Rezension über:

Sitta von Reden / Kai Ruffing (Hgg.): Handbuch Antike Wirtschaft (= Handbücher zur Wirtschaftsgeschichte), Berlin: De Gruyter 2023, XV + 834 S., 3 Farb-, 15 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-056757-1, EUR 210,00
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Rezension von:
Moritz Hinsch
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Moritz Hinsch: Rezension von: Sitta von Reden / Kai Ruffing (Hgg.): Handbuch Antike Wirtschaft, Berlin: De Gruyter 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 3 [15.03.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/03/38710.html


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Sitta von Reden / Kai Ruffing (Hgg.): Handbuch Antike Wirtschaft

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Nach dem Vorbild der Oxford University Press verlegt De Gruyter seit einigen Jahren Handbuchreihen, die den aktuellen Stand auf den von fortschreitender Spezialisierung zunehmend parzellierten Feldern geisteswissenschaftlicher Forschung zusammenzufassen. Eine dieser Reihen sind die von Marcel Boldorf und Christian Kleinschmidt herausgegebenen Handbücher zur Wirtschaftsgeschichte, die speziell auf den deutschsprachigen Raum ausgerichtet sind. In dieser Reihe ist 2023 der zu besprechende Band zur antiken Wirtschaft von Sitta von Reden und Kai Ruffing erschienen, der mit 32 systematisch gegliederten Kapiteln grundlegend in die Thematik einführt.

Das Handbuch gliedert sich in vier Teile A, B, C und D. Teil A, "Die Erforschung der antiken Wirtschaft" ist Modellen, Methoden und Quellen gewidmet. Zwei Merkmale kennzeichnen diesen Teil. Zum einen erhalten Forschungsgeschichte und theoretische Modellbildung jeweils eigene Kapitel (von Patrick Reinard resp. Arjan Zuiderhoek), was mehr Raum gibt, um dem mittlerweile herrschenden Pluralismus der Forschungsansätze gerecht zu werden. Zum anderen gehen die übrigen Beiträge ausführlich auf das Potential der Grundwissenschaften Archäologie, Numismatik, Epigraphik und Papyrologie für die Erforschung der antiken Wirtschaft ein. Das entspricht zum einen dem besonderen Potential, das nicht-literarische Quellen für neue Forschung abseits der ausgetretenen Pfade haben; zum anderen entspricht es den besonderen methodischen Vorkenntnissen, die der Umgang mit diesen Quellen erfordert. Die hier vorgelegten Einführungskapitel erleichtern es nun, bereits in der Lehre entsprechende Grundlagen zu schaffen. Gewünscht hätte sich der Rezensent gleichwohl noch ein Kapitel zum Umgang mit literarischen Quellen, denn es bleibt eine der methodischen Herausforderungen für an Wirtschaft interessierte Althistorikerinnen, dass sie literarische Werke teilweise fiktionalen Inhalts hermeneutisch analysieren, wo die Kolleginnen späterer Epochen dokumentarische Quellen quantifizieren. Ein von Sabine Föllinger verantwortetes Kapitel widmet sich immerhin philosophischen Texten, geht dabei allerdings nicht über die Zeit der römischen Republik hinaus.

Teil B ist den "Strukturbedingungen der antiken Wirtschaft" gewidmet - Ökologie, Demographie, Technologie, Frauen und Arbeit. Jedes der fünf Kapitel bietet einen verlässlichen Einstieg in diese Grundlagenthemen. Man kann, auch in Hinsicht auf die übrigen Beiträge des Handbuchs, darüber nachdenken, wie andere Themenzuschnitte andere Fokusse zur Folge gehabt hätte. So wäre etwa denkbar gewesen, anstatt eines frauengeschichtlichen Fokuses, wie ihn Beate Wagner-Hasel wählt, einen strukturellen Fokus auf "Haushalt und Familie" zu richten, der es ermöglicht hätte, auch über altersspezifische Aspekte von Arbeit (Kinderarbeit, Versorgung der Alten usw.) zu sprechen; oder wiederum einen breiteren geschlechterspezifischen Ansatz, der den Blick dafür öffnen würde, wie Konstruktionen von Männlichkeit sich auf Berufstätigkeit auswirkten und umgekehrt. In Oliver Schipps Beitrag zur Arbeit wiederum kommt die Frage nach Status und Herrschaft in Bezug auf Sklaven und Kolonen ausführlich zur Sprache, ein Themenkomplex, der in manchen der folgenden Beiträge fast als akzidentielle Erscheinung einer 'reinen' Wirtschaftsgeschichte behandelt wird.

Teil C und D widmen sich jeweils der griechischen und der römischen Geschichte und sind dabei weitgehend parallel aufgebaut. Beide Teile enthalten jeweils Kapitel zur frühen Wirtschaft im Osten resp. Westen des Mittelmeerraums, zu öffentlichen Finanzen, Landwirtschaft, Handwerk, Wirtschaft und Militär, Wirtschaft und Religion, Kredit und Banken und der "Vernetzung der Wirtschaft", also Handel und Transport. Um dem Sondercharakter der Metropole Roms und des römischen Reichs während der Kaiserzeit gerecht zu werden, enthält Teil D zu Rom außerdem Kapitel zu den Provinzen und zu den Grenzen des Reichs, zur Ökonomie der Stadt Rom und zur Krise des Reiches.

Die Arbeitsweise der einzelnen Autorinnen und Autoren variiert, wie es bei einem großen kollaborativen Projekt nur zu erwarten ist. Zunächst fällt auf, dass die Tiefenstaffelung der Zwischenüberschriften zwischen einer und bis zu drei Ebenen variiert. Ebenso variiert die Ausführlichkeit mit der Primärquellen zitiert und besprochen werden. Dort, wo die Primärquellen besonders ausführlich zu Wort kommen, ist das eine großartige Illustration des Potentials insbesondere von Inschriften und Papyri, setzt bei der Leserin allerdings auch mehr Vorwissen oder Abstraktionsfähigkeit voraus. Während einige Beiträge über ihre Literaturverweise einen repräsentativen Eindruck der aktuellen Forschung geben, finden sich in anderen zuweilen mehr Verweise auf ältere Einführungswerke als in einem Handbuch wünschenswert wäre. Insgesamt liefern dessen ungeachtet alle Beiträge einen verlässlichen Einstieg ins jeweilige Thema.

Was ist zum Band als Ganzes zu sagen? Im Vergleich zu früheren Werken dieses Formats, nicht zuletzt der enorm einflussreichen Cambridge Economic History of the Greco-Roman World (2007), setzt der Band neue Akzente. Dazu gehört der bereits erwähnte Fokus auf Quellen und Methoden. Dazu gehört auch die Aufnahme von Forschungsthemen, die in jüngerer Zeit besondere Aufmerksamkeit erfahren haben, insbesondere die Komplexe Wirtschaft und Militär und Wirtschaft und Religion. Eher zurückhaltend behandelt wird das Thema Familie und Hauswirtschaft, das in den letzten Jahren für die griechische wie römische Welt gleichermaßen 'neu entdeckt' wurde, im Handbuch allerdings nur im Titel des Beitrags von Astrid Möller genannt wird, der die Hauswirtschaft zusammen mit der Landwirtschaft behandelt. Insgesamt hat das Handbuch einen makroökonomischen Blick, mit einem Fokus auf Märkten und anderen distributiven Systemen sowie staatlichen Institutionen und Akteuren; Fragen nach mikroökonomischen Strategien, privaten Organisationsformen sowie Wahrnehmungen und Mentalitäten werden eher mitbehandelt.

Als Ansporn für zukünftige Forschung wäre es schön gewesen, hätten die Beiträge noch systematischer die jeweiligen Forschungsdesiderate ihres Themenfeldes benannt. Das größte Desiderat in chronologischer Hinsicht ist schlussendlich die Spätantike, die wie bereits in der Cambridge Economic History kein eigenes Kapitel erhält und auch sonst nur gestreift wird. Wie viel (häufig nicht-deutschsprachige) Forschung es gerade zu dieser Epoche allerdings mittlerweile gibt, deutet der instruktive Ausblick in Kai Ruffings Kapitel zum dritten Jahrhundert an. Man darf insofern hoffen, dass das Handbuch zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und Wirtschaft der Spätantike auch in der deutschsprachigen Forschung anregen wird.

Als Handbuch hält der Band, was das Format verspricht: eine gelungene Inventur des aktuellen Forschungsstandes, die das Potential des Gegenstands verdeutlicht. Mit dem Blick ins Inhaltsverzeichnis erhält die interessierte Leserin eine repräsentative Vorstellung vom 'Who is who' der deutschsprachigen Forschung und zentralen Themenkomplexen des Feldes. Angesichts der dynamischen internationalen Forschung bietet das Handbuch einen hervorragenden Ausgangspunkt, um auch in der deutschsprachigen Alten Geschichte der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte jenen Platz einzuräumen, den sie angesichts der Relevanz ihrer Fragestellungen verdient.

Moritz Hinsch