Jan Martin Lies: Zwischen Krieg und Frieden. Die politischen Beziehungen Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Haus Habsburg 1534-1541 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte; Bd. 231), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 596 S., ISBN 978-3-525-10116-2, EUR 89,99
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Die Literatur zu Landgraf Philipp von Hessen ist mehr als reichhaltig; umstritten war er immer, zwischen Verklärung und Verachtung gibt es, in einem sehr breiten Bewertungsspektrum, zahlreiche Charakterisierungsversuche. Jan Martin Lies versucht erst gar keine originelle neue Gesamtdeutung, beschränkt sich ganz strikt auf ein Segment der hessischen Außenpolitik: die Beziehungen zum Haus Habsburg nämlich, und auch das nur über acht Jahre hinweg. Diesen eng gefassten Fokus leuchtet Lies sehr, sehr gründlich aus. Das sollte man einerseits loben, bekommt doch kraft- und nervenzehrende Archivarbeit, jedenfalls nach Ansicht des Rezensenten, im Fach derzeit bei weitem nicht die ihr gebührende Wertschätzung. Über ein so eng gefasstes Thema fast sechshundert Seiten vorzulegen: das ist freilich schon ein Grenzfall. Weiter sollte man die Gewichtung zwischen Aktenparaphrase und raffender Ordnung des Stoffes nicht mehr zu ersterer hin verschieben.
Die Dissertation beleuchtet die Beziehungen zwischen sehr ungleich mächtigen Partnern (am Ende des Untersuchungszeitraums) bzw. Rivalen (zu Beginn). Philipp wollte das eklatante Machtgefälle, modern formuliert, durch rege Netzwerkarbeit etwas einebnen. So ist in der Monographie denn auch viel von Bündnissondierungen, Allianzentwürfen, versuchten und gelingenden Bundesgründungen die Rede.
Lies beginnt mit einem Abriss der hessische Außenpolitik zwischen 1518 und 1534. Diese hauptsächlich in Literatur, doch kundig recherchierten und klug resümierenden, übrigens sogar wertungsfreudigen Passagen der Arbeit sind weniger mühselig zu lesen als der so ausführliche Rest. Wir merken, dass die Ausgangslage für den 13jährigen Knaben Philipp prekär gewesen ist - Streit mit allen Nachbarn, bedrohliche Erbansprüche der Nassauer Grafen auf Teile seines Territoriums, darunter die wohlhabende Grafschaft Katzenelnbogen. "Die territoriale Integrität seines Landes und alle Errungenschaften der landgräflichen Territorialpolitik des 15. Jahrhunderts standen für Philipp auf dem Spiel. Es ging [...] um nichts weniger als Sein oder Nichtsein" (38). Eine kaiserliche Schiedskommission gab 1523 den Nassauern Recht. Das Verhältnis Philipps zu den Habsburgern war also schon feindselig, ehe sich der Landgraf zu Luther bekannte und 1526 den von den Habsburgern vertriebenen württembergischen Herzog Ulrich bei sich aufnahm. Die in jüngeren Veröffentlichungen diskutierte Formel eines "deutungsoffenen Verhaltens" des Landgrafen lehnt Lies ab. Sein Philipp ist so dezidiert wie demonstrativ evangelisch, und das aus tiefstem Herzen. Religiosität spielte auch für die Aufnahme Ulrichs eine "entscheidende Rolle" (66). Die hessischen Umtriebe rund um die "Packschen Händel" sieht Lies kritisch ("mehr als nur ein schaler Beigeschmack": 71). Wir gehen mit Philipp zum Marburger Religionsgespräch und sehen, wie sich sein antihabsburgisches Bündnisgeflecht zuammenzieht.
Der Hauptteil der Arbeit beginnt mit dem Krieg um Württemberg, endet mit dem (wie wieder einmal deutlich wird: nicht gar so geheimen) "Geheimvertrag" zwischen Philipp und Karl V. Die Eroberung Württembergs ist die frühe Peripetie: Höhe-, auch schon Wendepunkt. Danach wird aus Opposition zum Haus Habsburg vorsichtiges Lavieren. Den Streit um Geldern wie vordem den um Württemberg dafür zu instrumentalisieren, den kleinen Landgrafen als Bündnispartner europäischer Mächte interessant zu machen, will nicht nachhaltig gelingen. Dann treiben "Doppelehe" und "Geheimvertrag" in die politische Isolation.
Lies bietet gründlich recherchierte Ereignisgeschichte, er ist (trotz des Buchtitels) nicht an den konzeptionellen Grundlagen der vormodernen Bellizität interessiert. Über Philipps "Haltung zu Krieg und Frieden" (323) erfahren wir kaum Grundsätzliches - ob das an den Akten liegt, kann nur der Autor wissen. Wie fast alle damaligen Politiker hielt Philipp den Krieg, wenn er kommunizierbar und gewinnbar war, für ein legitimes Mittel der Politik, und Glaubensüberzeugungen waren ein würdiger Kriegsgrund: Das immerhin wird deutlich, überraschen kann dieser wenig spezifische Befund nicht. Ende 1540 tauche in der landgräflichen Korrespondenz "zum ersten Mal" der Terminus "neutral" auf (508): Das wird einfach so notiert, ohne darauf hinzuweisen, dass das eine sehr frühe Erwähnung ist und dass der neumodische Begriff damals vielen prekär, sozusagen ein Unwort gewesen ist. Lies legt immer wieder ausführlich dar, wie Philipp Reklame für seine Politik, seine Allianzen, seinen Krieg machen ließ, aber welche "Öffentlichkeit" wollte er damit in diesen vordemokratischen Zeiten erreichen? Wir sehen beiläufig, vor allem in langen Fußnoten, wie Philipp sein Selbstbewusstsein und sein Evangelischsein inszenierte - treffliche Beobachtungen, die Anhänger des "performative turn" nicht in Fußnoten verbannt hätten.
Der Leser stößt dann doch noch auf ein die ganze Faktenfülle durchziehendes Leitmotiv: Philipps Frömmigkeit, die Lies sehr ernst nimmt. Den Landgrafen habe ein starkes "Sendungsbewusstsein" (51, 79, 135) angetrieben. "Licht und Finsternis, Wahrheit und Ketzerei, Gott und Teufel stritten miteinander" (80). "Durch ihn handelte Gott in der Geschichte" (178). Nach außen hin stritt Philipp, um allseits bündnisfähig zu sein, für die teutsche Libertät; tatsächlich, so Lies, ging es um Katzenelnbogen und um die Sache Luthers. Legitimation und Motivation klafften auseinander. Oder war Philipp doch ein früher deutscher Machiavellist? Dem Rezensenten fielen wiederholt Ähnlichkeiten zum wendigen Moritz von Sachsen auf. Philipp selbst war "klar", so Lies, "dass er nicht dauerhaft gegen Kaiser und König" stehen konnte (126). Das wird 18 Jahre später, 1552, ja auch gelten, Moritz will keinen Weltkrieg gegen die Weltmacht Habsburg, sondern günstige Voraussetzungen für Friedensverhandlungen. Wird Moritz die vermeintliche Achtsexekution gegen Magdeburg dafür nutzen, seine Kriegszurüstungen zu bemänteln, instrumentalisierte Philipp die Beunruhigung über das Münsteraner "Täuferreich" in gleicher Weise. War er nun "Pragmatiker der Macht" (22) oder Kämpfer für evangelische Wahrheit? Die allzu moderne Frage scheint an Philipp abzugleiten.
Man hätte das Manuskript einem tüchtigen Lektor vorlegen müssen. Neben manch gelungener Formulierung ("in der Verteidigung Philipps steckte erhebliche offensive Kraft") stehen unfreiwillige Sottisen ("strafrechtlich bewährtes Verbrechen") und Nonsens-Sätze ("es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Einschätzung die landgräflichen Verhältnisse und Möglichkeiten zu hoch eingeschätzt werden"). Die vielen falsch platzierten Kommata irritieren beim Lesen. Die Absätze sind so rar, dass der Therapievorschlag unseres fiktiven Lektors auf eine Verfünf- bis Verachtfachung gelautet hätte. Mäkelei über einige darstellerische Probleme darf aber nicht das letzte Wort sein. Es ist dem Autor gegeben, sich geduldig in Akten zu vertiefen, seine Stärken liegen sichtlich bei der Recherche. Er hat keine aufregende, aber eine grundsolide, bestens dokumentierte Arbeit vorgelegt.
Axel Gotthard