Russell L. Friedman: Intellectual Traditions at the Medieval University. The Use of Philosophical Psychology in Trinitarian Theology among the Franciscans and Dominicans, 1250-1350 (= Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters; Bd. 108/1; 108/2), Leiden / Boston: Brill 2012, 2 Bde., XXII + 1006 S., ISBN 978-90-04-22985-3, EUR 249,00
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William O. Duba / Russell L. Friedman / Christopher Schabel (eds.): Studies in Later Medieval Intellectual History in Honor of William J. Courtenay, Leuven: Peeters 2017
Kent Emery / Russell L. Friedman / Andreas Speer (Hgg.): Philosophy and Theology in the Long Middle Ages. A Tribute to Stephen F. Brown, Leiden / Boston: Brill 2011
Bekanntlich werden US-amerikanische Dissertationen in den meisten Fällen erst Jahre später und meist tiefgreifend überarbeitet als Buch veröffentlicht. Aber selbst für transatlantische Verhältnisse ist es außergewöhnlich, dass Russell Friedman seine Dissertation, die er 1997 an der University of Iowa verteidigte, erst nach sechzehn Jahren als zweibändiges, über 1000 Seiten starkes Buch veröffentlichte. Jedoch: Das Warten hat sich gelohnt. Das vorliegende Werk ist nicht nur eine theologiegeschichtliche Analyse von beeindruckender Stringenz, es macht - wie die umfänglichen Fußnoten ausweisen - zahlreiche Sentenzenkommentare des 13. und 14. Jahrhunderts, die bisher in frühneuzeitlichen Drucken oder gar nur als Manuskript vorlagen, erstmals unter einer einheitlichen Fragestellung zugänglich. Der Verfasser präsentiert ein reiches und vielfältiges Tableau von Theologen und Theologien, das ohne Zweifel belegt: Im Hochmittelalter gab es trinitätstheologisch mehr zwischen Himmel und Erde, als sich frühere Autoren - von Schmaus bis Gilson - träumen ließen; und es geht nicht an, Thomas von Aquin als Maßstab für die nachfolgenden Generationen zu benutzen und diese, bei aller Schätzung im Einzelnen, letztlich als deviant zu bewerten. Der Verfasser hält dagegen, dass die Rolle von Thomas und Bonaventura in dem Dreivierteljahrhundert nach ihrem Tod vor allem darin bestand, innerhalb der je eigenen Ordenstradition affirmativ ausgelegt und von den Angehörigen des je anderen Ordens scharf kritisiert zu werden. Die theologische Reflexion entwickelte sich dabei zu zwei großen "franziskanischen" bzw. "dominikanischen" Traditionsströmen, zwischen denen es freilich zahlreiche Interferenzen gab, was durch das Mitmischen von Augustiner-Eremiten und säkularen Theologen verstärkt wurde.
Anhand trinitarischer Fragestellungen wurden dabei allgemeinere philosophische Probleme, insbesondere psychologischer Natur, mit verhandelt, wobei der Titel der Bände etwas mehr verspricht, als faktisch gehalten wird: "Intellectual traditions" über die Trinitätstheologie hinaus kommen nur en passant in den Blick, und "the strong use of the psychological model" ist nur eine der Perspektiven, die an die Texte herangetragen werden; hinzu kommt der Ansatz der Trinitätstheologie bei Emanationen oder Relationen sowie die Frage, ob Sohn und Geist zu unterscheiden wären, auch wenn letzterer nicht aus ersterem hervorginge. Gerade diese so genannte Filioque-Problematik lässt die unterschiedlichen Typen deutlich hervortreten: Für die Dominikaner war der Hervorgang des Geistes aus Vater und Sohn (ex Patre Filioque) mit der trinitarischen Lehre des IV. Laterankonzils (1215) nicht einmal gedanklich bestreitbar, für die Franziskaner war diese "counterfactual question" dagegen theoretisch diskutierbar, auch wenn niemand das Filioque dogmatisch bestritten hätte. Infrage stand lediglich, ob die drei Personen der Trinität ohne das Filioque voneinander unterscheidbar wären - ein scheinbares Glasperlenspiel, hinter dem freilich die Grundfrage zutage tritt, wie der dreieinige Gott nicht nur geglaubt, sondern auch gedacht werden kann.
Der Verfasser unterteilt den Untersuchungszeitraum dreifach: Die Jahrzehnte von 1250 bis 1280 bieten unter dem Titel "Emerging Trinitarian Traditions" eine Darstellung der Trinitätslehren von Thomas und Bonaventura (Kap. I) sowie der sich auf diese Lehrer berufenden Theologen beider Orden (Kap. II und III). Teil II behandelt den Zeitraum von 1280 bis 1320 unter der Überschrift "The Strong Use of the Psychological Model and Its Opponents"; hier stehen als prägende Figuren insbesondere Heinrich von Gent (Kap. IV), Johannes Duns Scotus (Kap. VI) und Petrus Aureoli (Kap. IX) im Fokus, flankiert von weniger bekannten, aber durchaus auch prominenten Zeitgenossen (z.B. Hervaeus Natalis und Durandus von St. Pourçain, Kap. VII). Der dritte und letzte Teil beschreibt "The Search for Simplicity, ca. 1320-1350" und umfasst Abschnitte zu Wilhelm von Ockham (Kap. X), Oxforder Theologen wie Walter Chatton und Adam Wodeham (Kap. XI) sowie Gregor von Rimini (Kap. XII) in Verbindung mit bisher wenig beachteten Autoren wie Franziskus von Marchia und Michael von Massa. Ausweislich des eindrucksvollen Quellenverzeichnisses hat sich der Verfasser, oft in Zusammenarbeit mit Chris Schabel, um die editorische Ersterschließung vieler der behandelten Texte verdient gemacht; es erstaunt nicht, dass er regelmäßig weiteren Forschungsbedarf anmeldet. Ob unter den vielen selbst den Spezialisten unbekannten Theologen nicht auch einige - salopp gesagt - völlig zu Recht in Vergessenheit geraten sind, sei dahin gestellt.
Schon der Aufriss der Arbeit macht deutlich, dass die o.g. Konzentration auf Thomas als den wichtigsten Trinitätstheologen des Hochmittelalters angefochten wird: Die komplexesten, in ihrem Erklärungsanspruch radikalsten und in der Inanspruchnahme psychologischer Muster zur Deutung der Trinität dezidiertesten Protagonisten wirkten eine bzw. zwei Generationen später, nämlich Heinrich von Gent, Johannes Duns Scotus und Petrus Aureoli; und sie wurden wiederum selbst zur Zielscheibe der Kritik jüngerer Zeitgenossen, die seit Ockham an der Möglichkeit einer rationalen Durchdringung der Trinität zweifelten und die differenzierten binnentrinitarischen Konstellationen von Emanationen, Relationen und Personen im Namen der simplicitas Gottes für allzu voraussetzungsreich hielten. Es ist des Verfassers Verdienst, diese Entwicklung theologischen Denkens quasi in dialektischer und genealogischer Perspektive transparent gemacht zu haben: Die behandelten Theologen bezogen sich nämlich kritisch und konstruktiv aufeinander, sie teilten ein Reservoir von Fragen und Antwortmöglichkeiten, das sukzessive erweitert wurde und in dem eine positive Rekonstruktion in den meisten Fällen von einer "marginalization strategy" begleitet wurde, indem sowohl autoritative Texte als auch vorausgehende Thesen nicht rundheraus negiert, sondern beiseite geschoben wurden. Auf diese Weise entsteht das Bild eines Diskurses, in dem nicht von vorneherein deutlich war, wer die dominanten Figuren sein würden; und erst der Blick auf die scheinbar marginalen Gestalten macht deutlich, warum Thomas, Scotus und Ockham die Position einnehmen, die ihnen traditionell zugeschrieben wird.
Weil dieses tausendseitige Buch in faszinierender Weise eine Fragestellung an Dutzenden von Autoren und Hunderten von Texten durchspielt, kann man es nicht einfach als Repertorium hochmittelalterlicher Trinitätstheologie lesen (wie der Verfasser im Vorwort vermutet). Leichte Kost sind die beiden Bände nicht - trotzdem verdienen sie die Aufmerksamkeit aller, die an Frage trinitarischer Reflexion im Mittelalter interessiert sind.
Peter Gemeinhardt