Rezension über:

Gerd Schwerhoff: Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung, München: C.H.Beck 2024, 720 S., 21 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-82180-6, EUR 34,00
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Rezension von:
David von Mayenburg
Institut für Rechtsgeschichte, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
David von Mayenburg: Rezension von: Gerd Schwerhoff: Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung, München: C.H.Beck 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 7/8 [15.07.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/07/39302.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "500 Jahre Bauernkrieg" in Ausgabe 25 (2025), Nr. 7/8

Gerd Schwerhoff: Der Bauernkrieg

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Nachdem der Bauernkrieg sich 1975 zum 450. Mal gejährt hatte, erschien 1977 eine Bibliographie mit 533 Titeln, die in zwei Bänden alle Bücher und Aufsätze aufzählte, die im Vorfeld dieses "Jubiläums" erschienen waren. [1] Wenn man die in den letzten 50 Jahren hinzugekommene Literaturfülle hinzurechnet, drängt sich die Frage auf, welchen Nutzen eine 700seitige Gesamtdarstellung des Bauernkriegs noch haben kann. Angesichts dieser Situation wählt Gerd Schwerhoff einen ebenso überraschenden wie radikalen Weg: Ziel seiner Arbeit ist weder die Antwort auf eine konkrete Forschungsfrage noch die Analyse der Motive und Zielsetzungen der Akteure, sondern schlicht die ereignishistorische Rekonstruktion. Überraschend ist dieser Weg, weil in der Literaturfülle des Bauernkriegsgenres die Ereignisgeschichte tatsächlich deutlich unterrepräsentiert ist. Die neueren und neuesten Standardwerke von Franz und Blickle bis zu Kaufmann und Roper widmen sich stets Ausschnitten des Geschehens: "Altes und biblisches Recht", Gemeindliche Autonomie, Medienrevolution oder Freiheitskampf sind die Leitfragen dieser Bücher. Radikal ist Schwerhoffs Ansatz, weil er versucht, alle Beschränkungen abzustreifen, die eine problemorientierte Geschichtsschreibung mit sich bringt. Dabei ist er sich natürlich des Risikos bewusst, dass eine bloße Ereignisgeschichte die Gefahr einer beliebigen und dann auch langweiligen Aneinanderreihung von Fakten mit sich bringt und dass er daher "die komplexen Geschehnisse bis zu einem gewissen Grad glätten, Widersprüche und gegenläufige Tendenzen unterschlagen [und] zentrale Handlungsstränge herausarbeiten" muss (14). Nach der Lektüre des Buchs lässt sich sagen, dass es lohnend ist, sich auf die Vorteile dieses Ansatzes einzulassen. Denn tatsächlich findet Schwerhoff für seine Ereignisgeschichte ein fesselndes Narrativ, das an keiner Stelle die Langeweile einer buchhalterischen Chronologie aufkommen lässt. Zudem bietet Schwerhoff an vielen Stellen im Text und in seinem ausführlichen Resümee (Kap. 18, 531-584) eben doch einige wichtige Ergebnisse und Synthesen.

Das Buch ist entsprechend seiner Konzeption streng chronologisch aufgebaut. Nach einer Übersicht über die "Welt um 1500" folgen 15 Kapitel zum Verlauf der Ereignisse von den Vorboten im Südwesten des Reichs im Sommer 1524 bis zu "Gaismairs Krieg", der vom Herbst 1525 bis Juli 1526 reichte. Ein weiteres Kapitel resümiert die "Folgen und Nachwirkungen" des Konflikts. Auf das Resümee folgt schließlich ein Epilog, der sich mit der Historiographie und Erinnerungskultur des Bauernkriegs beschäftigt.

Eine inhaltliche Zusammenfassung der knapp 600 Seiten umfassenden Darstellung in einer knappen Rezension ist unmöglich. Stattdessen soll das Buch an seinen eigenen Ansprüchen gemessen werden. Ob der Plan, den Bauernkrieg auf der ereignishistorischen Ebene in seiner räumlichen und zeitlichen Dimension möglichst flächendeckend zu rekonstruieren, aufgeht, hängt ganz wesentlich davon ab, ob und wie weit man sich dem Verfasser anvertrauen kann. Denn der schmal gehaltene Fußnotenapparat legt nur sehr rudimentär offen, welche Stücke aus der teils sehr umfangreichen Forschungsliteratur Schwerhoff herangezogen hat und auch das 38 Seiten umfassende Literaturverzeichnis kann naturgemäß nur die Spitze des Eisbergs enthalten. Der Text macht aber deutlich, dass Schwerhoff aus einer noch deutlich umfangreicheren Faktengrundlage schöpft.

Welch gewaltige Aufgabe sich Schwerhoff gestellt hat, wird bereits bei der Lektüre des ersten Kapitels klar, das einen Überblick über die Ausgangslage verspricht (zu der Schwerhoff im Übrigen kürzlich ebenfalls ein Buch publiziert hat [2]): Die Darstellung ist zwar klar, verständlich und präzise, aber enorm dicht. Raum für Details oder analytische Abschweifungen bleibt nicht, geradezu atemlos treibt die Darstellung weiter: Von den ersten Versuchen einer Verhandlungslösung über die Versuche der Bauern, ihre Bewegung ideologisch zu fundieren, und die ersten Kampfhandlungen bis hin zu den verheerenden Gemetzeln, in denen der Aufstand niedergeschlagen wurde, verfolgt Schwerhoff das Geschehen entlang der Zeitlinie über stets wechselnde Schauplätze hinweg. Man kann sagen, dass er bei seiner Kartographie des Bauernkriegs eine mittlere Flughöhe wählt und dabei ein durchaus detailscharfes Panorama der Bauernkriegslandschaft zeichnet. Wer dabei die Auflösung erhöht und sich Einzelheiten mit Hilfe der einschlägigen Literatur näher ansieht, wird dann doch einige Unschärfen feststellen, darunter auch Wertungen und Akzentuierungen, die man auch anders vornehmen kann. Dazu gehören Kleinigkeiten, die nur dem Spezialisten auffallen, aber auch grundsätzlichere Aspekte, wie die auch im Abschlusskapitel noch einmal betonte Bedeutung des Religiösen als verbindender Klammer des Bauernkriegs (535ff.). Zweifel ergeben sich hier etwa beim Blick auf die Ursprungsregion Stühlingen, wo religiöse Aspekte bis April 1525 - wie Schwerhoff selbst zugesteht - keine erkennbare Rolle spielten.

Dass man sich Schwerhoff trotzdem anvertrauen kann, liegt auch an seinem kritischen und distanzierten Zugriff auf die Literatur. Stets wird der neueste Forschungsstand präsentiert. Hergebrachten Narrativen, vor allem den "Meistererzählungen" von Franz bis Blickle, bringt er berechtigterweise ebenso großes Misstrauen entgegen wie den bis in die jüngste Zeit fortgeschriebenen Einseitigkeiten der Überlieferung, die meist auf eine stark asymmetrisch-bauernfeindliche Quellenlage zurückgehen. Forschungskontroversen werden sichtbar und die Stellungnahmen Schwerhoffs erscheinen - bei allen Differenzierungen im Detail - insgesamt transparent und im Ergebnis überzeugend: Die Forderungen der Bauern werden überwiegend als moderat beschrieben, ihr Ziel bestand in Verhandlungen, nicht im Umsturz. Als Leittexte (542) dienten dabei die 12 Artikel und die Bundesordnung. Deren Verbreitung durch den Buchdruck ermöglichte eine zeitgenössisch beispiellose kommunikative Situation und förderte den Zusammenhalt der Bewegung. Als Hauptgegner der Bauern wird der Klerus und erst in zweiter Linie der Adel identifiziert. Dass die Gewalt der Bauern unter den Zeitgenossen solch großes Entsetzen hervorrief, wird von Schwerhoff überzeugend einer gegenüber heutigen Vorstellungen andersartigen Hierarchisierung bei der Bewertung von Gewalt zugeschrieben (556). Zu Recht weist er außerdem darauf hin, dass weder die Bauern noch ihre Gegner eine immer klar zu fassende Einheit bildeten. Gerade diese "Vielfalt und Fragmentierung" (561) macht die Einordnung der Ereignisse von 1525 so schwierig. Vor diesem Hintergrund ist die Bereitschaft Schwerhoffs besonders hervorzuheben, ungeklärte Fragen nicht durch Spekulationen zu überspielen, sondern Lücken explizit offen zu lassen.

Das Buch ist insgesamt professionell redigiert und mit instruktiven Karten und Abbildungen ausgestattet. Kleinere redaktionelle Mängel bilden die seltene Ausnahme. So fehlt Casimir Bumillers Darstellung des Hegauer Aufstands, die in den Fußnoten zitiert wird, im Literaturverzeichnis. [3]

Abschließend sei auf einen Umstand aufmerksam gemacht, der in ähnlicher Weise auch andere monumentale Neuerscheinungen zum Bauernkriegs-"Jubiläum" betrifft: Als Quellengrundlage greift Schwerhoff ganz überwiegend auf die publizierten Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts und nicht auf Archivgut zurück. Das tut der Leistungsfähigkeit des Buchs als meisterhaft geschriebener Gesamtdarstellung keinen Abbruch. Berücksichtigt man aber, dass allein in den großen Archiven (Karlsruhe, Stuttgart, München, Innsbruck) noch ein unermesslich reichhaltiger Schatz an ungehobenen Archivalien liegt, so wünscht man sich, dass die Forschung sich auch nach dem Ende des "Jubiläumsjahrs" bemühte, die von Schwerhoff aufgegriffenen und angestoßenen Diskussionen auf der Basis archivgestützter Publikationen fortzusetzen.


Anmerkungen:

[1] Ulrich Thomas (Hg.): Bibliographie zum deutschen Bauernkrieg und seiner Zeit (Veröffentlichungen seit 1974), 2 Bde., Stuttgart 1977.

[2] Gerd Schwerhoff: Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts, Konstanz 2024.

[3] Neuerdings als Zweitauflage: Casimir Bumiller: Der Bauernkrieg im Hegau 1524/25. Rekonstruktion einer revolutionären Bewegung, Meßkirch 2024.

David von Mayenburg