Marie-Thérèse d'Autriche 1717-1780. L'impératrice-reine, Paris 2016; deutsche Übersetzung: Maria Theresia. Die Macht der Frau, Wien 2017.
[2] Elisabeth Badinter: L'Amour en plus: histoire de l'amour maternel (XVIIe- XXe siècle), Paris 1980; deutsche Übersetzung: Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute, München 1981.
Bettina Braun