Kristin Skottki: Christen, Muslime und der Erste Kreuzzug. Die Macht der Beschreibung in der mittelalterlichen und modernen Historiographie (= Cultural Encounters and the Discourses of Scholarship; Vol. 7), Münster: Waxmann 2015, 554 S., ISBN 978-3-8309-2682-5, EUR 49,90
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Simon John: Godfrey of Bouillon. Duke of Lower Lotharingia, Ruler of Latin Jerusalem, c.1060-1100, London / New York: Routledge 2018
D. Kempf / M. G. Bull (eds.): The Historia Iherosolimitana of Robert the Monk, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2013
Heinz Halm: Kalifen und Assassinen. Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1074-1171, München: C.H.Beck 2014
Jay Rubenstein : Nebuchadnezzar's Dream. The Crusades, Apocalyptic Prophecy, and the End of History, Oxford: Oxford University Press 2019
Mathieu Eychenne: Liens personnels, clientélisme et réseaux de pouvoir dans le sultanat mamelouk (milieu XIIIe - fin XIVe siècles), Beyrouth / Damas: Presses de l'Ifpo 2013
Wenn es um die Kreuzzüge geht, scheint ein recht beliebtes Thema die Wahrnehmung bzw. Darstellung der Muslime in den Werken der aus europäischen Regionen stammenden Chronisten zu sein. Insofern kommt die diesbezügliche Auswertung von sieben Texten, die sich auf den ersten Kreuzzug (1095-99) beziehen, erst einmal recht traditionell daher. Aber der Eindruck täuscht, wie weiter unten noch zu berichten sein wird. Zunächst geht es natürlich darum, eine plausible Auswahl zu treffen. Für Skottki war es wichtig, dass die Chroniken möglichst zeitnah verfasst wurden oder dies wenigstens behauptet wird. Dieses Kriterium erfüllen die sogenannten Augenzeugenberichte Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum (Anonymus), Historia de Hierosolymitano Itinere (Petrus Tudebode), Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem (Raimund von Aguilers) und Historia Hierosolymitana (Fulcher von Chartre). Darüber hinaus nahm die Verfasserin wegen ihrer Beliebtheit die von Robert dem Mönch - einem angeblichen Teilnehmer des Konzils von Clermont - verfasste Historia Hierosolymitana sowie Albert von Aachens aufgrund ihres Materialreichtums und Eigenständigkeit mittlerweile rehabilitierte Historia Ierosolimitana in den Kreis der für sie relevanten Primärtexte auf. Schließlich fand noch Walter des Kanzlers Bella Antiochena Berücksichtigung, da sie aus der Sicht der Orientlateiner geschrieben wurde und direkte Bezüge zu den Berichten von Fulcher von Chartre und Raimund von Aguilers aufweist.
Nun könnte die Untersuchung starten, doch bevor es an die Analyse der Texte geht, breitet die Verfasserin vor uns auf über 200 Seiten ihre theoretischen Vorüberlegungen aus. Es mag sicher viele geben, die das vollkommen unverhältnismäßig und überflüssig finden. Ich für meinen Teil muss allerdings bekennen, dass ich selten eine so anregende und fundierte theorieorientierte Einleitung gelesen habe. Es ist an dieser Stelle leider nicht möglich, alle Themenfelder ausführlich vorzustellen. Aus diesem Grund nur eine kleine Übersicht, worum es der Verfasserin geht. Zunächst bespricht sie ausführlich und kenntnisreich die Problemfelder (Neo-)Orientalismus, Okzidentalismus und (Neo-)Mediävalismus, bevor dann die bisher vorgebrachten Interpretationen der Kreuzzüge von ihr ebenso geschickt dekonstruiert werden wie die vorherrschenden Vorstellungen von mittelalterlichen "Islambildern". Schließlich thematisiert Skottki noch eine ganze Reihe von Problemen der textuellen Repräsentation mittelalterlicher Historiographie. Im Mittelpunkt steht die (wohl vergebliche) Suche nach dem Authentischen, nach dem Autor, nach der Wahrheit und nach dem Genre. Also: wer immer sich über den aktuellen Stand der facettenreichen Diskussion über diese für unser Selbstverständnis und unser Tun und Machen so unglaublich wichtigen Debatten und Fragen informieren möchte, muss diese Seiten aufmerksam lesen. Ich empfehle dieses Kapitel ferner als Pflichtlektüre für alle Studierenden und Promovierenden in Fächern, die sich mit vormodernen historiographischen Texten befassen!!
Letztlich wird noch einmal mehr klar, dass es kaum möglich ist, durch die Chroniken zu einer dahinter liegenden Realität vorzudringen. Vielmehr handelt es sich um Teile eines gesellschaftlichen Diskurses, um Auslegungen und Repräsentationen ausgewählter Ereignisse auf den Kreuzzügen. Darüber hinaus verdeutlicht Skottki auch noch einmal die Probleme, die eine Neudeutung von bekannten und zum Teil auch schon gut bearbeiteten Grundtexten mit sich bringt. Man schreibt in solchen Fällen nämlich immer auch gegen Meistererzählungen des eigenen Faches an, gegen Interpretationen, die sich in der Wissenschaftsgemeinschaft etabliert und hartnäckig festgesetzt haben. Hinzu kommt, dass man natürlich ebenfalls die eigene Positionalität im Auge behalten und reflektieren muss.
Im Zentrum des eigentlichen Analyseteils der Arbeit steht die Darstellung von Begegnungen zwischen Christen und Muslimen in den sieben Texten. Die Kernfragen lauten: "Wie wird der Kreuzzug theologisch verortet? Welche narrativen Muster bestimmen die Darstellung? Welche Auswirkungen hat das auf die Darstellung der Kontakte mit den Muslimen? Welche Auswirkungen hat das auf die Darstellung der Muslime, speziell hinsichtlich ihrer religiösen Identität?" (255) Skotti hält sich bei der Auswertung der einzelnen Werke streng an ein Muster: Zunächst nimmt sie eine historisch-gattungsspezifische Einordnung vor, wobei für diesen Teil insbesondere die Prologe und die "auktorialen Interventionen, die sich als selbstreferentielle Passagen gerieren" (255), aussagekräftig sind. Im Anschluss erfolgt jeweils die Untersuchung der narrativen Strategien und textuellen Präsentationsformen der Alterität.
Die Ergebnisse sind ambivalent. Auf der einen Seite sind die "Zugänge und Deutungsmuster auf der inhaltlich-narrativen Ebene" sehr divers. "Das gilt" - so die Verfasserin - "nicht nur für den Vergleich der Chroniken miteinander, sondern auch innerhalb eines Textes, denn auch dort sind die Darstellungen nur selten auf eine durchgehende Linie zu bringen." (406) Auf der anderen Seite präsentieren die Mehrzahl der Chronisten "den Islam und die Muslime in der Weise, wie es die unzähligen Untersuchungen zum Islambild des Mittelalters immer wieder hervorgehoben haben - als 'Heidentum' und 'Götzendienerei', als fremde, dem Christentum feindlich gesinnte Religion." (414) Ein dann doch etwas frustrierender Befund, wie sich auch Skottki eingestehen muss. Allerdings belässt sie es nicht bei diesem Ergebnis, sondern sucht nach Erklärungen. Dazu greift sie sinnvollerweise die Argumente auf, die Jean Floris in seinem sehr erhellenden Aufsatz "La caricature de l'Islam dans l'occident medieval. Origine et signification de quelques stéréotypes concernant l'Islam" [Aevum 66 (1992)¸ 245-256] vorgebracht hat. Dieser kommt zu dem Schluss, dass die Christen es einfach nicht besser wussten, es nicht besser wissen wollten oder den Islam ganz bewusst aus einer inneren christlichen Abwehrhaltung und zur Legitimation der von ihnen gegen die "Heiden" ausgeübten Gewalt diffamierten. Skottki kann diesen Überlegungen zwar grundsätzlich zustimmen, doch möchte sie noch einen wichtigen und ihrer Meinung nach entscheidenden Punkt hinzufügen: "Die 'Ermessensspielräume der Wahrheit' orientieren sich nicht an einem empirischen Realismuskonzept, sondern am Referenzrahmen der christlichen Heilsgeschichte. Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass die Darstellungen in diesen Texten das implizite Wissen der Produzenten- und Rezipientenkreise über den Islam und die Muslime nicht in Frage stellen durften, sondern es vielmehr bestätigen mussten. Das im Idealfall autoritativ abgesicherte Vorwissen hatte also den Vorrang vor der möglicherweise abweichenden Empirie. Im christlich-heilsgeschichtlichen Konzept von Religion war entsprechend kein Platz für die Anerkennung einer anderen, eigenständigen, gleichwertigen Religion. Stattdessen standen prinzipiell nur die Beurteilung des Islams als (polytheistisches) 'Heidentum' oder als Häresie (oder besser: Apostasie), also der 'Pervertierung' der christlichen oder auch jüdischen Religion zur Verfügung." (415-16) Bei einer solchen Einpassung der Narrationen in eine heilsgeschichtliche Meistererzählung gibt es einfach nur sehr wenig Raum für Momente der Transkulturalität. Es ist der Verfasserin beizupflichten, wenn sie resümierend sagt, dass "in erster Linie die Wahl der historiographischen und theologischen Deutungsmuster bestimmt, welcher Platz den Muslimen in einer solchen Chronik zugewiesen wird." (415)
Kristin Skottki hat unter ausgiebiger Berücksichtigung der aktuellsten für das Thema relevanten theoretischen Diskussionen und Debatten eine ausgezeichnete Studie zur Repräsentation der Muslime in ausgewählten Chroniken zum ersten Kreuzzug vorgelegt, der man viele Leser wünscht!
Stephan Conermann