Rezension über:

Ignacio Czeguhn / Heiner Lück (Hgg.): Kaiser Karl V. und das Heilige Römische Reich. Normativität und Strukturwandel eines imperialen Herrschaftssystems am Beginn der Neuzeit (= Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig; Bd. 14), Stuttgart: S. Hirzel 2022, 768 S., 101 s/w-Abb., ISBN 978-3-7776-3298-8, EUR 124,00
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Rezension von:
Johannes Arndt
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Arndt: Rezension von: Ignacio Czeguhn / Heiner Lück (Hgg.): Kaiser Karl V. und das Heilige Römische Reich. Normativität und Strukturwandel eines imperialen Herrschaftssystems am Beginn der Neuzeit, Stuttgart: S. Hirzel 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 6 [15.06.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/06/38112.html


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Ignacio Czeguhn / Heiner Lück (Hgg.): Kaiser Karl V. und das Heilige Römische Reich

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Anlässlich der 500. Wiederkehr der Wahl Karls V. zum Römischen König haben Ignacio Czeguhn und Heiner Lück einen voluminösen Sammelband über den Kaiser der Reformationszeit herausgebracht. In ihm sind 24 Beiträge italienischer, österreichischer, spanischer und deutscher Forscher und Forscherinnen versammelt, die sich vom 1. bis 4. Oktober 2019 an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig versammelt hatten. Die Tagung fand in Kooperation mit der Nationalen Andalusischen Akademie der Wissenschaften zu Córdoba statt. Am Beginn stehen drei Grußworte sowie ein Vorwort der Herausgeber, durch das die Entstehungsumstände des Buches verdeutlicht werden. Auf eine inhaltliche Einleitung wurde verzichtet. Die Beiträge wurden in der Sprache ihrer Autoren und Autorinnen abgefasst und am Ende mit einer kurzen deutschen oder spanischen Zusammenfassung versehen.

Der Band teilt sich in drei Abteilungen. Die erste handelt von "Recht und Herrschaft". Alfred Kohler analysiert in einem Überblicksartikel das Weltreich Karls V. von der Idee der Universalmonarchie her, wie sie Mercurino Gattinara für den jugendlichen Habsburger entfaltet hatte. "Störfaktoren" der kaiserlichen Herrschaft waren für Kohler die Reichsstände, der französische König und der türkische Sultan. Julián Hurtado de Molina Delgado stellt den Kaiser als Liebhaber und Förderer der Kartografie dar. Dies entsprang ästhetischen Neigungen ebenso wie praktischen geographischen Interessen angesichts der vielen Herrschaftsgebiete. Die Druckgraphik ermöglichte die schnelle Verbreitung der Kartendrucke. Heiner Lück betont die Bedeutung der Constitutio Criminalis Carolina (1532) für die Professionalisierung der Rechtspraxis im Reich. Ignacio Czeguhn vergleicht die höchste Gerichtsbarkeit im Alten Reich mit der in Spanien. Karl war in beiden Reichen Inhaber der höchsten rechtsprechenden Gewalt, von ihm wurde die Verkörperung von Gerechtigkeit im absoluten, auch theologischen Sinn, erwartet. Das Ideal ließ sich in Spanien eher verwirklichen als im Reich, was an der Glaubensspaltung lag, aber auch an den widerstrebenden Reichsständen.

Regina Polo Martín betont, dass Karl V. in seinen spanischen Städten sehr unterschiedliche Strukturen hinsichtlich des Stadtregiments und der Rechtsprechung vorfand, die er recht behutsam zu vereinheitlichen versuchte. In Karls Regierungszeit wurde der Ämterkauf eingeführt, der kaufkräftigen Interessenten den Einstieg und den erblichen Verbleib in der Kommunalelite ermöglichte. Thomas Felix Hartmann stellt bei seiner Untersuchung zum Mehrheitsverfahren auf Reichstagen fest, dass dieser Zusammenhang erst im Zuge der Religionsspaltung im 16. Jahrhundert problematisiert wurde, weil damit das Ideal der einvernehmlichen Lösung versagte. Christian Winter konstatiert für Karl V. das Fehlen einer Strategie für den Umgang mit den wettinischen Herzögen und Kurfürsten. Aus kaiserlicher Sicht waren sie Untertanen und Lehnsleute, das gilt über die Kurtranslation von 1547 hinweg. Manfred Rudersdorf untersucht mit Philipp von Hessen die andere Führungsmacht des Schmalkaldischen Bundes. Trotz persönlicher Rückschläge trieb der Landgraf den Territorialisierungs- und Konfessionalisierungsprozess in seinem Herrschaftsgebiet voran, daran änderte auch die spätere Landesteilung nichts.

Die zweite Abteilung steht unter der Überschrift "Wirtschaft und Gesellschaft". Philipp Robinson Rössner legt zehn Thesen zu Martin Luther, der Reformation und dem Geld vor. Dabei widerspricht er der Vorstellung vom hinterwäldlerischen Kleriker Luther und betont im Gegenteil, dass der Reformator durchaus eine marktwirtschaftliche Entwicklung befürwortet habe, nur ohne deren extreme Auswüchse. Adolfo Carrasco Martínez konstatiert zwischen 1490 und 1530 einen Wandlungsprozess adliger Macht in Kastilien, der sowohl die Beteiligung des Adels an der herrscherlichen Gewalt als auch seine materielle Absicherung spürbar verbessert habe. David Torres Ibáñez stellt die Selbstorganisation der Kanzlei von Granada (Real Audiencia y Chancillería de Granada) vor. Dabei scheiterten Vereinheitlichungsprozesse, sodass drei nebeneinander fortlebende Dokumentenarchive unter einer zentralen Leitung übrig blieben.

Hilario Casado Alonso betrachtet die Wirtschaftsentwicklung Spaniens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und stellt dabei einen generellen Aufschwung fest. Die gleichzeitig anwachsenden fiskalischen Ansprüche der Krone, verursacht vor allem durch die kriegerischen Engagements im gesamten Herrschaftsbereich, hatten aber dennoch eine zunehmende Verschuldung zur Folge. Parallel dazu analysiert Anja Amend-Traut die Wirtschafts- und Handelspolitik Karls V. im Heiligen Römischen Reich. Wirtschaftspolitik gehörte zu den neuen Tätigkeitsfeldern von Staatlichkeit, die Antimonopolgesetzgebung kollidierte mit den fiskalischen Interessen des Kaisers. Wirtschaftsgesetze wurden künftig in der Regel von den Territorialregierungen erlassen, auch wenn das Reich, wie Amend-Traut betont, vertragsrechtliche Instrumentarien, die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten sowie Ansätze zum Verbraucherschutz beisteuerte.

Alexander Koller blickt auf das delikate Verhältnis Karls V. zu den Päpsten seiner Zeit. Das Pontifikat Hadrians VI., zuvor einer von Karls Lehrern, währte nur kurz. Später fürchteten die Päpste die starke kaiserliche Präsenz in Italien, deren schlimmste Folge sie im Sacco di Roma 1527 erfahren hatten. Karl konnte zwar seine Kaiserkrönung erlangen, allerdings gelang es nicht, eine einheitliche Strategie zur Bekämpfung der Glaubensspaltung zu verabreden. Isabel del Val Valdivieso spürt weiblichen Beziehungsnetzen in Kastilien am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit nach. Durch Korrespondenzen, Verwandtschaft und Nachbarschaft wurden weibliche Netzwerke gepflegt, die beweisen, dass Frauen sehr wohl eine aktive Rolle bei der Weiterentwicklung der Gesellschaft spielten.

Die dritte Abteilung folgt den Kategorien "Kultur und Religion". Daniela Novarese weist auf insuläres Erscheinen protestantischen Gedankenguts im Vizekönigreich Sizilien zur Zeit Karls V. hin. Durch entschiedenes und teilweise grausames Handeln konnten die kirchlichen und staatlichen Obrigkeiten eine Verbreitung verhindern. Verfolgt wurden auch Juden, Hexen und Homosexuelle. Yolanda Quesada Morillas verweist darauf, dass trotz der scharfen Zwangschristianisierung der Muslime des Königreichs Granada Aushandlungen besonders durch Königin Isabella, der Frau Karls V., feststellbar sind, die fiskalische Leistungen der Mauren/Moriscos gegen religiöse Duldung beinhalteten. Den rechtlichen Status der Moriscos im Königreich Valencia bis zu ihrer offiziellen Vertreibung 1609 untersucht Sara Moreno Tejada. Angelo Zotti untersucht Karl V. unter Rückgriff auf die Kategorien der Handlungssoziologie. Dabei erscheint der Kaiser als von Traditionen, überkommenen Normen, Sitten und Gebräuchen geleitet.

Armin Kohnle sieht in seinem Beitrag den Kaiser scheitern im Bemühen, die christliche Einheit Europas zu bewahren. Trotz persönlicher Frömmigkeit ließ sich der Kaiser politisch und auch kirchenpolitisch eher von Pragmatismus leiten. Verschiedene Grundlinien - 1521 kaiserliches Verbotsedikt, 1532 politischer Anstand plus Verständigung, 1545 militärische Gewalt und 1552 Ablehnung der Bikonfessionalität - führten alle nicht zur Wiederherstellung der Kircheneinheit, nicht einmal zur dauerhaften kaiserlichen Dominanz im Reich. José Antonio López Nevot untersucht zwei kastilische Rechtslehrer, Juan Rodríguez de Pisa und Lorenzo Galíndes de Carvajal. Pisa hat einen Traktat hinterlassen, der die Rechtsstellung der Ratsherren in kastilischen Städten betrifft, Carvajal einen anderen über die Einrichtung von Lehnsgütern. José Antonio Pérez Juan und Antonio Sánchez Aranda legen einen Beitrag über die Wirkungsweise der Inquisition in Kastilien und Aragon zur Zeit Karls V. vor. Papst Sixtus IV. hatte 1478 den Katholischen Königen die staatliche Inquisition zugestanden, um muslimische und jüdische Konvertiten zu überwachen. Da es zu Karls Zeit in Spanien kaum noch Konvertiten und auch nur 1551 in Sevilla eine reformatorische Strömung gab, wurden die Befugnisse der Inquisitoren für die Verfolgung kleiner Vergehen (Fastenverstöße, Hexerei, Lesen verbotener Bücher etc.) ausgedehnt. Esteban Fernández Navarro untersucht Granada zur Zeit Karls V. Der Kaiser war bestrebt, gerade die Hauptstadt des letzten muslimischen Reiches auf spanischem Boden architektonisch und künstlerisch mit christlichen Symbolen (u.a. Granatapfel) zu überformen. Josep Serrano Daura stellt Karl V. als Herrscher in Aragon vor. Karl griff den Plan der Katholischen Könige Ferdinand und Isabella auf, die spanischen Teilreiche enger miteinander zu verbinden. Durch sein Kaisertum und seine europaweite Politik wurde er an der Konkretisierung gehindert, allerdings auch daran, sich mehr um die inneren Belange Aragoniens zu kümmern.

Der Sammelband hat zwar Karls Kaisertum zum Thema, führt aber dankenswerterweise die zentraleuropäische und die mediterrane Sichtweise auf den Habsburger zusammen. Die Herausgeber trugen diesem Aspekt Rechnung, indem sie Beiträge in deutscher, englischer, spanischer und italienischer Sprache vereinigten. Der Kaiser wird zwar nicht als Weltherrscher, aber als Europäer deutlich, verbunden mit allen Folgeproblemen, nicht nur dem Reisezwang, sondern dem persönlichen Erfordernis, unterschiedliche Sprachräume beherrschen zu müssen. Darin besteht bis heute eine besondere Herausforderung für Forscherinnen und Forscher. In einem interdisziplinären Ansatz werden Rechts- und Verfassungsgeschichte, allgemeine Geschichte, Kirchengeschichte, Kunstgeschichte, Landesgeschichte, Wirtschafts-, Geld- und Handelsgeschichte sowie Archivwissenschaft miteinander verknüpft. Erfreulicherweise haben die Herausgeber gesonderte Personen- und Ortsregister beigefügt.

Johannes Arndt