Ernesto J. A. Maeder: Einführung in die Geschichte der Guarani-Missionen. Neue Blicke auf den "Jesuitenstaat" in Paraguay, Münster: Aschendorff 2023, 151 S., ISBN 978-3-402-24971-0, EUR 36,00
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Der hier vorzustellende Band ist beim Aschendorff Verlag erschienen und richtet sich nach Angaben des Herausgebers an ein breites deutschsprachiges Publikum. Es handelt sich um eine kommentierte Übersetzung des Werkes Aproximación a las Misiones Guaraníticas des 2015 verstorbenen Historikers Ernesto Maeder. Dieses Übersichtswerk ist maßgeblich eine Synthese von drei Schriften: Misiones del Paraguay: Conflicto y disolución de la sociedad guaraní (1768-1850) und Misiones del Paraguay: Construcción jesuítica de una sociedad cristiana guaraní (1610-1768) von Maeder sowie Atlas histórico del nordeste argentino von Maeder und Ramón Gutiérrez. Federführend und treibende Kraft bei der kommentierten Übersetzung und Aktualisierung war Eckart Kühne, Architekturhistoriker und Architekt mit dem Schwerpunkt der Jesuitenmissionen in Bolivien und Paraguay. Weitere namhafte Jesuitenexpert:innen aus dem deutschsprachigen Raum waren in unterschiedlichen Funktionen beteiligt. Hierbei sind allen voran zu nennen Gabriele Stein, die eine erste Fassung der Übersetzung geliefert hat, Esther Schmid Heer und Nikolaus Klein, die durch zahlreiche Diskussionen die Edition intellektuell angereichert haben, sowie Fabian Fechner, der zur Einleitung einen eigenen Beitrag geliefert hat.
Nun ist Maeders Übersichtswerk bereits 1996, also vor rund drei Jahrzehnten erschienen, so dass man sich fragen könnte, ob der Zug für ein solches Übersetzungsprojekt nicht abgefahren sei. Meines Erachtens sprechen jedoch drei wichtige Punkte für diese Edition:
Erstens: Die zwei populärwissenschaftlichen deutschsprachigen Übersichtswerke zu den Guarani-Missionen sind höchst problematisch. Unter anderem setzen sie sich nicht angemessen mit den spanisch-kolonialen Strukturen in der Region auseinander, sie liefern keine quellenkritischen Analysen und berücksichtigen zu wenig den Jesuitenorden als Akteur, der eigene Interessen verfolgte. Zudem ignorieren sie sozio-politische und wirtschaftliche regionale Verflechtungen und scheinen insgesamt ideologisch gefärbt.
Zweitens: Maeders Übersichtswerk adressiert genau diese Mängel und liefert detaillierte und zugleich leicht verständliche Erläuterungen und Analysen, die weder konfessionell noch nationalistisch geprägt sind (mehr zu den Stärken des Buches folgt weiter unten). Zudem war Ernesto Maeder ein weltweit ausgewiesener Experte zur Río de la Plata Region sowie zu den Jesuitenmissionen, der - zu Unrecht - zu wenig Beachtung in der nicht-spanischsprachigen Welt gefunden hat.
Drittens: Der Herausgeber blendet weder aus, dass die Forschung zu den Guarani-Missionen heute deutlich weiter ist, noch dass bestimmte historiografische Entwicklungen, wie die postkolonialen Diskurse, keine Berücksichtigung finden konnten. Daher erfolgt nicht nur eine Übersetzung, sondern auch ein Kommentar. Eckart Kühne und seine Kolleg:innen ergänzen in einer konzisen Einleitung (8-24) den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf Themenfelder, deren Einschätzungen sich seit Maeders Publikation wesentlich weiterentwickelt haben. An zahlreichen Stellen in der Übersetzung wird darauf durch Fußnoten verwiesen. Außerdem wurden Verständnishilfen für eine deutschsprachige Leserschaft, z.B. bei Abkürzungen oder Ortsnamen, als Fußnoten sowie in einem eigens geschaffenen Glossar hinzugefügt. Die Bibliografie wurde aktualisiert und um die deutschsprachige Literatur ergänzt. Der Herausgeber beendet das Werk mit einer Würdigung des Autors in Form eines kurz gehaltenen Lebenslaufs und einer Auflistung seiner zahlreichen Publikationen.
Die einführenden Sektionen sind im Hinblick auf den neuesten Forschungsstand klug gewählt und liefern ergänzende Erläuterungen, allen voran zu Themen der Sesshaftigkeit der Guarani, der Frage der politischen Autonomie und strukturellen Einbettung im imperialen System, des quellenbegrifflichen Umgangs bei der Frage der Rationalität der Indigenen sowie zur Zeit nach der Aufhebung des Jesuitenordens. Zurecht wird auf Maeders Verdienst hingewiesen, die Geschichte der Guarani-Missionen aus dem oft polemischen Deutungskampf zu lösen, der durch die Pole Kolonialherrschaft auf der einen und kirchlicher Schutzauftrag auf der anderen Seite geprägt war. Leider ist der Herausgeber an wenigen Stellen selbst in diese Falle getappt, wenn von "ausbeuterischen und gewaltsamen Systemen [der spanischen Herrschaft]" (17) oder von der "überwiegenden Unterdrückung der indigenen Völker in Amerika" (22) die Rede ist.
Die Monografie "Einführung in die Geschichte der Guarani-Missionen" von Ernesto Maeder gliedert sich in acht Kapitel mit jeweils eigenen Unterkapiteln. Während das vierte Kapitel auf die Organisationsstrukturen der Missionen eingeht, sind die übrigen Kapitel überwiegend chronologisch aufgebaut. Das erste Kapitel geht auf die franziskanische Zeit sowie die frühen jesuitischen Missionsgründungen ein. Es skizziert die Besonderheit des encomienda-Systems, welches in weiten Teilen des Spanischen Imperiums durch Naturalabgaben ersetzt wurde, in der Provinz Paraguay jedoch weiterhin als unfreier Dienst praktiziert wurde. Das zweite Kapitel beschreibt im Wesentlichen die äußere Gefahrenlage durch portugiesische Sklavenjäger, die aus São Paolo einfielen (sogenannte bandeiras paulistas) sowie durch verfeindete Indigene wie die Charrúa. Das vierte Kapitel ist nicht nur das Längste, sondern enthält auch das meiste Kartenmaterial sowie demografische Statistiken. Es behandelt die "Blütezeit" der Missionen, während der das Missionsgebiet seine größte territoriale Ausdehnung und demografische Größe erreichte. Es werden demografische Entwicklungen und Siedlungsverläufe erläutert, als auch Missionierungsversuche und Kampfhandlungen an den Randgebieten gegenüber den (noch) nicht integrierten Indigenen dargestellt. Das vierte Kapitel ist besonders spannend, da es nicht traditionellen historiografischen Darstellungen entspricht, sondern Zusammenhänge zwischen den politischen und kirchlichen Institutionen und Amtsträgern skizziert, sowie das Wirtschaften der Missionen beschreibt. Die Kapitel fünf und sechs behandeln den Vorabend der Jesuitenmissionen sowie die Aufhebung des Ordens. Hier weitet der Autor zum ersten Mal den Blick auf andere Teile Amerikas und Europas, geht auf diplomatische Entwicklungen ein, als auch auf ideengeschichtliche Strömungen. Die letzten zwei Kapitel thematisieren die nachkoloniale Zeit und die demografischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformationen, die mit der Abspaltung vom Imperium einhergingen.
Obwohl sich der Herausgeber an ein breites Publikum richtet, bietet diese Übersetzung auch einen Mehrwert für Studierende und Historiker:innen, die des Spanischen nicht mächtig sind und eine Einordnung der Jesuitenmissionen in Paraguay wünschen.
Javier Francisco