Rezension über:

Jürgen Petersohn: Franken im Mittelalter. Identität und Profil im Spiegel von Bewußtsein und Vorstellung (= Vorträge und Forschungen; Sonderband 51), Ostfildern: Thorbecke 2007, 368 S., ISBN 978-3-7995-6761-9, EUR 64,00
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Rezension von:
Dieter Weiß
Facheinheit Geschichte, Universität Bayreuth
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Dieter Weiß: Rezension von: Jürgen Petersohn: Franken im Mittelalter. Identität und Profil im Spiegel von Bewußtsein und Vorstellung, Ostfildern: Thorbecke 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 2 [15.02.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/02/13583.html


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Jürgen Petersohn: Franken im Mittelalter

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Die Bezeichnung Franken bildet einen terminologischen Fallstrick, weil damit der spätantike Stamm, das frühmittelalterliche Reich oder die mittelalterliche beziehungsweise gegenwärtige Region um Main und Altmühl gemeint sein können. Die Begriffe Franci, Francia, Francia orientalis und Franconia bezeichnen zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche Personengruppen und Räume. Das Zentralinstitut für Regionalforschung an der Universität Erlangen widmete der Vorstellung und Wirklichkeit Frankens im Jahr 2001 eine große Tagung. [1] Jürgen Petersohn hat nun seine beim Konstanzer Arbeitskreis im Jahr 2000 vorgetragenen Überlegungen zu "Ursprüngen und Entwicklung des fränkischen Stammes- und Landesbewußtseins" zu einer großen Monografie ausgebaut. Die Arbeit ist auf das Mittelalter konzentriert, greift aber bis in die Neuzeit und in die Gegenwart aus.

Die zentrale These besagt, dass Franken östlich von Rhön, Spessart und Odenwald im 10. Jahrhundert sein selbständiges Dasein begonnen habe, nachdem seine Konturen bereits seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts greifbar waren. Im ausgehenden 9. Jahrhundert verstanden sich die Bewohner der Mainlande als Ostfranken (889, MGH DArn. 69). In der Mitte des 10. Jahrhunderts - fassbar in zwei Königsurkunden Ottos I. von 948 (MGH DDO I 96, 97) - löste sich der Mainraum Franken aus dem Großverband der Francia und entwickelte sich zu einem eigenständigen ethnischen Gebilde. Als zeitgenössische Belege dafür nimmt Petersohn den Kilianskult beziehungsweise konkret die kurz nach der Mitte des 10. Jahrhunderts entstandene jüngere Kiliansvita (Passio maior) mit der Verwendung der Bezeichnung Teutonica Francia. Die Kiliansverehrung habe das entscheidende Moment für das Selbstverständnis der Franken, verstanden als Bewohner der Mainlande, gebildet. Da das Selbstbewusstsein auch durch Raum und Recht konstituiert wird, untersucht Petersohn das Raumverständnis und Aussagen zur fränkischen Rechtsgemeinschaft. Die Babenbergerfehde versteht er als Kampf um eine prinzipale Stammesherrschaft in den Mainlanden. Dies alles mündet in der Aussage, dass der ethnogenetische Sonderweg der Franken bis ins 12. Jahrhundert unumkehrbar geworden sei.

In einem weiteren Schritt behandelt der Verfasser die Vorstellungskonstanten des fränkischen Selbstverständnisses und ihre geschichtlichen Wirkungen, die zum ducatus orientalis Franciae der Würzburger Bischöfe geführt haben. Deren Durchsetzung des fränkischen Herzogstraums ab dem 14. Jahrhundert wertet er als erfolgreiche Realisierung der Herzogsvorstellungen der Würzburger Hagiografie des 10. bis 12. Jahrhunderts, in der das Herzogtum der Hedene des 7. und 8. Jahrhunderts vorausgesetzt wird. Schließlich untersucht Petersohn noch für das Spätmittelalter die Bezeichnung Franken als Organisationsgrundlage für Orden, die Königsgutverwaltung, die Landfriedensgestaltung, Ritterturniere und als Gegenstand humanistischer Länderbeschreibungen. Die Formel "Land zu Franken" entwickelte sich zum Schlüsselbegriff der Frankenterminologie. Dazu ist eine Fülle von Belegen aus der Dichtung, dem Alltagsleben (Sprache, Maße, Trachten, Münzen) und dem Rechtsleben zusammengestellt. Obwohl Franken politisch zersplittert war, wird es bei den spätmittelalterlichen Landfriedenseinungen greifbar.

Am markantesten war das Frankenbewusstsein im Bistum Würzburg in Fortbildung der früh- und hochmittelalterlichen Kiliansverehrung ausgeprägt, doch rechnete man sich auch im Bistum Bamberg zu Franken. Petersohn trägt zahlreiche Franken-Nennungen für die Territorien des fränkischen Raums zusammen und diskutiert diese kritisch. Besonders instruktiv ist die Behandlung der Zollerndynastie und der Burggrafschaft Nürnberg, weil man bisher davon ausging, dass Albrecht Achilles erst nach einer im 18. Jahrhundert greifbaren Nachricht als Herzog von Franken bezeichnet worden sei. Petersohn beweist, dass dies bereits zeitgenössisch war und erstmals um 1490 in der Fortsetzung der Chronica de principibus terrae Bavarorum des Andreas von Regensburg nachweisbar ist. Allerdings konnten die vorhandenen zollerischen Herzogspläne nicht durchgesetzt werden. Dabei unterschieden die Zollern zwischen ihren Besitzungen in Franken, womit das Unterland um Ansbach gemeint war, und dem Oberland "auf dem Gebirg". Auch der Adel entwickelte trotz aller Heterogenität ein kollektives Frankenbewusstsein, wie durch die Analyse besonders von Einungsverträgen gezeigt werden kann. Hier ist häufig vom "Land zu Franken" oder der terra Franckonie die Rede. Zusammenfassend erklärt der Verfasser das "Land zu Franken" als ein "komplexes Begriffs- und Sachgebilde, in dem sich gespiegelte Realität und zur Realität gewordene Vorstellung" vermischten.

Im abschließenden Kapitel zeichnet Petersohn den Weg vom "Land zu Franken" zum "Fränkischen Kreis" nach, die beide ja nicht identisch waren. In den Reichskreis wurden neue Räume - wie Nürnberg oder Eichstätt - aufgenommen, die vorher nicht zu Franken gerechnet wurden. Ausführlicher wird besonders die Nürnberg-Problematik diskutiert, dessen Bewohner ein eigenes Selbstverständnis entwickelt hatten. Der Band schließt mit einem knappen Ausblick auf die jüngere Zeit, in der Franken innerhalb des Königreichs Bayern im Jahr 1837 mit den Kreisen Ober-, Mittel- und Unterfranken einen verwaltungsrechtlichen Rahmen erhielt, aber auch in Baden, Thüringen und Württemberg eine fränkische "Irredenta" entstand. Eine große Synthese der Thesen und Ergebnisse sucht man am Ende leider vergeblich. Dafür finden sich thesenartige Zuspitzungen in den Prolegomena und in den Hauptkapiteln teilweise Zusammenfassungen.

Jürgen Petersohn hat in mehreren Arbeiten die These vom Ausdruck des fränkischen Selbstbewussteins in der jüngern Kiliansvita verfolgt und nun das Frankenbewusstsein sowohl bis ins 8. Jahrhundert rückverfolgt als auch bis in die Neuzeit nachgezeichnet. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer modernen Bewusstseinsgeschichte und gestützt auf methodische und gedankliche Ansätze von Jan Assmanns Paradigma vom "kulturellen Gedächtnis". Mit beeindruckender Gelehrsamkeit stellt er dazu eine überwältigende Fülle von Belegen aus Urkunden, der Onomastik, Hagiografie, dem Rechtswesen und anderen Quellen zusammen. Wenn auch nicht alle Schlussfolgerungen restlos überzeugen, zumal das so nachdrücklich postulierte fränkische Bewusstsein nicht zu einem politischen Ausdruck fand, so bringt Petersohn doch gewichtige Gründe für die Existenz einer fränkischen Identität durch die Jahrhunderte. Auch er muss einräumen, dass das fränkische Bewusstsein in den verschiedenen Räumen zu verschiedenen Zeiten nicht immer in gleicher Weise ausgeprägt war. Petersohn hat nicht nur einen entscheidenden Beitrag zur fränkischen Geschichte, sondern eine auch methodisch höchst anregende Studie zur mittelalterlichen Bewusstseinsgeschichte vorgelegt, mit der sich die weitere Forschung wird auseinandersetzen müssen.


Anmerkung:

[1] Werner K. Blessing / Dieter J. Weiß (Hgg.): Franken. Vorstellung und Wirklichkeit in der Geschichte (= Franconia. Beihefte zum Jahrbuch für fränkische Landesforschung; 1), Neustadt a.d. Aisch 2003.

Dieter Weiß