Bernd Kleinhans: Klimadebatten im Zeitalter der Aufklärung. Theorien und Diskurse des 18. Jahrhunderts (= Umwelt- und Klimageschichte; Bd. 3), Bielefeld: transcript 2023, 248 S., ISBN 978-3-8376-6705-9, EUR 35,00
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Wer in der heutigen Zeit den Begriff "Klimawandel" verwendet, verbindet damit zumeist die Vorstellung einer vom Menschen verursachten Erwärmung des Klimas, die sich in bedrohlicher Weise auf die Gesellschaften rund um den Globus negativ auswirkt. Bernd Kleinhans, der ein profunder Kenner der aufklärerischen Ideengeschichte ist, nähert sich von Seiten der Wissensgeschichte dem Klima an und widmet sich der grundsätzlichen Frage, in welchem grundlegenden Verhältnis Mensch und Klima stehen. Nach der notwendigen Begriffsklärung, wie Klima eigentlich zu unterschiedlichen Zeiten verstanden wurde, führt er aus, wie das Wissen über Witterungsverläufe im 18. Jahrhundert - nicht zuletzt bedingt durch immer besser und günstigere Messinstrumente - zunahm und schließlich Klima als globales System verstanden wurde, das sich rein lokalen Erklärungsansätzen entzog.
Auch wenn die Agency des Klimas in den verschiedenen Herangehensweisen und Methoden der Geschichtswissenschaft lebhaft diskutiert und unterschiedlich bewertet wird, herrscht doch weitgehend Konsens darüber, dass Witterungsverläufe und Klima mehr sind als nur die Staffage der großen Bühne, auf der sich das Schauspiel der menschlichen Geschichte abspielt. In der Zeit der Aufklärung wurde hingegen intensiv um die Frage gerungen, ob das Klima einen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung hat, und falls ja, wie es sich auswirkte. In dieser Hinsicht trennt uns unsere Gegenwart vom 18. Jahrhundert besonders durch die Gewissheit, es mit einem dynamischen Klima zu tun zu haben. Die Mehrheit der Aufklärer hing dagegen der Vorstellung an, dass - ähnlich der Astronomie und der Himmelsmechanik - das Klima statisch sei und strengen Gesetzmäßigkeiten folgte, die - einmal entschlüsselt - es der Menschheit ermöglichen würden, analog zum Gang der Planeten den Verlauf der Witterung exakt vorherzusagen.
Schon von Anfang an schwang bei der Verwissenschaftlichung der Klimabeobachtung die Frage nach einem Idealzustand des Klimas mit. Die Aufklärung schrieb hier eine antik-griechische Dreiteilung der Welt fort, nach der stets die Mitte, die Mäßigung anzustreben sei. Bei Aristoteles sei allein die gemäßigte Zone in der Lage, große Kulturleistungen zu ermöglichen. Während das grundlegende Konzept über die Jahrhunderte stabil blieb, zeigte sich die konkrete Ausgestaltung und damit die Lage des gemäßigten Klimas hochmobil und wanderte vom antiken Griechenland über Rom ins christliche Europa.
Bei aller Erforschung des Klimas und der Bevorzugung des gemäßigten Klimas rührte jedoch die Annahme, dass der Klimazustand eines Ortes im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklungsstufe in Verbindung stehe, an einer Grundannahme der Aufklärung: Der Mensch könne sich Kraft seiner Vernunft unabhängig von äußeren Abhängigkeiten und Beschränkungen seine Welt gestalten. Hier wirkt auch die alte philosophische Auseinandersetzung mit dem Leib-Seele-Problem weiter. Denn wenn der Mensch ontologisch zwei Sphären angehörte - mit seinem Körper der physischen Natur und mit seinem Geist einer metaphysischen, freien Ebene - musste die Kontaktstelle geklärt werden. Im medizinischen Diskurs jener Zeit versuchte man dann auch, die Wechselwirkungen zwischen Klima und menschlichem Charakter zu verstehen und zu erklären. Einerseits vermutete man die Luft als wichtigstes Interaktionsmedium, die der Mensch ja ein- und ausamtete. Andererseits wurden die Nerven als Fasern gedacht, die durch unterschiedliche Umwelteinflüsse unterschiedlich zum Schwingen gebracht wurden und so dem als immateriell gedachten Geist über das Gehirn unterschiedliche Eindrücke vermittelten.
Darauf baute eine naturalistische Klimatheorie auf, der die Annahme zugrunde lag, dass ein strengen Gesetzmäßigkeiten folgendes Klima ein bestimmender Faktor für die Entwicklungen von Gesellschaften sei. Der Mensch wurde dabei teils als Maschine gedacht, die ganz von den ihn umgebenden Umwelteinflüssen geprägt war. Die menschliche Vernunft befähigte aber dazu, diese Gesetzmäßigkeiten zu entdecken und zu nutzen. Als Belege für ihre Annahmen führten die Naturalisten Beschreibungen von Völkern aus anderen Weltgegenden an, die unter einem anderen - nachteiligeren - Klima lebten, als die Europäer und deshalb auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe verharrten. Diese Argumente wurden von Anhängern einer dualistischen Klimatheorie als Vorurteile und reproduzierte Stereotypen abgewertet. David Hume zweifelte grundsätzlich daran, dass das Klima irgendeinen Einfluss die gesellschaftliche Entwicklung nahm. Der Marquis von Condorcet sah in der menschlichen Geschichte eine Fortschrittsgeschichte, die sich von Ort zu Ort in unterschiedlicher Geschwindigkeit vollzog. Ursache für diese unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeit seien jedoch Bildung und Erziehung, nicht der Gang der Witterung.
Die Rousseau'sche Annahme der Perfektibilität bildete schließlich einen wichtigen Baustein für einen dritten Ansatz, der die die beiden Extremsichten zu einer synthetischen Klimatheorie verbinden wollte. Grundsätzlich erkannte dieser Ansatz die Vorherrschaft der Vernunft an. Das Klima habe jedoch, je extremer es sei, einen limitierenden Einfluss auf die Entfaltungskraft der Vernunft. Je weiter sich jedoch der Gebrauch der Vernunft bereits entwickelt habe, desto einfacher gelinge es der Gesellschaft, sich von den klimatischen Rahmenbedingungen zu emanzipieren. Sowohl dem Individuum als auch der Gesellschaft als Ganzes war damit eine stufenweise Entwicklung hin zu immer größerer Vollkommenheit möglich.
Allein drei Ansätzen bleibt gemein, dass die ontologische Trennung in Geist und Körper aufrechterhalten wurde und die Wechselwirkungen mehr oder minder glaubwürdig begründet werden mussten. Kleinhans spricht von einer Aporie der Klimatheorien, der Herder mit seinem von Zeitgenossen kaum rezipierten Ansatz zu überwinden suchte. Für Herder waren Geist und Körper nicht nur untrennbar Teil einer Seinssphäre, sondern die Natur war zusätzlich von einem Geist durchzogen, der entwicklungsfähig und nicht mehr statisch war. Einer nun umfassend Erd-, Natur- und Menschheitsgeschichte inkludierenden Geschichte wohnte als Telos die Entwicklung hin zur Vernunft inne. Diese noch Ende des 18. Jahrhunderts vom Humanismus geprägten Überlegungen wurden von der Entwicklung im 19. Jahrhundert überholt. Während sich die Geschichtsphilosophien nicht für Natur und Klima interessierten, wurde die Beschäftigung mit dem Wetter und den Mechanismen des Klimas eine Aufgabe der wissenschaftlichen Meteorologie, was die ontologische Trennung wieder verschärfte und für lange Zeit zementierte. Hier gelingt Kleinhans dann auch der Brückenschlag zu heutigen Klimadiskursen, denn die Frage nach dem Eingebundensein des Menschen in seine Umwelt rührt am Selbstverständnis des modernen Menschen.
Dem Buch merkt man den didaktischen Hintergrund seines Verfassers an, dem es durchweg gelingt, die ideengeschichtliche Höhenkammliteratur zugänglich und pointiert zu präsentieren. Auch ohne die manchmal etwas bemüht wirkenden Aktualitätsbezüge etwa zur Fridays for Future-Bewegung wird dem Leser deutlich, welche philosophischen Wege und Irrwege die Menschheit beschritten hat, die teils die Lösung heutiger Probleme beeinflussen.
Tobias Huff