Rezension über:

Roger Chickering / Stig Förster / Bernd Greiner (eds.): A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937–1945 (= Publications of the German Historical Institute Washington D.C.), Cambridge: Cambridge University Press 2005, X + 392 S., ISBN 978-0-521-83432-2, GBP 45,00
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Rezension von:
Dietmar Süß
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Dietmar Süß: Rezension von: Roger Chickering / Stig Förster / Bernd Greiner (eds.): A World at Total War. Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937–1945, Cambridge: Cambridge University Press 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/8236.html


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Roger Chickering / Stig Förster / Bernd Greiner (eds.): A World at Total War

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Die Probleme beginnen schon bei der Schreibweise: benötigt man Anführungszeichen, wenn man über den "Totalen Krieg" schreibt oder kann man sie beiseite lassen? Spricht man über einen analytischen oder einen zeitgenössischen Begriff? War schon der Erste Weltkrieg "total" oder ist es erst der Zweite Weltkrieg, der die eigentliche Messlatte für ökonomische Mobilisierung und kriegerische Gewalt darstellt?

Die Herausgeber des Sammelbandes "A World at Total War" sind sich all der Fallstricke bewusst, die sich hinter den Begriffen des "Totalen Krieges" und der "master narrative" verbergen, für die sie nicht zuletzt mitverantwortlich sind. Schließlich ist der Band das letzte Teilstück einer großen Konferenzserie, die in den vergangenen Jahren das Wesen des modernen Krieges und dessen Entwicklung vom Amerikanischen Bürgerkrieg bis zu den Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkrieges untersucht hat. Es ist eine beeindruckende Bandbreite an Perspektiven, aus denen heraus sich die Autoren dem sperrigen Konzept nähern. Behandelt werden Kriegführung und Kriegswirtschaft, Kriegsgesellschaften und Kriegsverbrechen, dazu kommt ein eigenes Kapitel über den Kampf gegen Zivilisten.

Die Kriegsmaschinerie erreichte zwischen 1939 und 1945 tatsächlich bis dahin ungekannte Größenordnungen. Die Art der Kriegführung und die Kriegsziele radikalisierten sich; immer mehr Menschen wurden für den Krieg mobilisiert und nicht zuletzt das Heer an Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern geriet in den Sog staatlicher Zwangs- und Vernichtungssysteme, die noch die letzten Ressourcen aus ihnen herauspressen sollten.

Doch in der Gesamtschau zeigen die Beiträge auch die Widersprüche und nationalen Unterschiede, die gegen eine allzu glatte und geradlinige Verlaufsgeschichte militärischer Auseinandersetzungen der Neuzeit bis hin zum "Totalen Krieg" sprechen. Soziale und ökonomische Mobilisierung waren in den USA (Dennis Showalter) anders ausgeprägt als in Großbritannien (Stephen Broadberry/Peter Howlett), der Sowjetunion (Mark Harrison) oder im nationalsozialistischen Deutschland (Jürgen Förster). Hier war es vor allem der millionenfache Einsatz der Zwangsarbeiter, die industrielle Vernichtungspolitik und die rassistischen Neuordnungspläne, die den Höhepunkt des "Totalen Krieges" markierten.

Meinte man ursprünglich mit "Totalem Krieg" noch die "totalitäre Mobilisierung", so änderte sich nach 1945 die Bedeutung des Begriffs. Es waren vor allem die sich auflösenden Grenzen zwischen "Front" und "Heimat", zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, die zum Kennzeichen des "Totalen Krieges" wurden, wie Hew Strachan deutlich macht. Damit geriet die Verletzung und massenhafte Tötung des Anderen, die "Barbarisierung des Krieges", der Genozid und auch die Bereitschaft zum strategischen Bombardement der Zivilbevölkerung verstärkt in den Blick. Richard Overy zeigt, wie prägend für die Entscheidungen des Bomber Command die Vorerfahrungen des Ersten Weltkrieges und die Bombardierungen Londons gewesen sind. Bereits seit der Zwischenkriegszeit galten militärische Ziele, aber auch Städte und die "Moral" der Bevölkerung als legitime Ziele der Kriegführung. Im Kriegsverlauf konnte man dann eine Konjunktur biologistischer Begriffe erkennen, die die Landkarte als "sozialen Körper" mit "Nervenzentren", "Herz" und "Nieren" beschrieben, die es auszulöschen gelte. Dabei war klar, dass die Entscheidung für den Krieg aus der Luft aufseiten der Angreifer Menschenleben retten sollte. Die Bombardierungen waren gleichsam ein "Testfall" für moderne Gesellschaften, die damit Effizienz und Schlagkraft unter Beweis stellen konnten. "Airpower" war dafür einer der schlagendsten Beweise für die technologische Innovationskraft, die den "totalen Krieg" erst möglich machte. Diese Politik bedurfte aber angesichts ihrer Zerstörungskraft einer sich immer wieder erneuernden Legitimation, die vor allem auf dem Argument der nationalen Selbstverteidigung der Demokratie gegen die totalitären Barbaren fußte.

Neben ihrer geografischen, zeichnen sich die Beiträge durch ihre methodische Vielfalt aus, wobei sozial-, kultur- und im engeren Sinne militärgeschichtliche Zugriffe miteinander verbunden werden. Systematisch vergleichend sind allerdings nur die wenigsten Beiträge angelegt. Jill Stephensons Untersuchung über "Frauen an der Heimtfront" ist in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Ausnahme. Präzise zeichnet sie aus geschlechtergeschichtlicher Sicht die Grenzlinien des "totalen Krieges". Sie macht deutlich, wie sich bei allen Unterschieden zwischen Diktatur und Demokratie doch im Lebensalltag vieler Frauen unterschiedlicher Schichten eine ganze Reihe gemeinsamer Probleme stellte: die Abwesenheit der Männer durch Kriegsmobilisierung, die Präsenz "anderer" Männer wie Kriegsgefangener und US-Soldaten, die Erfahrung der Evakuierung und Angst vor den Bombardierungen und die wirtschaftliche Mobilisierung, der "Aufstieg" im Beruf und die fortbestehenden normativen Rollenmuster.

Es ist eine offene Frage, wie weit der Begriff des "Totalen Krieges" tragen wird, sobald mehr solcher vergleichend angelegter, empirisch gesättigter Studien vorliegen. Roger Chickering und Stig Förster haben in ihrer Einleitung jedenfalls mit Recht einen nachdenklichen Ton über die Reichweite des Begriffes angeschlagen und ausführlich dessen Chancen, aber auch den teleologischen Charakter, dessen zeitgenössische Prägung, idealtypische Konfiguration und begriffliche Wandlung nach 1945 reflektiert. Auf eine Definition verzichten sie bewusst, sie verweisen stattdessen auf zwei unterschiedliche Lesarten: eine, die den Begriff "nominalistisch" verwendet und ihn als zeitgenössischen Begriff versteht, der sich auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bezieht und Teil eines umfassendes Diskurses über die Zukunft des Krieges war; eine zweite, die den "Totalen Krieg" eher idealtypisch interpretiert und nach Form und Reichweite der "Totalisierung" der Kriegführung fragt. Entscheidend wird sein, ob der Begriff die unterschiedlichen nationalen Varianten der Vergesellschaftung von Gewalt, die Prozesse von Inklusion und Exklusion, der Zuspitzung und Technisierung der Gewaltpraxis und die damit einhergehende Indifferenz gegenüber den Leiden der Opfer begreiflich machen kann. [1] Gelingt es, Töten und Sterben und die Angst vor dem Verlust von Leben und Besitz in eine Geschichte des "Totalen Krieges" zu integrieren? Eine um diese Fragen erweitere Geschichte des Totalen Krieges, die sich nicht eng an die Epochengrenze von 1945 klammert und damit die gewaltgeprägte Kriegserfahrungs- und Kriegserinnerungsgeschichte miteinander verbindet, hat alle Chancen, der Debatte um die Sozial- und Kulturgeschichte des Krieges neuen Schwung zu verleihen. Dieser Band leistet dazu einen wesentlichen Beitrag.

Anmerkung:

[1] Zu dieser Perspektive vgl. vor allem Heinrich Popitz: Phänomene der Macht. Autorität, Herrschaft, Gewalt und Technik, Tübingen 1986.

Dietmar Süß