Paul Windolf / Christian Marx: Die braune Wirtschaftselite. Unternehmer und Manager in der NSDAP, Frankfurt/M.: Campus 2022, 457 S., 34 s/w-Abb., 14 Tbl., ISBN 978-3-593-51559-5, EUR 39,00
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Peter Langer: Macht und Verantwortung. Der Ruhrbaron Paul Reusch, Essen: Klartext 2012
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Waren Unternehmer "Nazis" und wenn ja, wie viele? Danach fragen der Soziologe Paul Windolf und der Historiker Christian Marx, deren gemeinsames Buch jedoch auf mehr zielt als auf simples "Nazis-Zählen". [1] Zum einen thematisiert "Die braune Wirtschaftselite" Beziehungen zwischen Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden deutscher Großunternehmen, der NSDAP und dem NS-Staat. Zum anderen handelt es von Kontinuitäten der deutschen Unternehmerschaft von der Jahrhundertwende bis in die 1950er Jahre. Fragen nach unternehmerischer Verantwortung und Kontinuitäten sind nicht neu, jedoch überzeugt das interdisziplinäre Autorenduo mit originellem Ansatz, der quantitative und qualitative Methoden kombiniert. Zentrale Quelle ist ein Datensatz zu deutschen Unternehmern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. [2] Zusätzlich dazu haben die Autoren Akten in 15 staatlichen und Unternehmensarchiven gesichtet.
Auf die Einleitung folgt ein Überblick über den Forschungsstand zur Unternehmensgeschichte im Nationalsozialismus (Kap. 1-2). Anschließend erkunden Windolf und Marx, in welcher Beziehung die "Wirtschaftselite" - darunter werden Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der deutschen Großunternehmen erfasst (63) - zum NS-Regime stand (Kap. 3-5). Darauf folgt eine kollektivbiographische Annäherung an die Unternehmerschaft mit NSDAP-Parteibuch (Kap. 6). Etwas losgelöst vom eigentlichen Thema der NSDAP-Mitgliedschaft rückt schließlich die Kontinuitätsfrage in den Blick (Kap. 7), bevor NSDAP-Mitgliedschaftsquoten von Unternehmern und anderen Berufsgruppen miteinander verglichen werden (Kap. 8). Zum Schluss gehen Windolf und Marx auf Karrieren deutscher Unternehmer nach 1945 und deren Umgang mit der eigenen NS-Vergangenheit ein (Kap. 9-10).
Im Mittelpunkt steht die Analyse eines Datensatzes, der die Namen aller Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder deutscher Großunternehmen für die Jahre 1896, 1914, 1928, 1933 und 1938 enthält. Aus diesem Datensatz wurden 537 Personen als Stichprobe exkludiert. 38,7 % davon traten in die NSDAP ein. [3] Unternehmer waren damit dreimal so häufig wie der Bevölkerungsdurchschnitt in der Partei vertreten. Anhand des Datensatzes bestimmen die Autoren quantitativ messbare Merkmale, die einen Eintritt in die NSDAP wahrscheinlich machten. Unternehmer, die nach 1890 geboren wurden, bis zum Ende der 1920er Jahre nicht in die Großunternehmen eingebunden waren und erst 1933 oder später in einen Vorstand aufstiegen, aus einfachen Verhältnissen kamen und einen technischen Studiengang absolvierten, traten beispielsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit der NSDAP bei (158).
Die Autoren klassifizieren die NSDAP-Mitglieder unter den Unternehmern in drei Typen: "Parteifunktionäre," "Ministerialbeamte" und "Unternehmer und Manager." Über 75 % von ihnen lassen sich der letzten Gruppe zuordnen. Diese Unternehmer, unter denen sich überproportional viele "Märzgefallene" befanden, traten überwiegend aus wirtschaftlichen Interessen und Opportunismus in die Partei ein (130-131).
Eine NSDAP-Mitgliedschaft allein lässt nicht auf die Gesinnung schließen. Aufgrund der schwierigen Quellenlage sind die individuell-subjektiven Motive auch nicht Gegenstand der Analyse (26). Aber - und dies ist eine zentrale These - Unternehmer gaben mit ihrem massenhaften Eintritt in die NSDAP eine zwar nur "formale", aber öffentlich sichtbare "Solidaritäts- und Konformitätserklärung" (249) ab und stabilisierten damit das NS-Regime. Im Anschluss an Norbert Freis Diktum, die "Wirtschaft im Nationalsozialismus" sei die "Wirtschaft des Nationalsozialismus" gewesen [4], konstatieren Windolf und Marx, der "nationalsozialistische Vernichtungskrieg und die mit ihm verbundenen Gräueltaten" seien ohne die "funktionale Mitwirkung" der Unternehmer nicht möglich gewesen (326).
Die quantitative Analyse personeller und struktureller Kontinuitäten und Verflechtungen in der deutschen Unternehmerschaft von der Jahrhundertwende bis in die 1950er Jahre ist ein Glanzstück des Buchs. Windolf und Marx kommen zum Schluss, es habe innerhalb der Wirtschaftselite bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs eine erstaunlich hohe Stabilität gegeben - ungeachtet der entscheidenden historischen Zäsuren in diesem Zeitraum. Mit der Illustration eines Beziehungsnetzwerks der 250 Unternehmer mit den meisten Positionen in Vorständen und Aufsichtsräten zwischen 1933 und 1938 gelingt den Autoren anschaulich und eindrucksvoll der Nachweis, dass die ökonomische Funktionselite ihr Kommunikationsnetz im NS intakt halten konnte (229). Dies gelang auch deswegen, weil sich die Unternehmer wechselseitig und weitgehend unabhängig vom NS-Regime in die Führungspositionen der Großunternehmen kooptierten. Auch für die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1950er Jahre erbringen die Autoren einen quantitativen Nachweis für "eine in weiten Teilen bruchlose Kontinuität der deutschen Funktionseliten" (293). So gelangten 62,2 Prozent der untersuchten Unternehmer aus der Zeit vor 1945 wieder auf Posten in Vorständen und Aufsichtsräten. Diese Zahl verweist auf eine "beachtliche Beharrungskraft" und darauf, dass die Rückkehr von Unternehmern auf Führungsposten "eher die Regel als die Ausnahme" (307) war. Darunter befanden sich nicht wenige mit einer Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer der ihr angeschlossenen Organisationen. Hingegen wurden die "Parteifunktionäre" und solche Unternehmer, die auch der SA oder der SS angehört hatten, in der Nachkriegszeit weitestgehend aus dem Kreis der Wirtschaftselite exkludiert. Deutlich werde eine "selektive Kontinuität" der Wirtschaftselite von der Zeit des Nationalsozialismus bis in die frühe Bundesrepublik (321).
Es ist das Verdienst von Windolf und Marx, unternehmerische Kontinuitäten vom Deutschen Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik quantitativ nachgewiesen zu haben. Die Ergebnisse werden kontinuierlich in den Forschungsstand eingebettet und mit biografischen Exkursen zu einzelnen Unternehmern illustriert. Ein Personenregister und ein umfassender Anhang zum Datensatz runden den positiven Gesamteindruck ab.
Bisweilen treten jedoch Redundanzen auf, etwa wenn die Autoren wiederholt die gemeinsamen Interessen von Unternehmern und NS-Regime hervorheben. An diesen Stellen hätte das Buch von Straffungen profitiert, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Zudem hätten Gliederung und Überschriften noch besser auf den Inhalt abgestimmt werden können, um die Orientierung der Leserinnen und Leser im Text zu verbessern. Beispielsweise werden "Interessen", "Gesinnungen", "Motive" und "Verhalten" als zentrale Kategorien für die Analyse der Beziehung zwischen Unternehmern und NSDAP benannt (60-61), sie tauchen in den Überschriften der jeweiligen Kapitel aber nur partiell auf.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Geschichte von Unternehmern in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch nicht ausgeforscht ist. Vielmehr regen sie zu weiterführenden Fragen an: Inwiefern unterschieden sich Unternehmer mit und ohne NSDAP-Mitgliedschaft in ihrem Handeln? Wuchsen ihre Firmen in unterschiedlichem Tempo und verfügten NSDAP-Mitglieder über mehr Sitze in Unternehmensvorständen und Aufsichtsräten? In welchen privaten Netzwerken traf sich die Wirtschaftselite abseits des Geschäftlichen? Lassen sich "reiche Lebenswelten" im Nationalsozialismus, aber auch über politische Systemwechsel hinweg identifizieren, in denen Unternehmer mit anderen (Funktions-)Eliten verkehrten? [5]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Janosch Steuwer: "Zweiundvierzig". Nazis-Zählen als unsinniges Ritual, in: Geschichte der Gegenwart, https://geschichtedergegenwart.ch/zweiundvierzig-nazis-zaehlen-als-unsinniges-ritual-der-vergangenheitsbewaeltigung/.
[2] Der Datensatz wurde im Rahmen eines an der Universität Trier durchgeführten Projekts zur historischen Verflechtung von Unternehmen erstellt (vgl. 133). Die Autoren haben den Datensatz jüngst für andere Forschende im Open Access zur Verfügung gestellt (http://dx.doi.org/10.15456/vswg.2023158.2035770248) und in der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte erläutert. Paul Windolf / Christian Marx: Unternehmer und Manager in der NSDAP. Erläuterungen zu einem Datensatz, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 110 (2023), Heft 2, 205-216, https://doi.org/10.25162/vswg-2023-0006.
[3] Durch neue Informationen nach Drucklegung des Buchs haben die Autoren die im Buch genannte Prozentzahl von 37,6 (vgl. 136) nachträglich auf 38,7 korrigiert. Vgl. Windolf / Marx, Erläuterungen, 214.
[4] Norbert Frei: Die Wirtschaft des "Dritten Reiches". Überlegungen zu einem Perspektivenwechsel, in: Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer Forschungskonjunktur, hgg. von Norbert Frei / Tim Schanetzky, Göttingen 2010, 9-24, hier 24. Hervorhebung im Original.
[5] Vgl. hierzu Jürgen Finger: Reiche Lebenswelten in NS-Deutschland, in: Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert, hgg. von Eva Maria Gajek / Anne Kurr / Lu Seegers, Göttingen 2019, 77-97.
Sebastian Justke