Irven M. Resnick / Kenneth F. Kitchell: Albertus Magnus and the World of Nature, London: Reaktion Books 2022, 272 S., zahlr. Abb., ISBN 978-1-78914-513-7, GBP 16,95
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Bei der schier unüberblickbaren Fülle an Literatur zu Albertus Magnus, dem Gelehrten, Bischof und nicht zuletzt Heiligen des 13. Jahrhunderts, erscheint es bemerkenswert, dass es neue Ergebnisse zur gut untersuchten Naturlehre geben soll. Auf den ersten Blick offenbart das Buch, das ohne Einleitung und Fragestellung auskommt, dass es sich hier eher um eine populärwissenschaftliche Überblicksdarstellung zu handeln scheint, was konsequent der Intention der Reihe folgt.
Die ersten vier Kapitel beziehen sich auf das Leben und die Werke Alberts und suchen eine frühe Rezeption nachzuweisen, die Albert selbst und seinen Schüler Thomas von Aquin auf eine Ebene gestellt haben soll, obwohl das aus der bisherigen Forschung zu Albert-Legenden, auf die nicht eingegangen wird, so nicht ersichtlich ist. Alberts Eltern seien unbekannt. Es bleibt unklar, weshalb Markward von Lauingen, den das Buch nicht nennt, nicht Alberts Vater gewesen sein soll.
Unangenehm fallen von Anfang an die vielen Bilder neben dem Text auf, die lediglich der Illustration dienen und an denen nichts demonstriert wird. Die verwirrende Kombination von Text und Bild wird durch zwei Exkurse gesteigert. Einer widmet sich der Stadt Köln und dem Leben in der Stadt, der andere nimmt das jüdische Leben in Köln bis ins Jahr 1424 in den Blick, ohne dass der Leser erfährt, was das mit Albert zu tun hat. Die Exkurse sind garniert, anders lässt es sich nicht ausdrücken, mit einem Bild vom Kölner Dom aus dem Jahr 2017, doch der war zur Zeit des Protagonisten noch gar nicht im Bau.
Das Buch folgt den Lebensstationen Alberts im Sinn eines Itinerars, am Ende des Werks werden sogar Entfernungsangaben in Meilen und Kilometern tabellarisch angegeben, auf die an den jeweiligen Lebensstationen verfassten Werke Alberts wird nur kurz eingegangen.
Kapitel fünf gibt einen sehr komprimierten Überblick über Naturphilosophen und Enzyklopädisten ausgehend von dem von Herodot erwähnten Thales von Milet über Isidor bis hin zu Thomas von Cantimpré und wechselt den Fokus dabei von Astronomie hin zu Bestiarien. Kapitel sechs folgt diesem Schema und überblickt nun die Enzyklopädisten von Isidor bis hin zu Thomas von Cantimpré, um einerseits darzulegen, dass es sich dabei um Quellen Alberts handele, er dabei andererseits aber nicht kompiliert habe, sondern die Grenzen des menschlichen Denkens durch eigene Beobachtung habe erweitern wollen.
Um Tiere und Alberts Widerlegungen seiner Vorgänger dreht sich das kurze siebte Kapitel, das anhand von Einzelbeispielen dessen Forschungsarbeit aufzuzeigen sucht. Unglücklich scheint dabei der Vergleich mittelalterlicher Tierwesen zum Beispiel aus dem Physiologus mit Bigfoot aus heutiger Zeit, weil er implizit unterstellt, die Sagenhaftigkeit der Tiere sei Alberts Zeitgenossen bereits bekannt gewesen und nicht hinterfragt worden. Das hinterlässt den Beigeschmack des Mittelalters als Zeit des Nichtwissens und der naiven Leichtgläubigkeit. Darauffolgend setzt sich das nächste Kapitel mit dem Alltagsleben in Köln auseinander, zeigt auf, dass es verschiedene Märkte gab, und flicht in diese Erzählung immer wieder Albert-Legenden ein. Auch dieses Kapitel endet weit nach der Lebensspanne Alberts mit der Pest und bescheinigt der Stadt Köln ein unkontrollierbares Problem mit Mäusen und Ratten, für das es keine Evidenz gibt.
Das Kapitel über menschliche Sexualität, Gender und Rasse wundert sich über Alberts Wissen über Fortpflanzung und mutmaßt, dass er, der Bischof, dies Wissen lediglich von der Beichte in seiner Diözese haben könne, verweist aber auch darauf, dass für das genannte Zitat Alberts eventuell Avicenna als Quelle infrage kommen könnte. Die Autoren erwecken den Eindruck, indigniert darüber zu sein, dass sich Mönche mit Sexualität im Rahmen von Medizin befassten, legen dabei aber ihren Fokus auf das Mönchtum großer Salernitanischer Mediziner, deren Schule von ihnen zur Übersetzungsarbeit marginalisiert wird. Hinter dem Begriff "Gender" verbirgt sich eine populär inszenierte Auseinandersetzung mit der Wertigkeit der Frau im Mittelalter, die an mittelalterlicher Gynäkologie demonstriert wird und sich seitenlang mit der Vorstellung von Zeugung befasst. Schlüssig werden jedoch Alberts Aussagen zu ethnologischen Zuschreibungen humoralpathologisch erklärt, die das Thema Rasse sehr kurz an wenigen Beispielen aufgreifen.
Wenig überzeugt auch die Verquickung von Frankensteins Monster und Alberts Beschäftigung mit Monstrosität im zehnten Kapitel, das wiederum Albert-Legenden aufgreift, um dann Missgeburten und Bestiarien zu verhandeln. Letztlich endet das Buch mit der Frage nach Alberts Einfluss, die mit einer Aussage Benedikts XVI. aus dem Jahr 2010 beantwortet wird.
Für Geschichtsinteressierte ist das Buch insgesamt eine leicht verständliche Lektüre, die über moderne Schlagworte und ansprechende Bilder einen populärwissenschaftlichen Einblick in das Leben und die Naturvorstellungen des Spätmittelalters gibt. Bedauerlicherweise verzichtet das Buch dabei nicht auf wissensgeschichtlichen Medievalismus, den es doch, so die Erklärung der Reihe, eigentlich ausräumen wollte.
Monja Schünemann