Hans-Werner Goetz / Ian Wood (eds.): 'Otherness' in the Middle Ages (= International Medieval Research; Vol. 25), Turnhout: Brepols 2021, 480 S., 8 Farb-, 18 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-59402-6, EUR 125,00
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Matteo Salvadore: The African Prester John and the Birth of Ethiopian-European Relations (1402-1555), London / New York: Routledge 2017
Armin Kohnle / Thomas Krzenck (Hgg.): Johannes Hus deutsch. Unter Mitarbeit von Friedemann Richter und Christiane Domtera-Schleichardt, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017
Hans-Werner Goetz: Die Chronik Reginos von Prüm. Geschichtsschreibung, Geschichtsbild, und Umgang mit Zeit und Vergangenheit im frühen Mittelalter, Köln: Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln 2022
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François Bougard / Hans-Werner Goetz / Régine Le Jan (éds.): Théorie et pratiques des élites au haut Moyen Âge. Conception, perception et réalisation sociale, Turnhout: Brepols 2011
Selten gehört ein Skandal zur Entstehungsgeschichte eines mediävistischen Sammelbandes. Der special thematic strand des International Medieval Congress in Leeds 2017 galt dem Thema Otherness. Schon vor Ort, dann aber vor allem in den sogenannten sozialen Medien, äußerten Teilnehmer*innen in deutlichen Worten ihr Unbehagen mit dem Konferenzprogramm. Gerade in der Auseinandersetzung mit Alterität und Diversität sollten ihres Erachtens die Perspektiven und Expertisen Angehöriger marginalisierter Gruppen stärker gehört werden. Die Kritik betraf hauptsächlich die Besetzung der Key Notes und der Plenumsdiskussion zum Leitthema, in denen ausschließlich 'weiße' Personen das Wort führten. [1] Gruppen wie die "Medievalists of Color" griffen die Debatte auf und ordneten sie in einen größeren Diskurs über Vielfalt und Diskriminierung in der internationalen Mittelalterforschung ein. [2] Freilich versank die Empörung bald in den Fluten des Internets. Stattdessen wird nun die vorliegende Aufsatzsammlung in den physischen und digitalen Bibliotheken langfristig von der Konferenz zeugen. Sie umfasst neben der Einleitung und den vier Key Notes 14 weitere ausgewählte Beiträge.
Otherness ist gewiss kein neues Thema der Mediävistik. Selbstverständlich wandeln sich die Terminologien und methodischen Ansätze, doch Fragen nach Inklusion und Exklusion, nach Denkmustern und Praktiken der Differenzierung, Marginalisierung und Diskriminierung sowie der Konstruktion von Eigenem und Fremdem gehören seit Jahrzehnten zum gängigen Repertoire des Fachs. In der Einleitung reflektieren die Herausgeber auf die bisherige Forschung und problematisieren die Übertragung moderner Konzepte auf das Mittelalter. Weit über eine bloße Hinführung zu den Einzelstudien hinausgehend, liefern Goetz und Wood einen handbuchartig systematisierenden Überblick über konzeptionelle und methodische Ansätze, den sie mit eigenen Überlegungen bereichern. Sie diskutieren die vielfältigen Dimensionen von Andersartigkeit und Othering im Mittelalter, ihre Ursachen und Folgen sowie ihre Überschneidungen. Mit Nachdruck plädieren sie dafür, dass jede Arbeit zum Thema nicht nur genau zu definieren habe, welche Aspekte von Otherness sie in den Blick nehmen möchte, sondern auch, was im konkreten Fall unter dem Begriff zu verstehen sei.
Diese Vorgaben lösen die einzelnen Aufsätze mal mehr, mal weniger konsequent ein, wobei sie eine immense thematische Bandbreite abdecken. Erwartungsgemäß finden sich Studien über die Wahrnehmung anderer Religionen, so von Astrid Kelser über die intellektuelle Legitimierung von Antijudaismus in der Scholastik, von Maria Portmann über die bildliche Darstellung alttestamentarischer Propheten in der Kathedrale von Toledo, von Patrick S. Marschner über die aus biblischem Vokabular schöpfende Charakterisierung von Muslimen auf der iberischen Halbinsel um 900, von Yu Onuma über das Bild der tugendhaften indischen Weisen im mittelalterlichen Westen sowie von Tiago João Queimada e Silva über Muslime und das Königtum als zwei Formen des Anderen in den Augen des portugiesischen Adels im 14. Jahrhundert.
Wie Nikolas Jaspert in seinem anregenden Beitrag über Otherness im Mittelmeerraum und das Mittelmeer als ein nicht-menschliches Anderes zu Recht betont, wäre es aber falsch, Religionen als monolithische Blöcke zu verstehen. Dies demonstrieren andere Autor*innen, die die Diversität und Dynamik innerhalb religiöser Systeme in den Blick rücken. So untersucht Martin Borýsek Alteritätskonstruktionen in jüdischen Gemeinschaften des Spätmittelalters, Nike Koutrakou unterscheidet Zuschreibungen positiver und negativer Andersartigkeit an Mönche in Byzanz, und Eduardo Manzano Moreno zeigt, wie in der islamischen Expansion Inklusion und Exklusion als Mittel zur Macht eingesetzt wurden. Sophie Grubers Untersuchung der Historia Langobardorum Beneventanorum Erchemperts veranschaulicht derweil am Beispiel Montecassinos, wie eine religiöse Gemeinschaft ihre eigene Identität durch situationelles Othering und Saming stabilisieren konnte.
Auf das Andere im Eigenen konzentrieren sich auch drei skandinavistische Beiträge. Anhand archäologischer Befunde geht Meghan Mattsson McGinnis der Frage nach, ob und in welchem Maße das Reich der Toten in der Wikingerzeit als Anderswelt verstanden wurde. Roland Scheel untersucht, wie im spätmittelalterlichen skandinavischen Rechtsdenken die wikingerzeitlichen Vorfahren als die Anderen figurierten. Miriam Tveit wiederum widmet sich dem Rechtsstatus der Sámi. Zur Seite gestellt werden kann diesen Studien ferner der Beitrag von Fabian Kümmeler über Hirten als Randgruppe auf der Insel Korčula im Spätmittelalter.
Das Prinzip, nach dem die abgedruckten Beiträge aus 660 in Leeds präsentierten papers ausgewählt wurden, ist das der möglichst großen Diversität (28f). Deshalb deckt der Band auch alle sonstigen traditionellen Felder der mediävistischen Alteritätsforschung ab. Mit dem Beitrag von Clemens Ganter über die Darstellung von Franken und Byzantinern im Süditalien des 9. Jahrhunderts ist die Kategorie der Ethnie aufgerufen. Diese ist auch für Ralph W. Mathisen zentral, der die Vorstellung einer binären Differenz von Römern und Barbaren am Ende des Weströmischen Reiches dekonstruiert. Die Implikationen geschlechtlicher und sexueller Otherness in der Aneignung von Ovids Metamorphosen im spätmittelalterlichen Frankreich analysiert Sylvia Huot. Felicitas Schmieder schließlich rückt das ferne Andere in den Blick, wenn sie prophetische Texte und mappae mundi auf die Konstruktion von Otherness hin mustert. Schmieder verbindet ihre Ausführungen, wie auch Nikolas Jaspert, mit Reflexionen über die Rückkehr dichotomer Differenzierungen und nationalistischer Überzeugungen und Handlungsweisen in der Gegenwart. Beide binden die Mittelalterforschung mithin eng in den aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurs ein und weisen ihr, zumindest implizit, eine Korrektivfunktion gegen Entwürfe unveränderlicher Alteritäten zu.
In der Tat beglaubigen die Beiträge des Bandes immer wieder das Paradigma der situativen Konstruiertheit von Identität und Alterität. Sie zeigen, dass Otherness selten absolut verstanden wurde: Eine Person oder eine Gruppe konnte beispielsweise unter religiösen Gesichtspunkten dem Anderen zugeordnet werden, zugleich aber politisch als zugehörig gelten. Auch waren die Grenzen zwischen Innen und Außen stets abhängig von den politischen Umständen und konnten sich mit diesen verschieben.
Allein durch die Vielfalt der behandelten Themen, aber auch, weil er größten Wert auf den reflektierten methodischen Zugriff legt und dafür hervorragende Angebote unterbreitet, kann der Band zukünftig als ein Referenzwerk für die mediävistische Alteritätsforschung dienen. Er ist in gewisser Weise aber auch ein Dokument dafür, wie schnell sich bisweilen selbst in der üblicherweise eher zurückhaltend auf Moden reagierenden Mediävistik Paradigmen wandeln können. So können Goetz und Wood die Übertragung des modernen Konzepts race auf das Mittelalter noch in aller Knappheit als unzulänglich abtun: "[...] medieval people in the West were not thinking of 'race' [...]". (18) Sieben Jahre nach dem Otherness-Kongress in Leeds hieße eine solche Formulierung, nicht hunderte, sondern eher tausende Seiten neuerer Forschungen in Bausch und Bogen zu verwerfen. [3] Dass die Autorin, der attestiert werden kann, den sprichwörtlichen Stein hierfür ins Rollen gebracht zu haben, sich an der Kritik am IMC 2017 beteiligte, kann kaum als Zufall bewertet werden. [4] Die Mittelalterforschung ist heute vielleicht diverser und spannender als je zuvor!
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa https://www.chronicle.com/article/medievalists-recoiling-from-white-supremacy-try-to-diversify-the-field.
[2] Vgl. https://medievalistsofcolor.com/statements/on-race-and-medieval-studies.
[3] Zum Beispiel: Geraldine Heng: The Invention of Race in the European Middle Ages, Cambridge / New York 2018; Thomas Hahn (ed.): A Cultural History of Race. In the Middle Ages (= A Cultural History of Race; 2), London u. a. 2022; Cord J. Whitaker e.a. (eds.): Speculum Themed Issue: Race, Race-Thinking, and Identity in the Global Middle Ages (2024).
[4] Vgl. https://medievalistsofcolor.com/race-in-the-profession/who-speaks-for-us-race-medievalists-and-the-middle-ages.
Christian Hoffarth