Isabelle Draelants / Eduard Frunzeanu / Juris G. Lidaka et al. (eds.): Bartholomaeus Anglicus. De Proprietatibus Rerum Volume III: Liber VI, Liber VIII, Liber IX (= De Diversis Artibus; Tome 109), Turnhout: Brepols 2022, VIII + 393 S., ISBN 978-2-503-54496-0, EUR 68,00
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Der Franziskaner Bartholomäus Anglicus hat im 13. Jahrhundert ein großes enzyklopädisches Werk verfasst: "De proprietatibus rerum". Die Edition dieser Schrift ist eine Mammutaufgabe, an der Forscher aus fünf verschiedenen Ländern beteiligt sind (VII). Nach längerer Pause ist nun mit dem dritten Band die Edition der Kapitel VI (Über die allgemeinen und besonderen Eigenschaften des Menschen), VIII (Über die Erde und die Himmelskörper) und IX (Über die Zeit) erschienen.
Bartholomäus Anglicus hat vermutlich in Oxford studiert bevor er in Paris Lehrer wurde und später in Magdeburg sein Hauptwerk verfasste, das für Jahrhunderte zu einem vielzitierten Standardwerk werden sollte. [1] Der reichen Wirkungsgeschichte (177, 330) entspricht auch eine nicht minder komplexe Entstehungsgeschichte. Denn Bartholomäus hat Anteil an der "Wissensrevolution" des 13. Jahrhunderts: Er verwendete Bibel-Konkordanzen (6, 13) und vermutlich auch die Glossa Ordinaria (131), sowie weitere Exzerptsammlungen und Kompilationen (9). Auch wenn er seine Zitate, Paraphrasen oder Anspielungen häufig mit einem Namen verknüpft, dienen diese Verweise auf Autoritäten oft mehr der Inszenierung (11). Die Suche nach den Quellen seines Werkes wird zusätzlich erschwert durch die Tatsache, dass viele der von ihm verwendeten Kompilationen selbst nicht ediert oder insgesamt verloren sind (19). Die komplexe handschriftliche Überlieferung, die auch in diesem Band in kein stemma codicum überführt werden konnte (28), trägt ebenfalls zur Komplexität der Aufgabe bei.
Eine wissenschaftliche Edition wurde bereits vor etlichen Jahren von einem großen Forscherteam in Angriff genommen. Allerdings wirkte sich in diesem Fall die große Abhängigkeit der Forschung von Drittmitteln negativ aus. Nachdem die Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Münster auslief, waren erst zwei Bände im Jahr 2007 erschienen. [2] Es sind solche konkreten Beispiele, die den hochschulpolitischen Forderungen nach einer besseren Grundausstattung der Universitäten Nachdruck verleihen sollten. Umso verdienstvoller ist es, dass die Katholische Universität Löwen 2016 die Edition in ihr Projekt "Speculum Arabicum" (VIII) zum arabischen und lateinischen Enzyklopädismus aufnahm und damit den Weg zum dritten Band ebnete.
Jedes der drei fraglichen Kapitel hat nun eine umfangreiche Einleitung. Denn offensichtlich existieren teils erhebliche Unterschiede. So ist Bartholomäus bei den Himmelsgestirnen (liber VIII) erkennbar nicht in seinem Element: Seine Aussagen sind widersprüchlich, teils redundant, nicht auf dem Stand der Forschung (113) und oft schwer verständlich (145). Kaum zufällig umgeht er auch die Frage nach der Ewigkeit der Welt, die in der Aristoteles-Rezeption seiner Zeit eine nicht unbedeutende Rolle spielte (320). Vor diesem Hintergrund ist es nur logisch, dass bei diesem Kapitel die wissenschaftliche, in diesem Fall französische, Einleitung den größten Raum einnimmt. So können auch diejenigen Forscher, die nicht in der Materie zuhause sind, die zugrundeliegenden Weichenstellungen erkennen: Bartholomäus "entgöttlicht" den Himmel in klarem Kontrast zu antiken Vorläufern (320), aber ordnet die Himmelsgestirne in ihrer Wirkung zugleich dem Providenzhandeln Gottes zu (147). Sie sind Teil des göttlichen Plans und deshalb auch von Bedeutung, um die Heilige Schrift besser zu verstehen (8, 112). Davon ausgehend wird etwa deutlich, wie sich die kirchliche Hierarchie für Bartholomäus in den Himmelsgestirnen spiegelt (137). Zugespitzt könnte man sagen: Der Enzyklopäde führt den Schöpfungsauftrag aus, indem er die "creatio contra nihilo" als Ordnungshandeln des Menschen in einer unübersichtlichen Welt fortsetzt (113).
Schon mehr in seinem Element ist Bartholomäus in den Abhandlungen über die Zeit, die mit einer deutschsprachigen Einleitung versehen sind. Hier setzt er sich kritisch mit den augustinischen Traditionen (322) auseinander und entwickelt sie selbstständig weiter. Stärker noch als im Abschnitt zu den Himmelsgestirnen wird hier seine homiletische Intention erkennbar. Bartholomäus wollte seine franziskanischen Brüder für die Predigttätigkeit zurüsten: Diesem Zweck dienen auch die Randglossen, deren Urheberschaft strittig ist (173). So helfen die Ausführungen zu verschiedenen Kalendarien etwa bei der Harmonisierung mancher Schriftpassagen (316) und die Ausführungen zu Symbolen für die einzelnen Monate (327) lassen sich homiletisch ebenfalls gut verwerten.
Das sechste Kapitel mit englischer Einleitung beschäftigt sich mit dem Menschen, konkret: mit seiner Physiologie. Erneut zeigt sich seine Bereitschaft, viele (oft konkurrierende) Meinungen nebeneinander zu überliefern. Er entscheidet sich nicht zwischen theologischen, philosophischen oder stärker medizinischen Autoritäten, sondern wählt eine Vielzahl von Perspektiven (9, 324) ohne die Predigttätigkeit als Ziel aus den Augen zu verlieren. Es ist allerdings mißlich, dass der innere Aufbau seines Werkes nicht nachvollzogen werden kann, da in dem Band das siebte Kapitel über die Krankheiten von Zahnschmerzen, über Pusteln bis Lepra fehlt. Es wäre das logische Bindeglied zwischen dem sechsten und dem achten Kapitel.
Den Herausgebern kann gar nicht genug gedankt werden für diese formidable, auch sehr gut gesetzte Edition. Sie wird sicher der Ausgangspunkt vielfältiger weiterer Forschungen sein, etwa zur Medizingeschichte (liber VI), zur Kosmologie zwischen "Entgöttlichung" und Allwirksamkeit Gottes (liber VIII) oder zur Zeitphilosophie zwischen Augustin und Aristoteles (liber IX). Darüber hinaus sind der Forschung weitere Themenfelder zur Bearbeitung mit auf den Weg gegeben: Wie wirkten sich die Konkordanzen auf das Bibellesen und die damit verknüpften Praktiken aus? Welchen Einfluss hatten Enzyklopädien auf die religiöse Normierung? Lässt sich bei Bartholomäus so etwas wie eine "franziskanische" Prägung erkennen? Die Edition hat gewiss ein großes Forschungsfeld aufgetan.
Anmerkungen:
[1] Vergleiche zu seiner Wirkungsgeschichte exemplarisch den Artikel Robert Folger: Ein Autor ohne Autorität(en): Fray Bernardino de Sahagún (1499-1590) und seine Enzyklopädie der Kultur der Nahuas, in: Frank Büttner / Markus Friedrich / Helmut Zedelmaier (Hgg.): Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit (= Pluralisierung & Autorität; 2), Münster u.a. 2003, 221-242. Seinen Einfluss auf die soziale Normierung speziell im Franziskanertum wurde untersucht in: Thomas Ertl: Religion und Disziplin. Selbstdeutung und Weltordnung im frühen deutschen Franziskanertum (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; 96), Berlin 2006.
[2] Band 1 behandelte die Kapitel I-IV (Gott, die Engel, die menschliche Seele und elementare Eigenschaften), sowie Band VI das besonders umfangreiche und komplexe Kapitel XVII (Die Pflanzenwelt). Zum DFG-Projekt unter der Leitung von Christel Meier Staubach: https://www.uni-muenster.de/Mittellatein/forschung/bartholom.html (zuletzt aufgerufen am 23.09.2023). Zum Speculum Arabicum: https://uclouvain.be/fr/instituts-recherche/incal/speculum-arabicum.html (zuletzt aufgerufen am 23.09.2023)
Jan Reitzner