Dagmar Hirschfelder / Katja Kleinert / Erik Eising (Hgg.): Frans Hals. Meister des Augenblicks, Ostfildern: Hatje Cantz 2024, 368 S., 135 Farb-Abb., ISBN 978-3-7757-5749-2, EUR 50,00
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Katja Kleinert: Atelierdarstellungen in der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts - realistisches Abbild oder glaubwürdiger Schein?, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006
Dagmar Hirschfelder / León Krempel (Hgg.): Tronies. Das Gesicht in der frühen Neuzeit, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2014
Dagmar Hirschfelder: Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2008
Mit der Ausstellung "Frans Hals. Meister des Augenblicks" widmete die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin dem Haarlemer Maler im vergangenen Jahr die erste umfassende Retrospektive in Deutschland. Sie entstand im Rahmen einer groß angelegten internationalen Kooperation mit der National Gallery London und dem Rijksmuseum Amsterdam. Als dritte Station rückte die Berliner Schau nicht nur Frans Hals selbst ins Zentrum, sondern auch sein unmittelbares künstlerisches Umfeld im Haarlem des 17. Jahrhunderts. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Rezeption des Künstlers durch deutsche Maler und Sammler wie auch die beginnende Kunstgeschichtsschreibung und Ausstellungspraxis im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diese gezielte Betrachtung im Kontext prägt ebenso den eigens für die Berliner Ausstellung aufgelegten Katalog, der neben der inhaltlichen Ausrichtung durch eine ansprechende Gestaltung mit zahlreichen ganzseitigen Detailabbildungen überzeugt.
Bereits in der Einleitung legt Kuratorin und Herausgeberin Katja Kleinert die besondere Rolle der Gemäldegalerie Berlin für Hals' Wiederentdeckung in Deutschland dar und stellt die führenden Protagonisten der Hals-Forschung vor. Sie zeigt, wie die seit 1840 getätigten Ankäufe der Gemäldegalerie und die damit verbundenen Zu- und Abschreibungen Hals' "wandelnde Wertschätzung geradezu mustergültig" widerspiegeln (12). In einer kritischen Reflexion öffnet Kleinert den Blick auch auf museumspolitische Entscheidungen, die heute als Fehleinschätzungen bewertet werden. Der Perspektive der Sammler und Kunsthistoriker stellt Justus Lange zum Abschluss des Katalogs den Blick der um 1900 tätigen deutschen Impressionisten gegenüber. Mit seiner Zuspitzung auf ausgewählte deutsche Künstler, darunter Lovis Corinth, Fritz von Uhde und Max Liebermann, bereichert der Beitrag die breite Betrachtung, die 2018 vom Frans Hals Museum Haarlem zur internationalen Hals-Rezeption vorgelegt wurde. [1] Die gelungene Rahmung aus musealer Perspektive und künstlerischen Reflexionen der Moderne fängt einen Blick auf den "Alten Meister" ein, der unserem heutigen nähersteht und auch diejenigen zur Beschäftigung einzuladen vermag, die bisher nur wenige Berührungspunkte mit Hals' Sujets und seiner Malweise hatten.
Nach Vorwort und Einleitung untergliedert sich der Katalog in eine Kombination aus wissenschaftlichen Essays und unterschiedlich umfangreichen Katalogstrecken mit Einzelbeiträgen zu den ausgestellten Werken. In der Auswahl der Autor:innen ist eine internationale Expertise zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts versammelt. Hals' Werk ist es geschuldet, dass die Beschäftigung motivisch vor allem um Porträts und ausdrucksstarke Kopfdarstellungen (Tronies) kreist. Wie dynamisch er malte und mit welcher Lebendigkeit er Emotionen darzustellen vermochte, wird dabei immer wieder als exzeptionelles Charakteristikum seiner Kunst deutlich.
Aus dem Katalog der Kooperationspartner wurden - in bemerkenswert guter Übersetzung - vier Artikel übernommen [2]: Jaap van der Veens biografischer Überblick, Bart Cornelis' Aufsatz zur "Porträtmalerei als Kunst" sowie Friso Lammertses Beitrag zum "Lachen" und dessen gemeinsam mit van der Veen verfasster Text über Hals' "volck", also seine Werkstattmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Eine Besprechung dieser Beiträge erfolgte bereits in der ausführlichen Rezension von Norbert Middelkoop, die im September 2024 in Oud Holland erschienen ist. [3] Erik Eising, Dagmar Hirschfelder und Katja Kleinert ergänzen diese Essays durch eine Auseinandersetzung mit Hals' Kooperationen, seinen malerischen Experimenten in Tronies und Genreszenen sowie eine sehr lesenswerte Einzelbetrachtung des faszinierenden Berliner Gemäldes der Malle Babbe.
Der Aufbau des Katalogs ermöglicht es, sich dem Schaffen des Haarlemer Malers, seinen Arbeitsbedingungen und seiner künstlerischen Annäherung an die Eliten und Randgruppen der damaligen Gesellschaft sowohl überblicksartig als auch konzentriert und vertiefend aus jeweils werkspezifischen Fragestellungen zu widmen. Die Katalogbeiträge fungieren dabei als "Sehhilfen": Sie weisen konzis und anschaulich auf Besonderheiten der Gemälde hin und beziehen Stellung zu aktuellen Forschungsfragen - etwa zur Kleidung in den Porträts (41, Kat. 2), der Identifikation von Auftraggebern (42, Kat. 3; 129, Kat. 22) oder der anhaltenden Diskussion um die Gattungszugehörigkeit der expressiven, zwischen Porträt und Genredarstellung oszillierenden Tronies (38, Kat. 1). Den Herausgeber:innen ist es geglückt, inhaltliche Redundanzen zwischen den Essays und den Katalogbeiträgen zu vermeiden. Zugleich bietet der Aufbau Raum für das Nebeneinander unterschiedlicher Deutungen. Beispielsweise interpretiert Cornelis in seinem Essay zu Hals' Porträtmalerei den Handgriff des Kindes im Bildnis der Catharina Hooft mit ihrer Amme als eine Geste zwischen Zuneigung und Distanz (63). In ihrer Katalognummer deutet Kleinert den Griff an den Kragen unter Verweis auf einen Stich hingegen als eine Handbewegung, die für gestillte Kinder selbstverständlich war und hier mit Lebensnähe von Hals eingefangen wurde (41, Kat. 2). Gezielte Querverweise an solchen Stellen könnten aufzeigen, dass einige Aspekte in Hals' Schaffen noch nicht abschließend diskutiert sind.
Ein besonderes Verdienst des Katalogs liegt darin, Hals' Künstlerpersönlichkeit in ihrer Komplexität vor dem Hintergrund der zeitgebundenen sozialhistorischen Bedingungen zu erfassen. Ohne in eine Genieerzählung zu verfallen, machen die Texte den Maler als Innovator und seine Werke in ihrer künstlerischen Virtuosität geradezu erlebbar. Die Autor:innen lassen Hals dabei gleichermaßen als einen Künstler greifbar werden, der fest in die Haarlemer Kunstproduktion des 17. Jahrhunderts eingebunden war. Wie seine damaligen Kolleginnen und Konkurrenten unterlag er mit seinem Schaffen den Gesetzen des Kunstmarktes und den Ansprüchen seiner Auftraggeber. Dank van der Veens differenzierter Einordnung so mancher Anekdoten über Hals' Alkoholkonsum und seine finanzielle Situation (27-34) lernen die Leser:innen den Künstler neben seinem Image als Lebemann auch als geschickten Netzwerker und Geschäftsmann kennen. Wie ein roter Faden zieht sich durch verschiedene Beiträge außerdem die Erkenntnis, welche richtungsweisende Bedeutung Hals' flämische Migrationsgeschichte für sein Schaffen hatte (20-21). Die in Flandern geprägten Bildtraditionen und Arbeitsweisen sollten Hals' Troniemalerei ebenso wie seine gelegentlichen Kooperationen anleiten, wie Hirschfelder (185-186) und Eising (155, 160) zeigen können. Als besonders prägend für Hals' Schaffen erhellen die Beiträge von Cornelis und van der Veen auf Basis aktueller gemäldetechnologischer Untersuchungen (102, Kat. 11) und teilweise erstmals veröffentlichter Archivquellen (25-27) außerdem die Rolle des Auftraggebers Isaac Abrahamsz Massa. Abgerundet wird das vielschichtig aufgefächerte Bild des Künstlers durch den Blick auf die Mitarbeiter:innen, darunter Judith Leyster oder Adriaen Brouwer, in Hals' Werkstatt. Nach der Lektüre stellt sich diese als regelrechter Hub für junge, sich gegenseitig und den Meister selbst beflügelnde Talente dar. Eindrücklich führt der Katalog so vor Augen, dass Frans Hals sich mit seiner Kunst in einem dichten Netz bewegte, das - auch über das unmittelbare Umfeld in Haarlem hinaus - spannende Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschungen und Ausstellungen bieten kann.
Anmerkungen:
[1] Zum Haarlemer Projekt siehe Marrigje Rikken / José Rozenbroek (eds.): Frans Hals en de modernen, Ausst. Kat. Frans Hals Museum, Haarlem 2018.
[2] Bart Cornelis / Friso Lammertse / Justine Rinnooy Kan / Jaap van der Veen (eds.): Frans Hals, Ausst. Kat. The National Gallery London / Rijksmuseum Amsterdam, Amsterdam 2023.
[3] https://oudholland.rkd.nl/index.php/reviews/134-review-of-frans-hals-2023.html [Letzter Zugriff: 24.02.2025]
Friederike Schütt