Michael North: Das Goldene Zeitalter global. Die Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021, 317 S., eine Kt., 59 Abb., ISBN 978-3-412-50513-4, EUR 35,00
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Zwanzig Jahre nach der Neuauflage seiner einflussreichen Monographie "Das Goldene Zeitalter" [1] hat Michael North ein neues Buch zu diesem Thema vorgelegt. Es greift den Haupttitel des Vorgängerbuches auf, ergänzt um das Attribut "global". Hatte sich North 2001 auf eine Sozialgeschichte der Kunstproduktion in den Niederlanden konzentriert, so untersucht er nun die "Rezeption niederländischer Malerei und materieller Kultur" (16) in denjenigen Weltregionen, in denen Niederländer im 17. und 18. Jahrhundert lebten und Handel trieben. Im Rahmen dieser Handelsaktivitäten habe "ein globaler kultureller Austausch" stattgefunden, an dem "vielerlei Personen als Vermittler beteiligt waren" (16). Der Verfasser nimmt die "einheimische Bevölkerung" [2] in den niederländischen Handelsstützpunkten als "Rezipient[en] und Produzent[en]" materieller Kultur in den Blick und will auf diese Weise einen "neue[n] globale[n] Blick auf das 'Goldene Zeitalter' aus der Perspektive jener Weltgegenden, in denen Niederländer handelten und lebten", werfen (19).
Nach einem Überblickskapitel zur Geschichte der global agierenden niederländischen Handelskompanien und einem weiteren Kapitel über den Konsum globaler Güter in den Niederlanden nimmt North die Lesenden mit auf eine Weltreise in neun geographisch zugeschnittenen Kapiteln. Sie beginnt mit dem Nord- und Ostseeraum, führt über den Atlantik nach Brasilien, Surinam und Curaçao und die Neuen Niederlande an der nordamerikanischen Ostküste weiter über Kapstadt nach Batavia (Jakarta), dem Zentrum des niederländischen Handels in Asien, von dort nach Indien und Ceylon (Sri Lanka), Japan und schließlich China. Jedes der Kapitel beginnt mit einem Fokus auf einem ausgewählten Akteur bzw. einer Akteurin, ist in sich abgeschlossen und somit auch durchaus einzeln gut lesbar. North schöpft dabei sowohl aus seinen eigenen Archivrecherchen und umfangreichen Vorarbeiten der vorangegangenen zehn Jahre als auch aus einer großen Bandbreite an Forschungsliteratur. Der Band ist mit 59 meist farbigen Abbildungen, die stets als Bildquellen im Text interpretiert werden, reich illustriert.
Norths Buch steckt voller faszinierender Beobachtungen, von den Einrichtungsgegenständen aus aller Welt in den Haushalten von niederländischen Witwen, sephardischen Juden und wohlhabenden so genannten "freien Schwarzen" in der Karibik, über die von der Mogularchitektur inspirierten Grabmonumente wohlhabender Niederländer in Indien bis hin zu Nachlassauktionen in Batavia (Jakarta) als Treffpunkten aller dort lebenden ethnischen Gruppen. Ergänzend zu seinem Buch von 2001 folgt er nun auch den Wegen niederländischer Künstler in andere Weltgegenden und stellt dabei z.B. fest, dass die "großen holländischen Namen des Goldenen Zeitalters [...] gleichsam durch die zweite und dritte Generation in Batavia vertreten" waren: mehrere Maler im Umkreis von Rembrandts Tochter Cornelia van Rijn, ein Sohn und zwei Enkel von Frans Hals sowie ein Enkel von Jan Steen. Ferner gelingt es ihm, die entscheidende Rolle von Frauen (oft als Witwen) im Handel und in der materiellen Kultur der niederländischen Handelsstützpunkte herauszuarbeiten, indem er zahlreiche unbekannte, teils nur in einem Nachlassinventar dokumentierte Akteurinnen, wie etwa die ehemalige Versklavte Angela von Bengalen in Kapstadt, in den Fokus rückt.
Die Lesenden werden mit einer Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen der Kunstproduktion und -rezeption in den Sphären niederländischen Einflusses vertraut gemacht. Meist geht es - wie in der Einleitung angekündigt - primär um die Rezeption und Adaption niederländischer Kunst und materieller Kultur in den jeweiligen Regionen. In einigen Fällen wird ferner der Konsum von Gütern aus anderen Weltteilen wie z.B. japanischem Porzellan oder ostindischen Möbeln, die durch den niederländischen Handel in Umlauf gebracht wurden, berücksichtigt. Nur an wenigen Stellen behandelt North jedoch auch die indigene Kunstproduktion vor Ort und deren Bezugnahme auf die Niederländer und ihre Kunst, wie etwa im Umkreis des Mogulhofs oder in der Akita-ranga-Schule der Malerei in Japan. Im Fazit konstatiert der Verfasser dann ein "weites Spektrum von Rezeptions- und Austauschbedingungen" (258), deren Unterschiede er vor allem mit dem jeweils spezifischen Spielraum der Einflussnahme der Niederländer in den betreffenden Regionen erklärt, vom Ostseeraum als Schauplatz einer "Niederlandisierung" (253) bis China, wo die Niederländer "allenfalls visuell präsent waren" (258). Die Aneignung niederländischer Einflüsse durch "einheimische Maler" wie u.a. in Indien und Japan (256) versteht North im Anschluss an die Literaturwissenschaftlerin Astrid Erll als "transkulturelle Remedialisierungsprozesse" (256, vgl. 17), ohne dieses Konzept jedoch näher zu erläutern oder im Verlauf des Buches explizit zum Einsatz zu bringen. Überhaupt ist das vorliegende Werk weniger systematisch angelegt als das Vorgängerbuch von 2001.
Während sich North in der Einleitung knapp auf die postkoloniale Kritik am Begriff des "Goldenen Zeitalters" bezieht, schlägt er im Fazit vor, die Niederlande "als mediales Imperium [zu] verstehen, das durch die vielfältige künstlerische und verlegerische Produktion im 17. Jahrhundert Lesern und Betrachtern in aller Welt eine niederländische Weltsicht bot". Im 18. Jahrhundert habe dann deren "Faszination mit der materiellen Kultur" überwogen, "die global vermittelt und rezipiert" worden sei (258). Zwar spricht North durchaus die Schattenseiten globaler niederländischer Handelsaktivitäten an, darunter Versklavung und Menschenhandel, dennoch zelebriert sein Buch das 17. und 18. Jahrhundert als "Goldenes Zeitalter" niederländisch geprägter, globaler Verflechtungen materieller Kultur. Das von ihm formulierte, eingangs zitierte Desiderat einer dezentrierten Sicht auf dieses Zeitalter zu erfüllen, gelingt ihm letztlich nicht. Dafür stehen einseitige Rezeptionsprozesse zu sehr im Vordergrund, und es geht ihm auf der ganzen Reise durch die niederländische Welt doch - wie es treffend im Untertitel heißt - um die "Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert".
Anmerkungen:
[1] Michael North: Das Goldene Zeitalter. Kunst und Kommerz in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, 2. erw. Aufl., Köln / Weimar / Wien 2001.
[2] Der von North gewählte Begriff ist angemessen, da Indigene oft nur einen kleinen Teil der multi-ethnischen Bevölkerung der niederländischen Handelsstützpunkte ausmachten.
Philip Hahn