Geschenktipps zu Weihnachten

Andreas Beyer, Paris


Angela Matyssek (Hg.): Wann stirbt ein Kunstwerk? Konservieren des Originalen in der Gegenwartskunst, München 2010.

Ein Beispiel dafür, wie aus einem Symposium gelegentlich doch ein lohnender Sammelband hervorgehen kann. In elf Beiträgen wird hier den Fragen nach Erhalt und Konservierung von Kunstwerken, zumal der Gegenwartskunst, nachgegangen. Dabei entsteht ein äußerst vielfältiges Spektrum von Logiken und Praktiken, das zeigt, dass das, was erhalten, restauriert und ergänzt wird, oder eben nicht, das Ergebnis von selbständigen Interpretationen und komplizierten Aushandlungen ist. Nebenbei hält der Band eine ebenso knappe wie aufschlussreiche Geschichte des Originals bereit und stellt sich die Frage, wie, und zu welchen Bedingungen, ein Kunstwerk seinen Urheber überlebt. Ein insgesamt eigenwilliger, ungewöhnlicher, und, ungeachtet des Titels, besonders belebender Blick auf die zeitgenössische Kunstpraxis.


Markus Bertsch / Reinhard Wegner (Hgg.): Landschaft am "Scheidepunkt". Evolutionen einer Gattung in Kunsttheorie, Kunstschaffen und Literatur um 1800, Göttingen 2010.

Die erst mit der Spätaufklärung und an der Epochenschwelle um 1800 zu wirklich eigenem Recht gelangte Gattung der Landschaftsmalerei - sie galt bis dahin als nachrangige künstlerische Beschäftigung, weil sie keine Handlung "nachahmte", also keine Historien verhandelte - hat sich rasch zu einer Leitgattung der Künste entwickelt; die Romantik ist gleichsam ohne das Landschaftsbild gar nicht zu denken. In diesem Buch - auch ein Symposiumsband, und wieder ein gelungener - wird das Panorama für den deutschsprachigen Raum, und stellenweise darüber hinaus, entfaltet: von der Vorgeschichte des klassisch-romantischen Landschaftsdiskurses in den deutschen Kunsttheorien und der Neuerungsdynamik der Gattung über die literarische Landschaft (Rousseau, Tieck) bis zur Landschaft in der bildenden Kunst: also Philipp Otto Runges Erprobung der Abstraktion im Landschaftsbild, Caspar David Friedrichs Restitution der Bildlichkeit oder die Transzendierung der Naturform bei den Nazarenern. Ein unverzichtbares Kompendium zu einer der interessantesten Bildgattungen in ihrer entscheidendsten Zeit.


Philipp Felsch: Wie August Petermann den Nordpol erfand, München 2010.

Wie ein deutscher Kartograph des 19. Jahrhunderts dem Polarfieber verfiel, das Schicksal des auf dem Weg zum Nordpol verschollenen John Franklin zu kennen glaubte und, von seinem Schreibtisch in Gotha aus, eine haarsträubende Theorie über den Durchbruch des Golfstroms in das von ihm eisfrei geglaubte Nordpolarmeer entwickelte, die Fachwelt damit in basses Erstaunen versetzte, bald schon Spott von allen Seiten ertragen musste und sich endlich, weil unverstanden fühlend und ausgegrenzt, erschoss. Ein unglückseliges Gelehrtenleben, das der eigenen, auf der Karte entworfenen Welt nicht mehr zu entrinnen vermochte und der Wirklichkeit zunehmend abhanden gekommen ist. Ein typisches Schicksal der Stubengelehrsamkeit - nicht nur des 19. Jahrhunderts. Großartig, weil leicht und doch gelehrt geschrieben, gleichermaßen mit Respekt und Witz.


Stefan Muthesius: The Poetic Home. Designing the 19th-Century Domestic Interior, London 2009.

Von einem der bedeutendsten Architekturforschern der Gegenwart, dem in Norwich lehrenden Stefan Muthesius verfasst: eine Geschichte der Innenausstattungen des bürgerlichen Wohnens von 1800 bis circa 1890. Gestützt auf zahlreiche bislang nicht publizierte Dokumente (Texte ebenso wie Bilder), entwirft das Buch eine Geschichte der häuslichen Einrichtung von Europa bis in die vereinigten Staaten nach Kategorien wie Materialität,  Charakter oder Atmosphäre. Es untersucht die sich ausbildenden nationalen Eigenarten ("Old English"; "Old Alpine and Bavarian", etc.) ebenso, wie die Entwicklung vom Dekor zum Design. Nicht nur, wie bei diesem Verlag üblich, exquisit aufgemacht und verlegt, sondern auch glänzend geschrieben, empfiehlt sich dieses Buch als besonders anschauliches und kenntnisreiches Vademecum zum intimen Rahmen der bürgerlichen Vormoderne.


Hendrik Ziegler: Der Sonnenkönig und seine Feinde. Die Bildpropaganda Ludwigs XIV. in der Kritik, Petersberg 2010.

Unter den französischen Königen ist es Ludwig XIV. der die Kunst effektiver zu politisch-propagandistischen Zwecken eingesetzt hat, als all seine Vorgänger oder Nachfolger. Das immense Repertoire der königlichen Selbstdarstellung ist weitgehend erforscht. Dieses Buch nun widmet sich der Tatsache, dass diese Inszenierung des Monarchen bei seinen europäischen Nachbarn - ob Freund oder Feind - zunehmend auf Ablehnung stieß und Anstoß erregte. Allein die von Ludwig XIV. gänzlich monopolisierte Sonnenmetapher hat einen Bilderstreit provoziert, der kontinentale Ausmaße annahm. Und der König reagierte darauf. Das Buch, das sich zumal auf bislang unveröffentlichte Berichte fremdländischer Diplomaten bei Hofe stützt, entwirft das Bild eines absolutistischen Herrschers, dessen Kunstpolitik weit mehr von innen- und außenpolitischen Rücksichtnahmen bestimmt war, als das ein in der Kunstgeschichte gelegentlich noch gängiges Bild vom uneingeschränkten Alleinherrscher nahelegt und bietet zudem eine konzise und lange überfällige Rezeptionsgeschichte von Versailles und seiner Ausstattung.