Rezension über:

António Costa Pinto / Aristotle Kallis (eds.): Rethinking Fascism and Dictatorship in Europe, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2014, XXVII + 290 S., ISBN 978-1-137-38440-9, GBP 60,00
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Rezension von:
Grzegorz Rossoliński-Liebe
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Grzegorz Rossoliński-Liebe: Rezension von: António Costa Pinto / Aristotle Kallis (eds.): Rethinking Fascism and Dictatorship in Europe, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 7/8 [15.07.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/07/27062.html


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António Costa Pinto / Aristotle Kallis (eds.): Rethinking Fascism and Dictatorship in Europe

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Faschismus gehört zu jenen Phänomenen, die zwar wohl allen bekannt sind, aber sich nur schwer definieren lassen. Obwohl in den letzten drei Jahrzehnten Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler intensiv an einer eindeutigen und allgemein anerkannten Definitionen des Faschismus gearbeitet haben, sind sie weder zu einem Konsens gekommen noch konnten sie ein überzeugendes und tragendes Konzept erarbeiten. Der von António Costa Pinto und Aristotle Kallis, zwei renommierten und innovativen Faschismusforschern, herausgegebene Band versucht diesem Dilemma vorzubeugen. Anstatt den Gegenstand scharf zu definieren, fassen die Herausgeber den Faschismus als ein hybrides und komplexes Phänomen auf, das über keine klaren Grenzen verfügt, sich mit anderen politischen Systemen vermischt und sich zwischen 1918 und 1945 je nach dem Land und Kultur, die ihn adoptiert habe, maßgeblich unterschied.

In der Einleitung stellen Costa Pinto und Kallis das schon seit langem existierende Konzept des "Parafaschismus" vor. Dieses ist, ebenso wie das Konzept des "Semifaschismus" und der Begriff der "Faschistisierung", gut dafür geeignet, Staaten, Regime oder Bewegungen zu analysieren, die nicht einen "vollausgeprägten" Faschismus wie in Italien oder Deutschland hervorbrachten oder es nur mit Hilfe anderer Regime geschafft haben. Obwohl angesichts der Komplexität des historischen Faschismus auch bei diesen Begriffen die analytischen Möglichkeiten schnell deutlich werden, stellen sie trotzdem ein Instrumentarium dar, das die Forschung weiterbringen kann. Faschismus, so wie ihn zuerst Mussolini und später Hitler propagiert haben, wirkte sehr modern und sprach Menschenmassen auch in demokratischen Ländern wie in England oder in den USA an. Er erschien vor allem ultranationalistischen Bewegungen und autoritären national-konservativen Regimen attraktiv, welche nach einer Alternative zur Demokratie, zum Liberalismus oder zum Kommunismus suchten. Trotz der führenden Rolle von Italien und Deutschland, war die Verbreitung des Faschismus inner- und außerhalb Europas keineswegs ein einseitig verlaufender Prozess, sondern eher ein multilateraler Austausch, in dem das "Zentrum" und die "Peripherie" voneinander lernten.

Im ersten theoretischen Beitrag erinnert Aristotle Kallis daran, dass Faschismus als ein kohärenter und autonomer "ism" erst in den 1950er und 1960er Jahren seinen Platz in der Wissenschaft fand. Bei der Untersuchung seiner transnationalen Wanderungen sollte man die Rolle von Schriftstellern wie Robert Brasillach, Dichtern wie Ezra Pound oder auch Künstlern nicht unterschätzen, weil sie ihn in verschiedenen Kulturen vertraut gemacht haben. Zeitlich betrachtet sind die Jahre 1922 und 1933 für die globale Expansion des Faschismus entscheidend, weil sie zwei Wellen von autoritären Machtübernahmen in Europa auslösten (18-19). Die in Ungarn, Polen, Litauen, Griechenland und vielen anderen europäischen Ländern etablierten Diktaturen haben meistens selektiv und gezielt Elemente des italienischen oder deutschen Faschismus rezipiert und so zur Faschisierung des Kontinents beigetragen, selbst wenn einige dieser Diktatoren gegen revolutionär-faschistische Bewegungen in ihren Ländern gewaltsam vorgegangen sind.

David D. Roberts analysiert die Konzepte und Definitionen des Faschismus, die von Roger Griffin, Michael Mann, Roger Eatwell, Giovanni Gentile und anderen Forschern in den letzten Jahren präsentiert wurden und in der aktuellen Forschung angewendet werden. Er meint, dass es grundsätzlich notwendig ist, zwischen den "faschistischen" Regimen in Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland und den "parafaschistischen" Regimen in Spanien, Portugal oder Österreich zu unterscheiden (42). Obwohl die Grenzen zwischen "Faschismus" und "Parafaschismus" keineswegs klar zu bestimmen sind, sollte man seiner Auffassung nach diese analytische Unterscheidung beibehalten und sich dem Wesen der einzelnen Regime oder Bewegungen mit präzisen analytischen Beschreibungen nähern (47, 57).

Roger Eatwell geht davon aus, dass die in den letzten Jahren entwickelten Definitionen nicht geeignet sind, die Hybridität und Komplexität des Faschismus zu erfassen. Selbst wenn sich nur wenige Regime und Bewegungen in Zwischenkriegseuropa als "faschistisch" bezeichnet haben, haben viele selektiv und im unterschiedlichen Ausmaß verschiedene Elemente der Ideologie und Praxis aus Italien und Deutschland übernommen. Um dieser uneindeutigen und hybriden Vergangenheit gerecht zu werden, müsste man nach Eatwell die Definitionen und Konzepte des Faschismus radikal verändern. Anstatt sie auf wenige Worte zu reduzieren oder zu einem Ideal zu stilisieren, müssten sie so konstruiert sein, dass man mit ihnen die Vielfältigkeit und Uneindeutigkeit erfassen kann (67-70).

Die Verbindungen zwischen Faschismus, Korporatismus und autoritären Institutionen bespricht Costa Pinto. Der im 19. Jahrhundert durch die Kirche propagierte Korporatismus stellte eine Alternative zum Sozialismus und liberalen Kapitalismus dar. Er war gut dafür geeignet, die Arbeitsverhältnisse in einem Staat zu kontrollieren, weil er die Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinte, weshalb er in faschistischen und autoritären Regimen angewendet wurde. Außer in Italien, Spanien, Portugal oder Österreich wurde er auch durch den polnischen Diktator Józef Piłsudski in Anspruch genommen, der Autoritarismus mit Sozialismus und Nationalismus verband und die Macht in einem Putsch an sich riss, ohne sich selbst oder sein Regime als faschistisch zu verstehen.

In dem empirischen Teil des Bandes werden die Verhältnisse zwischen dem Faschismus und Autoritarismus in Österreich, Portugal, Spanien, Griechenland, Ungarn und Rumänien diskutriert, wodurch Konflikte zwischen den revolutionär orientierten Faschisten und national-konservativen Diktatoren zum Vorschein kommen. Gerhard Botz erinnert daran, dass in Österreich zwei verfeindete Bewegungen - die pro-deutsch orientierten Nationalsozialisten und die klerikal-österreichischen Heimwehren - miteinander konkurierten. Obwohl es den klerikalen "austrofaschisten" Kräften zunächst gelang, einen Ständestaat zu etablieren, in dem sie ihre spezifisch österreichisch-konservative Form des Faschismus kultivierten, haben die nationalsozialistischen Konkurrenten ihren Zwergdiktator Dollfuß zuerst im Sommer 1934 erschossen und vier Jahre später sogar das ganze Land paradoxerweise unter der Führung eines aus Österreich stammenden Politikers aufgelöst.

Die Aneignungen des Faschismus durch den portugiesischen Diktator António de Oliveira Salazar, die zur Entstehung hybrider und teilweise sogar politisch gesehen paradoxer Formen führten, werden von Goffredo Adinolfi und Costa Pinto besprochen. Der bereits erwähnte Korporatismus wurde mit Klerikalismus, organischen Visionen der Gesellschaft, Paramilitarismus und vielen anderen Elementen verschweißt, was zur Entstehung einer eigenartigen portugiesischen Ideologie führte, die sich im Laufe der Zeit den neuen europäischen und globalen Verhältnissen anpasste und mit dem Ende der Epoche des Faschismus keineswegs zu gelten aufhörte.

Miguel Jerez Mir und Javier Luque stellen den Francoismus zwischen 1936 und 1945, in der Zeit seiner eigentlichen Faschisierung, dar. Ähnlich wie in Portugal entwarf der spanische Caudillo eine eigene landesspezifische Form des Faschismus, die an die spanische Kultur und Traditionen angepasst war. Die Autoren zeigen sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zu den politischen Systemen in Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland. Dabei wird deutlich, dass Francisco Franco den Faschismus nur insoweit in Anspruch nahm, wie er ihm genutzt hat, und sich nur dann als ein überzeugter Faschist präsentierte, wenn er daraus Vorteile ziehen konnte. Seine Diktatur war grundsätzlich auf der Kirche, Falanga und Armee aufgebaut.

Mogens Pelt analysiert Ioannis Metaxas Regime in Griechenland. Der sowohl durch Mussolini als auch Hitler inspirierte Diktator versuchte den Faschismus mit der autoritär-konservativen Ideologie seines Regimes zu vereinbaren. Eine wichtige Motivation hinter diesem Handeln war die Überzeugung, dass die politische und kulturelle Nähe zu Mussolini und Hitler der wirtschaftlichen Stabilisierung dienen könnte. Die Beanspruchung der antiken Kultur und Geschichte wirkte sich bei der Konzeptualisierung des griechischen Faschismus durchaus positiv aus, da das antike Ideal vor allem unter europäischen Faschisten en vogue war. Um seinem Land Platz in dem durch die Nationalsozialisten entworfenen "Neuen Europa" zu verschaffen, stellte sich Metaxas vor allem gegenüber Deutschland als überzeugter Antisemit dar, selbst wenn er in Griechenland antisemitische Publikationen verurteilte (211).

In seinem Beitrag über Ungarn vertritt Jason Wittenberg die Meinung, dass die Diktatur - ähnlich wie die Demokratie - auch von außen rezipiert werden kann. Miklós Horthys Regime stellt er als weder vollkommen autoritär noch demokratisch dar. Es ließ zwar ein Mehrparteiensystem und eine unabhängige Presse zu, diese durften jedoch nur im Rahmen des autoritären Regimes wirken bzw. sich nicht gegen dieses richten. Obwohl Horthy antisemitische Gesetze wie etwa den numerus clausus erlaubte, verbot er die Bewegung der faschistischen Pfeilkreuzler; ihren Führer Ferenc Szálasi ließ er sogar 1938 verhaften. Aufgrund der historischen Freundschaft mit Polen verweigerte er sich Hitlers Ansinnen, sich am Angriff auf dieses Land im September 1939 zu beteiligen.

Ein in anderer Weise durch Hybridität und Konflikte gekennzeichnetes politisches System entstand in Rumänien, wo die drittgrößte europäische faschistische Bewegung, die Eiserne Garde, einen einzigartigen, auf Folklorismus und Mystizismus aufgebauten Faschismus hervorbrachte. Wie Constantin Iordachi einleuchtend erklärt, war diese von antisemitischen Akademikern ins Leben gerufene Bewegung für die Königsdiktatur von Carol II. so bedrohlich, dass er nicht nur den charismatischen Führer Corneliu Zelea Codreanu ermorden ließ, sondern auch sein eigenes Regime durchaus aufwendig faschisierte. Dies machte ihn jedoch ebenso wie seinen Nachfolger Marschall Antonescu nicht zum Freund der rumänischen Legionäre.

Die Beiträge des lesenswerten und instruktiven Bandes stellen ein neues komplexes Konzept des Faschismus dar, das zu Recht das Potential hat, die auf einem Idealtypus oder einem Minimum von Eigenschaften basierenden Definitionen abzulösen. Er macht auch deutlich, dass der ursprünglich von Mussolini propagierte Faschismus von vielen ultranationalistischen Bewegungen und national-konservativen Diktatoren meistens selektiv rezipiert wurde und bereits in den 1920er Jahren nicht als ein spezifisch italienisches Phänomen gelten konnte. Die transnationale Verbreitung des Faschismus führte zur Entstehung neuer, oft hybrider oder "exotischer" Formen dieser uneindeutigen, durchaus vielschichtigen und in sich widersprüchlichen Bewegung.

Grzegorz Rossoliński-Liebe