Federigo Bambi / Francesco Salvestrini / Lorenzo Tanzini (a cura di): Gli Statuti della Repubblica fiorentina del 1355 in volgare. Vol. I Statuto del Capitano del Popolo. Vol. II Statuto del Podestà. Vol. III Indici (= Documenti di storia italiana. Ser. II; Vol. XVIII), Florenz: Leo S. Olschki 2023, VIII + 1566 S., 8 Farb-Abb., ISBN 978-8-8222-6782-5, EUR 350,00
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Robert L. J. Shaw: The Celestine Monks of France, c.1350-1450. Observant Reform in an Age of Schism, Council and War, Amsterdam: Amsterdam University Press 2018
Yossi Maurey: Liturgy and Sequences of the Sainte-Chapelle. Music, Relics, and Sacral Kingship in Thirteenth-Century France, Turnhout: Brepols 2021
Daniele Edigati / Lorenzo Tanzini (a cura di): Il Comune dopo il Comune. Le istituzioni municipali in Toscana (secoli XV-XVIII). Atti della giornata di studi Montevarchi, 22 maggio 2021, Florenz: Leo S. Olschki 2022
Francesco Salvestrini (a cura di): I monaci Silvestrini e la Toscana. (XIII-XVII secolo), Florenz: Leo S. Olschki 2020
Francesco Salvestrini: Il carisma della magnificenza. Labate vallombrosano Biagio Milanesi e la tradizione benedettina nellItalia del Rinascimento, Roma: Viella 2017
Das Netz an Historischen Vereinen, das Italien überzieht, ist eindrucksvoll dicht gewebt. Es gibt wohl kaum eine Stadt, in der es im 19. Jahrhundert nicht zur Gründung eines Geschichtsvereins gekommen wäre, mit der ausdrücklichen Zielsetzung, die für die Stadtgeschichte relevanten Quellen zu edieren. 1862 wurde die Deputazione di storia patria per la Toscana ins Leben gerufen. Ihrem Engagement verdankt sich die vorliegende Edition der 1355 erlassenen Statuten der Republik Florenz in ihrer volkssprachlichen Gestalt. Ursprünglich lagen sie auf Latein vor. Die Übersetzungsarbeit verbindet sich mit dem Namen eines einzigen Mannes: Andrea Lancia (gest. nach 1357), städtischer Notar, Übersetzer von Autoren der klassischen Antike und Kommentator von Dantes Divina Commedia.
Weshalb empfand man in Florenz gerade 1355 die Notwendigkeit, neue Statuten schriftlich zu fixieren und zu einer Art "Grundgesetz" (la legge fondamentale, 16) zu verdichten? Der glanzvolle Höhepunkt der mittelalterlichen Stadtgeschichte war bereits Vergangenheit, infolge der territorialen Expansion zeichneten sich neue Krisen am Horizont ab, gleichzeitig entwickelt sich aber die spezifische Form einer florentina libertas heraus, die - von Coluccio Salutati theoretisch ausgearbeitet - zur "matrice motivazionale e il fondamento retorico di ogni scelta politica e normativa" (20) werden sollte, zusätzlich befördert durch die mittels hoher finanzieller Zugeständnisse erreichte Verleihung des Reichsvikariats 1355. Die Übernahme des Vikariats stand dabei für eine "condizione di piena legittimità istituzionale" (27), galt das ius statuendi doch als höchster Ausdruck der iurisdictio eines Gemeinwesens und damit seiner politischen Freiheit. Dringend geboten war die Aufnahme aller seit der letzten Statutenfixierung 1322 neu erlassenen Statuten samt der statutarischen Erfassung der in der Zwischenzeit neu eingerichteten Magistrate mit ihren unterschiedlichen Konsultativfunktionen, etwa des Collegio dei Dodici Buoni Uomini oder des Collegio dei Sedici Gonfalonieri delle Compagnie.
Drei lesenswerte einführende Beiträge machen mit dem historischen Kontext (Francesco Salvestrini: "Patria degna di triumfal fama". Il contesto storico-politico e la matrice culturale degli Statuti fiorentini del 1355, 3-78), den Entstehungsbedigungen (Lorenzo Tanzini: La redazione statutaria del 1355: Fonti, novità, questioni, 79-107) und der sprachlichen Gestalt der Statuten (Federigo Bambi: Gli statuti, la lingua e il vocabolario, 109-124) vertraut.
Bereits 1351 hatte man in Florenz eine Überarbeitung der Statuten angemahnt, seien doch aufgrund der Vielzahl (z.T. einander widersprechender) Statuten eine "maxima confusio" und eine "ignorantia de agendis" entstanden. Der mit der Sammlung und Ausarbeitung der Statuten betraute Tommaso di ser Puccio da Gubbio gehörte zur Gruppe der in der Arnostadt hochgeschätzten, erfahrenen Notare. Auf der Grundlage des erhaltenen und ihm zur Verfügung gestellten Materials (mit seinen vielen im Lauf der Zeit angefügten Änderungen bzw. Ergänzungen) erarbeitete er die neuen Statuten, die zweigeteilt waren: neben den Statuten des Capitano del Popolo standen diejenigen des Podestà.
Von den Normierungsbemühungen 1355 zeugen zwölf Handschriften, die heute im Staatsarchiv von Florenz verwahrt werden. Zehn überliefern den Text auf Latein, zwei in Volkssprache. Die Statuten von 1355 umfassen insgesamt 957 Rubriken, von denen 504 den vier Büchern des Statuto del Podestà, 453 den Büchern des Statuto del Capitano del Popolo zugeordnet sind. Das aufgenommene Material zeigt eine "estrema eterogeneità degli argomenti trattati" (41). Es sind vor allem wirtschaftliche Regelungen, nicht zuletzt die Annona und das Münzwesen betreffend, die im Statuto del Capitano breiten Raum einnehmen. Aufgenommen wurden auch Statuten, die zuvor unbekannte Themenbereiche behandeln, an erster Stelle die Luxusgesetzgebung: "Potremmo dire che il testo del 1355 fotografa una macchina comunale molto più complessa e pesante di quella di trent'anni prima". (106)
Weshalb wurde nun zusätzlich eine offizielle Übersetzung der Statuten in die Volkssprache in Auftrag gegeben? Der Grund lag vor allem in einem leichteren Zugriff auf die (Rechts-)Materie, von dem all diejenigen profitieren sollten, die des Lateinischen nicht (oder nur unvollkommen) mächtig waren (ad hoc ut ipsi artifices et layci possint per se ipsos legere et intelligere ipsa statuta et ordinamenta). Für die Übertragung vom Lateinischen ins "fiorentino classico" (57) fiel die Wahl auf den Notar Andrea Lancia. Das Volgare der Statuten besticht zwar nicht durch überbordende sprachliche Eleganz, dafür aber durch Präzision, die wenig Spielräume für Zweideutigkeiten lässt. Anders als bei den lateinischen Statuten von 1355 liegt für die Übersetzung ins Volgare nur ein in zwei Handschriftenbände unterteilter codex unicus vor (ASFi, Statuti del Comune di Firenze, 13 und 19). Der Gebrauch der Volkssprache akzentuiert die Funktion der Statuten als Ausdruck lokaler Identität, die sich stark vom durch das Lateinische zum Ausdruck gebrachten Universalismus unterscheidet. Geschaffen wurde ein städtisches Narrativ, das auf einigen wenigen zentralen Elementen fußt: dem Guelfentum, dem Stolz auf die eigene Geschichte, der Treue zu republikanischen Werten, die dezidiert jeder Versuchung entgegentreten, sich einem Signore zu unterwerfen. Federigo Bambi kann zeigen, dass Andrea Lancia nicht den gesamten Statutenkomplex selbst übersetzte. Bereits zeitgenössisch war vermerkt worden, dass "ser Andreas Lance, notarius, de ipsis in magna parte vulgarizavit". Einen "großen Teil" habe er übersetzt - und dieser Teil wird auf der Basis sprachlicher Vergleiche überzeugend als Statuto del Podestà identifiziert.
Aufgrund der Bedeutung der Übersetzung für die Entwicklung der italienischen Sprache hatte man sich in der 1583 gegründeten Accademia della Crusca in Ermangelung einer Druckedition dazu entschlossen, für die zwischen 1863 und 1923 erschienenen elf Bände des Vocabolario degli Accademici della Crusca direkt aus den Handschriften zu schöpfen, so dass tatsächlich bereits vor Erscheinen der vorliegenden Edition kleinere Auszüge aus den Statuten gedruckt vorlagen.
All diejenigen, die an Fragen der Sprachentwicklung des Italienischen interessiert sind, werden von einer Durchsicht des im dritten Band der Edition abgedruckten lexikalischen Index reichen Gewinn davontragen. In diesem Indice-Glossario (III, 5-231) finden sich auch aus den Quellen geschöpfte Erläuterungen so zentraler Begrifflichkeiten wie "ordinamento", "comune" oder "podestà". Acht Farbtafeln vermitteln einen guten Eindruck vom äußeren Erscheinungsbild der Handschrift mit ihren Rubriken und den ausgeschmückten Initialen.
Die mustergültig erstellte Edition operiert mit einem einzigen Apparat, in dem lediglich Ergänzungen, Unterstreichungen, Marginal- bzw. Interlinearglossen des codex unicus erfasst werden. Der erste Band umfasst den Statuto del Capitano del Popolo (I, 127-645), der zweite den Statuto del Podestà.
Die Edition trägt zu einem besseren Verständnis der Florentiner Geschichte im 14. Jahrhundert bei. Die nahezu 1.000 Rubriken lassen keinen Winkel der Lebenswirklichkeit am Arno unausgeleuchtet. Nicht nur Informationen zur Institutionengeschichte werden geliefert. Man erfährt vieles über die Beteiligung unterschiedlicher Bevölkerungsschichten am (sozialen und politischen) Leben, über die Normen, die dieses Leben lenkten, über städtebauliche Planungen, über die Bedeutung des für den Handel im spätmittelalterlichen Europa so bedeutenden Goldflorin, über Luxusgesetzgebung und vieles mehr. Wie sehr sich Rechts- und Kulturgeschichte durchdringen, wird hier deutlich. Und so werden nicht nur Politik- und Institutionengeschichte, sondern auch Geistes- und Kulturgeschichte reichen Gewinn von einer Durchsicht und Analyse der Rubriken davontragen.
Ralf Lützelschwab