Hartmut Lehmann / Jens Holger Schjǿrring (Hgg.): Im Räderwerk des "real existierenden Sozialismus". Kirchen in Ostmittel- und Osteuropa von Stalin bis Gorbatschow (= Bausteine zu einer europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung; Bd. 2), Göttingen: Wallstein 2003, 168 S., ISBN 978-3-89244-667-5, EUR 20,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Mit den Namen Stalin und Gorbatschow wird eine Periodisierung vorgenommen, die etwa 45 Jahre umfasst: vom Ende des Zweiten Weltkriegs, als Ostmittel- und Osteuropa unter sowjetkommunistische Vorherrschaft gerieten, bis zu deren allmählichem Verfall und endgültiger Auflösung Ende der 1980er-Jahre. In diesem Zeitraum und in dieser Region Europas ging es grundsätzlich um die Auseinandersetzung zwischen zwei Ideologemen, vertreten von christlicher Kirche und kommunistischer Partei, die jede für sich ein Weltdeutungsmonopol beanspruchten und für die daher ein Grundsatzkonflikt geradezu vorprogrammiert war. Ziel des vorliegenden Bandes ist es, wie die Herausgeber einleitend in vorzüglicher Kürze und Klarheit darlegen, die Folgen, die sich aus dieser Konfrontation ergaben, an ausgewählten Beispielen zu analysieren. Das angestrebte Ziel kann jedoch auf 164 Seiten nicht ganz erreicht werden, insofern greift der etwas flott formulierte Titel zu hoch. In zehn Beiträgen, die je zwischen zehn und maximal zwanzig Seiten umfassen, ist nicht einzulösen, was der Untertitel gleichsam als Inhaltsangabe verspricht. Dennoch gelingt in einzelnen Kapiteln ein Ersteinstieg in bislang weitgehend unbekanntes Terrain, der von den Herausgebern ausdrücklich als "Teil eines größeren Projekts" bezeichnet wird und lediglich erste Forschungsergebnisse darstellen will.
Die mehrbändige Geschichte des Katholizismus in der Nachkriegszeit von Erwin Gatz [1] steckt in ihrem zweiten Band mit einer Schilderung der Situation der katholischen Kirche unter kommunistischer Herrschaft quasi den Rahmen ab, in dem sich im vorliegenden Bändchen Ausführungen zu "kleineren" Kirchen finden, die sich in den nach 1945 dem sowjetischen Einflussbereich zugeschlagenen Staaten erhalten mussten. Vom Schicksal dieser Glaubensgemeinschaften wusste man bislang wenig. Die Lage und das Verhalten der evangelischen Kirchen sowie anderer christlicher Minderheitenkirchen in den Ländern Ostmittel- und Osteuropas nach 1945 sind bislang in der Kirchengeschichte der neuesten Zeit im Vergleich zur Geschichte der katholischen Kirche eindeutig zu kurz gekommen. Hier schließt der schmale Band in ersten Ansätzen eine wichtige Lücke. So geht etwa Olgierd Kiec anlässlich seiner Darstellung der Milleniumsfeierlichkeiten in Polen 1966 in erster Linie auf die Haltung der Minderheitenkirchen in Polen, der evangelischen sowohl als auch der orthodoxen, ein, deren politische Haltung und ihre Konsequenzen er ausführlich ausbreitet. Dabei drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass der Autor dies aus katholischer Sicht tut, denn im Verhalten der Minderheitenkirche werden vor allem die aus seiner Sicht opportunistischen Züge ihrer Haltung und Reaktionen gegenüber der Staatsmacht betont. Interessant sind insbesondere die Schilderungen des Verhältnisses Kirche - Staat in den kommunistischen Randstaaten, etwa zwischen der estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und dem Sowjetstaat nach 1953 von Riho Altnurme oder der Beitrag über die Lage der evangelischen Kirche in der Slowakei und ihr Schicksal im tschechoslowakischen Staat nach 1953 von Peter Švorc.
Vergleicht man allerdings den Beitrag von Vincenc Rajšp über die katholische Kirche in Slowenien nach dem Zweiten Weltkrieg mit den äußerst scharfsinnigen Überlegungen von Klaus Buchenau darüber, was im Staat-Kirche-Verhältnis im sozialistischen Jugoslawien "falsch gelaufen" sei, wird deutlich, dass es einigen Historikern aus Ostmitteleuropa immer noch schwer fällt, über eine Darstellungsweise hinauszukommen, die faktographisch zu nennen noch ein Euphemismus wäre. Rajšp begnügt sich mit einer ermüdenden Aneinanderreihung kommunistischer Repressionsmaßnahmen und kirchlicher Reaktionen, vorwiegend institutioneller Art. Zwischen seinen Ausführungen und den kontextuell ausgreifenden Reflexionen Buchenaus nimmt der Aufsatz von Michael Shkarovskij über die Russisch-Orthodoxe Kirche und die antireligiöse Staatspolitik in der Sowjetunion von 1943 bis 1988 gewissermaßen eine Zwischenstellung ein. Es wäre zu viel verlangt, wollte man vom Verfasser auf fünfzehn Seiten eine differenzierte Darstellung von 45 Jahren orthodoxer Kirchengeschichte erwarten, zumal er einführend sagt, diese Geschichte sei in ihrer Vielschichtigkeit noch weitgehend unerforscht. Aber mit wenigen starken Strichen gelingt es ihm doch, auf der Grundlage von Archivstudien die großen Linien der wechselvollen Instrumentalisierung des Moskauer Patriarchats für außenpolitische oder innenpolitische Zwecke unter Stalin und seinen Nachfolgern nachzuzeichnen. Insgesamt sind jedoch in diesem schmalen Sammelband Autoren, die ihren faktenreichen Kurzschilderungen eigene Überlegungen und Schlussfolgerungen im Sinne der weit greifenden Einleitung der Herausgeber hinzufügen, bedauerlicherweise noch eher die Ausnahme.
Anmerkung:
[1] Kirche und Katholizismus seit 1945, hrsg. von Erwin Gatz, Paderborn u.a. 1999, Bd 2: Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa.
Viktoria Pollmann