Arnd Bauerkämper / Grzegorz Rossoliński-Liebe (eds.): Fascism without Borders. Transnational Connections and Cooperation between Movements and Regimes in Europe from 1918 to 1945, New York / Oxford: Berghahn Books 2017, X + 373 S., ISBN 978-1-78533-468-9, USD 130,00
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"Der Faschismus", so schrieb Benito Mussolini im Vorwort des Buchs The Universal Aspects of Fascism (1928) des Briten James Barnes, "ist seiner geschichtlichen Dimension nach ein italienisches Phänomen. Seine Lehren und Gebote haben aber einen universellen Charakter". [1] Obwohl Mussolini schon seit 1922 alles unternahm, um den Faschismus zu exportieren und seiner Doktrin in ganz Europa zum universellen Durchbruch zu verhelfen, ignorierte die Forschung jahrzehntelang die vom Duce angesprochene Universalität. [2] Vielmehr konzentrierte sie sich zum einen auf die Untersuchung nationalstaatlicher Ausprägungen des Faschismus, wobei das "Dritte Reich" und Italien die meiste Aufmerksamkeit genossen; oder zum anderen war es das Anliegen, einen generischen Faschismusbegriff zu definieren, der vielfach die Bedeutung des Nationalismus für die faschistische Doktrin betonte.
Erst in den vergangenen Jahren stellten immer mehr Tagungen und Studien die transnationale und universelle Dimension des Faschismus in den Mittelpunkt - so auch die Konferenz Fascism without Borders. Transnational Connections and Cooperation between Movements and Regimes in Europe from 1918 to 1945, die vom 19. bis zum 21. Juni 2014 an der Freien Universität Berlin stattfand. Ein Großteil der damaligen Beiträge erschien im Jahr 2017 in dem, von den Historikern Arnd Bauerkämper und Grzegorz Rossoliński-Liebe herausgegebenen, gleichnamigen Sammelband. Die Absicht der Herausgeber war es, die Relevanz des Transnationalismus für die faschistischen Bewegungen und Regime in Europa aufzuzeigen. "The aim of this approach", so Bauerkämper und Rossoliński-Liebe, "is to open a broad perspective and to promote a new research vista that recognizes fascism as an ensemble of manifold but closely intertwined movements." (17)
Der Band umfasst dreizehn Einzelbeiträge, die sowohl von renommierten Historikern als auch von jungen Nachwuchswissenschaftlern aus ganz Europa verfasst wurden. Eingerahmt werden sie von einer Einleitung und einem abschließenden Kommentar der Herausgeber. Die Aufsätze behandeln ein breites Spektrum bekannter und weniger bekannter Bewegungen und Persönlichkeiten der politischen Rechten in Europa in den Jahren 1918 bis 1945. Dabei werden deren gegenseitige Wahrnehmung, Aneignungs- und Lernprozesse sowie die gegenseitige Kooperation und Rivalität in unterschiedlichen Bereichen in den Blick genommen (u.a. Ökonomie, Freizeitgestaltung oder auch Jugendorganisationen). Drei Beiträge widmen sich zudem antifaschistischen Gruppen und Netzwerken in Europa. Auf ein paar ausgewählte Aufsätze soll im Folgenden näher eingegangen werden:
Der britische Historiker Aristotle Kallis widmet sich in seinem Aufsatz der Bedeutung von Gewalt und Antisemitismus im Faschismus. Überzeugend legt er dar, dass europäische Faschisten davon ausgingen, dass erst die Zerstörung des Alten einen Neuaufbau - und damit die Wiedergeburt der eigenen Nation - ermöglichen würde. Dieses Denken, das Kallis als "kreative Vernichtung" bezeichnet, richteten gerade die Nationalsozialisten gegen die jüdische Bevölkerung Europas. Der rassische Antisemitismus der Deutschen muss seiner Ansicht nach aber als ein transnationales Konzept verstanden werden, um die Kooperation anderer faschistischer Regime und Bewegungen (u.a. Kroatien und die Niederlande) bei der "Endlösung" erklären zu können. Zurecht betont er aber auch, dass nationale Wurzeln des Antisemitismus - wie offenbar im Fall Italiens, das Kallis explizit nennt - in einigen Fällen eine Zusammenarbeit behinderten.
Cláudia Ninhos befasst sich in ihrem Beitrag mit dem Regime Antonio Salazars. Nach einem historiographischen Überblick, der die Debatte um den faschistischen Charakter Portugals rezipiert, stehen die Bemühungen des portugiesischen Regimes im Mittelpunkt, sich einerseits Deutschland als Vorbild zu nehmen und sich andererseits aber von Berlin abzugrenzen. Ninhos gelingt es eindrücklich, dieses Vabanquespiel zu rekonstruieren - der eigentliche Grad der faschistischen Durchdringung Portugals bleibt jedoch etwas nebulös, da sich die deutsch-portugiesischen Kontakte offenbar auf Einzelpersonen beschränkten. Für zukünftige Forschungen wäre eine Einbeziehung und Verortung des faschistischen Italien im Dreiecksverhältnis Berlin-Rom-Lissabon wünschenswert - ein Thema, das freilich den Umfang des Aufsatzes gesprengt hätte.
Marleen Rensen und Raul Cârstoce befassen sich wiederum mit der Frage, wie Einzelpersonen die Ideen und Konzepte eines transnationalen Faschismus beeinflussten. Rensen setzt sich mit dem französischen Schriftsteller und Intellektuellen Robert Brasillach (1909-1945) auseinander und analysiert dessen Vorstellungen eines faschistischen Europa. Im Fokus steht, weshalb Brasillach allmählich seine Vorstellungen einer "lateinischen" Ordnung zugunsten eines nationalsozialistischen Europas aufgab. Cârstoce nimmt das Leben des Rumänen Ion Mota (1902-1937) in den Blick. Als Mitbegründer und auf internationaler Ebene besonders aktives Mitglied der Eisernen Garde - erwähnt sei seine Teilnahme im Spanischen Bürgerkrieg, wo er 1937 den Tod fand - propagierte Mota ein transnationales Konzept des Faschismus. Beiden Autoren gelingt es eindringlich, die Rolle bestimmter Individuen und deren Wirken und Einfluss, aber auch deren Scheitern darzulegen.
Monica Fioravanzo analysiert in ihrem Aufsatz die unterschiedlichen Konzepte für eine neue europäische Ordnung, wie sie italienische Faschisten propagierten. Sie untersucht deren Wandlungen und deren Unterschiede und Besonderheiten im Gegensatz zu den Ordnungsvorstellungen anderer faschistischen Gruppen. Jenseits der in Montreux ausgerufenen faschistischen Internationalen bietet der Aufsatz zahlreiche neue Einblicke in die theoretischen Konzepte italienischer Faschisten. Nur am Rande erwähnt Fioravanzo die Diskussion über die Wiederbelebung der Pax Romana. Eine intensivere Auseinandersetzung mit dieser Debatte, die auch von der Staatspropaganda (z.B. die Einweihung des Ara Pacis) mitgetragen wurde, wäre für zukünftige Forschungsarbeiten wünschenswert.
Insgesamt besticht der Sammelband durch seine informativen und überzeugend dargelegten Einzelbeiträge, die einen guten Eindruck der transnationalen Verflechtungen und gegenseitigen Perzeption faschistischer Bewegungen und Persönlichkeiten in Europa bieten. Es gelingt den Autoren, die Handlungsspielräume der Akteure darzulegen und ihre Beziehung zu anderen rechtsextremistischen Gruppen in Europa zu verorten. Detailreich veranschaulichen die Beiträge die transnationale Zusammenarbeit zwischen den einzelnen rechtsautoritären und faschistischen Organisationen und ihren Anführern. Dabei wird deutlich, wie die Strahlkraft des italienischen Faschismus innerhalb des faschistischen Kosmos allmählich verblasste und von Berlin abgelöst wurde. Erst angesichts der militärischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde Rom wieder als Partner attraktiv, um möglicherweise einen Ausweg aus dem Krieg zu finden. Darüber hinaus sind das ausgezeichnete Lektorat, die Einbeziehung bibliographischer und biographischer Angaben sowie eine sehr gute Lesbarkeit der Beiträge zu loben.
Besticht der Sammelband durch seine Einzelbeiträge, so erscheinen zwei konzeptionelle Entscheidungen der Herausgeber zumindest diskussionswürdig. Zum einen betrifft dies die drei Aufsätze zu antifaschistischen Netzwerken in Europa. Ohne die Bedeutung des Themas leugnen oder die Qualität der Beiträge schmälern zu wollen, so wirken sie wie ein Fremdkörper in dem Sammelband. Womöglich wäre es ratsamer gewesen, die Aufsätze durch einen Exkurs zum Neofaschismus nach 1945 zu ersetzen. Gerade nach dem Weltkrieg, und damit in einer Schwächephase der faschistischen Ideologie, kann ein Interesse rechter und neo-faschistischer Bewegungen an einer transnationalen Zusammenarbeit ausgemacht werden. Damit setzte sich ein Trend fort, der bereits in den Jahren zuvor zu beobachten war: Insbesondere kleinere faschistische Gruppen zeigten an einer gleichberechtigten, transnationalen Vernetzung das größte Interesse.
Zum anderen scheint es das Anliegen gewesen zu sein, einen in sich widerspruchsfreien Band vorzulegen, da kritische Beiträge der Tagung nicht aufgenommen wurden. [3] Gerade die Kontextualisierung des transnationalen Faschismus in der - zugegeben manchmal redundanten - Diskussion über den Faschismusbegriff hätte offensiver geführt werden können. "Transnational fascism," so die Herausgeber, "can be conceived of as an ensemble of selective cross-border perceptions, contacts, collaborative activities, transfers, appropriations and implementations of ideas, practices, styles, and institutions by fascists and non-fascists for specific ends, according to the prevailing conditions, needs, and demands." (361) Wie lässt sich diese Definition in der Debatten über den Charakter faschistischer Regime und Bewegungen verorten? Wie lässt sich die offensichtliche Widersprüchlichkeit zwischen Nationalismus und Transnationalismus im Denken der Faschisten greifen? Während etliche Autoren in ihren Darstellungen auf die Definition Roger Griffins zurückgriffen, betonen die Herausgeber, dass die Faschisten sich zu einer "Glaubensgemeinschaft" (14) zugehörig fühlten. Unerwähnt bleibt indes, dass auch Zeitgenossen hitzige Debatten über die wahre Natur des Faschismus führten - Diskussionen, denen oftmals ein übersteigernder Nationalismus zu Grunde lag, und die eine Kooperationen teils massiv erschwerten. Es stellt sich die Frage, ob nicht einige der im Buch behandelten Themen ganz allgemein Teil eines Diskurses der europäischen Rechten war und weniger spezifisch faschistisch. Aber wann kann von einer praktischen Umsetzung einer transnationalen Idee des Faschismus überhaupt gesprochen werden?
Die nur vage thematisierte Diskrepanz zwischen einem theoretischen, transnationalen Konzept des Faschismus einerseits und der praktischen Adaption ist das zentrale Problem des Sammelbands. Dieses Dilemma wird deutlich, wenn das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien als Referenzpunkte angeführt und deren Relevanz für den europäischen Faschismus betont werden, während gleichzeitig ein Transnationalismus der faschistischen Idee propagiert wird. Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, wenn die Herausgeber von den "Faschisierungsprozessen" sprechen, die in Zukunft verstärkt untersucht werden sollten? Welche Kriterien werden angesetzt, um von einer "Faschisierung" überhaupt sprechen zu können? Reicht es, wenn sich autoritäre Regime und Bewegungen jeglicher rechter Couleur lediglich einige Punkte aus dem faschistischen Kanon herauspickten?
Die Herausgeber betonen zu Recht, dass sich vergleichende und transnationale Studien zum Faschismus ergänzen müssen; nationalstaatliche Studien scheinen aber offenbar nur wenig Zukunftspotenzial zu besitzen - ein Urteil, das dem derzeitigen Trend in der Geschichtswissenschaft entspricht. Das Problem besteht allerdings darin, dass eine Schieflage in der Forschung zu den faschistischen Bewegungen Europas vorliegt - ein Befund, den die Herausgeber auf sprachliche Hürden zurückführen. Aber selbst ein Vergleich zwischen den Arbeiten zum "Dritten Reich" und dem faschistischen Italien offenbart eine klare Diskrepanz im Bereich der Grundlagenforschung wie der Veröffentlichung wissenschaftlicher Editionen wichtiger Egodokumente. Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind publizierte Memoiren und Tagebücher führender Faschisten im Gegensatz zu Größen des NS-Regimes in einem erbärmlichen Zustand. Auch quellenfundierte und theoretisch-analytische Arbeiten über Protagonisten der faschistischen Epoche - sieht man von Mussolini ab - sucht man meist vergeblich. Diese Asymmetrie wird gerade in vergleichenden Studien oft zugunsten weitreichender Thesen nicht thematisiert.
Diese Anmerkungen sollen weder die Qualität der Einzelbeiträge noch die Relevanz des Sammelbands an sich schmälern. Sie sollen zur Diskussion und zum Nachdenken anregen, da gerade widersprüchliche Ansichten, Kontroversen und Debatten einen Forschungsdiskurs erst beleben. Insgesamt entstand mit dem vorliegenden Band ein beeindruckendes Panorama über die transnationale Vernetzung faschistischer Gruppen in Europa, das nicht nur die Faschismusforschung bereichern wird, sondern auch für jeden historisch Interessierten einen fundierten Einblick in die Thematik bietet.
Anmerkungen:
[1] James Strachey Barnes: The Universal of Fascism, London 1928, XXVII (Übersetzung durch Autor).
[2] Hans Woller: Italien im 20. Jahrhundert, München 2010, 141; Roger Griffin: Europe for the Europeans. Fascist Myth of the New Order 1922-1992, in: A Fascist Century. Essays by Roger Griffin, hg. von Matthew Feldman, London 2008, 139.
[3] Vgl. Tagungsbericht: Fascism without Borders. Transnational Connections and Cooperation between Movements and Regimes in Europe from 1918 to 1945, 19.06.2014 - 21.06.2014, Berlin, in: H-Soz-Kult, 20.09.2014, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5563.
Tobias Hof