Sheila Bonde / Clark Maines (eds.): Other Monasticisms. Studies in the History and Architecture of Religious Communities Outside the Canon, 11th-15th Centuries, Turnhout: Brepols 2022, 370 S., 10 Kt., 75 Farb-, 20 s/w-Abb., 8 Tbl., ISBN 978-2-503-58784-4, EUR 160,00
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Im 11. Jahrhundert existierte eine Vielzahl von eremitisch geprägten Ordensgemeinschaften, die heute nur noch Spezialisten bekannt sind. In den meisten Fällen standen an ihrem Beginn charismatische Persönlichkeiten, um die herum sich Gleichgesinnte scharten, Gläubige, die von der tiefen Reformbedürftigkeit von Kirche und Mönchtum überzeugt waren und die für sich selbst in Rückgriff auf die Tradition der Wüstenväter das Konzept einer vita vere apostolica verwirklichen wollten.
Vorliegender, hervorragend gestalteter und mit einer großen Anzahl qualitativ hochwertiger Farbfotographien versehener Band umfasst neun Beiträge, zu denen sich eine Einleitung der Herausgeber gesellt. Im Zentrum stehen Ordensgemeinschaften wie die Cölestiner, Vallombrosaner oder Kamaldulenser, die sich in der jüngsten Vergangenheit verstärkter Zuwendung durch die Forschung erfreuen konnten, ebenso wie Ordensgründungen, die zukünftig noch einiges an Forschungsaktivitäten binden dürften. Zu denken ist hier etwa an die Gemeinschaften von Tiron, Savigny oder Longchamps.
Ende des 11. Jahrhunderts waren die Wälder Westfrankreichs von unterschiedlichen eremitischen Gruppen bevölkert. Robert von Arbrissel (gest. 1116), Vitalis von Mortain (gest. 1122) oder Bernhard von Tiron (gest. 1116) sind keine Unbekannten mehr, anders als etwa Alleaume d'Étival (gest. 1152), Raoul de la Futaie (gest. 1129) oder Saloman de Nyoiseau (gest. 1140). Sie alle gründeten Klöster, die in ihrer Zeit durchaus erfolgreich waren. Der Beitrag der beiden Herausgeber widmet sich dieser Fülle unterschiedlicher, eremitisch geprägter Lebensentwürfe und fragt nach ihrer Verstetigung im Medium der Architektur. In den Blick geraten Kirchen wie Notre-Dame de la Roë, Fontevraud, Notre-Dame d'Étival, La Sainte-Trinité de Tiron oder Notre-Dame du Nid-au-Merle (in Saint-Sulpice-la-Forêt), deren Erhaltungszustand unterschiedlich gut ist, die aber allesamt "not simply as architectural forms, but as expressions of the idea of reform for the founders and their early successors" (272) untersucht werden. Die Tatsache, dass sich viele der charismatischen Reformer gegenseitig kannten, mit Bischöfen und Päpsten kommunizierten und identische Reformanliegen teilten, führte zu architektonischen Entwürfen - Architektur verstanden als "product of human choices among formal alternatives" (315) -, die sich in der Einfachheit von Bauform und Dekor glichen. Ergebnis waren einschiffige Kirchen in Kreuzform (über deren Vierung sich ein Turm erheben konnte, aber nicht musste) (Sheila Bonde / Clark Maines: Hermits in the Forest. Western France and the Architecture of Monastic Reform, 271-341). Alle fünf genannten Kirchen befinden sich an bewaldeten Orten in der "Wildnis", mit leichtem Zugang zu Wasser und weiteren Ressourcen wie etwa Steinbrüchen. Der Erfolg einer Gemeinschaft machte sich nicht zuletzt auch an der Größe ihrer jeweiligen Kirche fest: Fontevraud (II) und Tiron waren mit ihren 82 bzw. 80 Metern ausgesprochen lang, in etwa vergleichbar mit den frühgotischen Kathedralen in Noyon und Laon.
In weiteren Beiträgen wird auf identisches architektonisches Layout verwiesen. Arthur Panier demonstriert dies am Beispiel der 1331 gegründeten Cölestinerabtei Sainte-Croix-sous-Offémont (65-97), die sich heute als vergleichsweise gut erhaltenes Ruinenensemble präsentiert, von dem ausgehend sich auch Aussagen über Lebensstil und Außenkontakte der Ordensgemeinschaft treffen lassen. Die außermonastischen "Netzwerke" der Cölestiner interessieren auch Robert L. J. Shaw (33-63). Er widmet sich einer Zeit, in der die französischen Häuser unabhängig von der italienischen "Zentrale" agierten und über Netzwerke verfügten, in die die Hl. Colette von Corbie (gest. 1447) als Reformerin des Klarissenordens ebenso eingebunden war wie der franziskanischer Bußprediger Giovanni da Capestrano (gest. 1456) oder auch der Kanzler der Pariser Universität Jean Gerson. Die städtische Intelligenzija schätzte ganz offensichtlich die Cölestiner, was deren (regelwidrige) Ansiedlung im urbanen Umfeld erklärt.
In den 1130er-Jahren trafen sich die Äbte von 21, in der Erzdiözese Reims gelegenen Benediktinerklöstern mehrfach, um die Verbindungen ihrer Häuser untereinander und praktische Aspekte religiösen Lebens zu diskutieren. Mit diesem "ongoing process of refining monastic life" (129) beschäftigt sich Kyle Killian und schlägt so den Bogen zwischen dem "traditionellen" Mönchtum einer- und zeitgenössischen Reformbewegungen andererseits (127-159). Dabei richtet er das Augenmerk vor allem auf Aspekte des "Raums", d.h. die Einbettung der Klöster in die sie umgebende und (in den meisten Fällen seit Jahrhunderten) prägende Landschaft. Die Umschreibung bzw. Nutzung des Raums wird als "social activity" (151) verstanden - ein Zusammenhang, über den die Quellen nur wenig Konkretes verlauten lassen. Das Eingebundensein der Mönche "in dense social and physical landscapes" (151) bleibt so leider mehr behauptet als tatsächlich belegt. Einem ist jedoch unbedingt zuzustimmen: Die Architektur selbst steigerte das Gefühl einer kontinuierlichen Liminalität, das Bewusstsein, nicht mehr vollständig "in der Welt" zu leben.
Wie Erik Gustafson erläutert, verweisen die von Kamaldulensern und Vallombrosanern favorisierten Architekturmodelle auf eine jeweils eigene monastische Identität (161-208). Der alte Typus der Grabkirche wurde übernommen - Mönche "sterben der Welt" - und in Gestalt einschiffiger Kirchen (zumeist mit Querschiff) den eigenen Bedürfnissen anverwandelt - dies ist bei immerhin 45 der 53 untersuchten Kirchen nachweisbar.
Erica Kinias zeigt am Beispiel des von Isabella, der Schwester Ludwigs IX. von Frankreich, ab 1259 errichteten Klosters von Longchamps, dass das Streben nach Einfachheit Grenzen dort fand, wo die Macht königlicher Geldgeber mit den Geboten monastischer Austerität in Einklang gebracht werden musste (211-245). Ähnliches konstatiert Laura Chilson-Parks für die Kartause von Champmol (247-268). Sie sollte nicht nur als letzte Ruhestätte für den Erbauer, Philipp den Kühnen von Burgund (gest. 1404) dienen, sondern stellte dem Herzogspaar bereits zu Lebzeiten in Gestalt eines Turmoratoriums mit visuellem Zugang zum Chor (l'oratoire de monseigneur) einen exklusiven Gebetsraum zur Verfügung: "In granting their lay patrons these oratories, the monastic community included them by secluding them" (261).
Kathleen Thompson widmet sich mit den Tironensern einer benediktinischen Reformbewegung und ihrer Geschichte im von der Ordensforschung noch immer unterbelichteten späten Mittelalter (343-369). Sicher, Tiron "was a well-organised and well-funded monastic community" (345), der aber insbesondere die in England gelegenen Häuser (politischen) Kummer bereiteten. Als die englische, gegen die Präsenz ausländischer Ordensgemeinschaften gerichtete Gesetzgebung zu drakonisch wurde, entschloss man sich 1391 zum Verkauf der auf der Insel gelegenen Besitzungen. Käufer war kein Geringerer als der Bischof von Winchester, William Wykeham, der die Häuser als endowment seiner Neugründung Winchester College verwendete.
Die Beiträge des Bandes verdeutlichen, auf welch kirchlich-reformerischen Grundlagen die Existenz der einzelnen Klöster bzw. Klosterverbände beruhte und zeigen, wie sich Reformideale im Medium der Architektur Bahn brachen. Ausgehend von einem gemeinsamen architektonischen Nenner (an erster Stelle: die Einschiffigkeit der Kirchen) ging es stets auch darum, individuelle Lösungen für das Spannungsverhältnis zwischen Weltflucht, gelobter Armut und den berechtigten Interessen der adligen und/oder städtischen Geldgeber zu finden.
Ralf Lützelschwab