Rezension über:

Sabine Arend / Gerald Dörner (Hgg.): Ordnungen für die Kirche - Wirkungen auf die Welt. Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 84), Tübingen: Mohr Siebeck 2015, XIII + 322 S., ISBN 978-3-16-153817-9, EUR 99,00
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Rezension von:
Jan Martin Lies
Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Jan Martin Lies: Rezension von: Sabine Arend / Gerald Dörner (Hgg.): Ordnungen für die Kirche - Wirkungen auf die Welt. Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen: Mohr Siebeck 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 1 [15.01.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/01/27609.html


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Sabine Arend / Gerald Dörner (Hgg.): Ordnungen für die Kirche - Wirkungen auf die Welt

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Die von Emil Sehling im 19. Jahrhundert begründete Edition der evangelischen Kirchenordnungen steht nach wechselvoller Geschichte nun im Jahr 2016 vor ihrem Abschluss. In 24 Bänden, die teilweise in mehrere Teilbände untergliedert sind, ist damit jetzt ein Quellencorpus für die Forschung erschlossen, das einen Ausgangspunkt für höchst vielfältige Forschungsmöglichkeiten bietet.

Der vorliegende Sammelband "Ordnungen für die Kirche - Wirkungen auf die Welt. Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts" stellt den Ertrag einer gleichnamigen internationalen Tagung dar, die vom 13. bis 15. März 2014 in Heidelberg stattfand. Mit dieser Publikation gelingt es den beiden Herausgebern, Sabine Arend und Gerald Dörner, das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, nämlich: "auf der Zielgeraden zurückzublicken und die reichen Früchte der Arbeit am 'Sehling' zu ernten." (VIII)

Wie der Titel des Bandes zeigt und die Betätigungsfelder der Autorinnen und Autoren ausweisen, geht es den Herausgebern darum, die schon angesprochenen vielfältigen Forschungsmöglichkeiten an evangelischen Kirchenordnungen in einem interdisziplinären Austausch, vornehmlich zwischen der Theologie, der Geschichts- und Rechtswissenschaft darzustellen.

Entsprechend der Interdisziplinarität vereint der Band 15 Beiträge zu unterschiedlichen Forschungsfeldern. Die alle Forschungs- und Themenfelder verbindende Idee ist die Analyse von "ordnenden Strukturen", die in, mit und durch Kirchenordnungen geschaffen wurden bzw. geschaffen werden sollten. Dabei werden "ordnende Strukturen" untersucht, die durch die evangelischen Kirchenordnungen "in die Kirche (ecclesia)" hingetragen wurden, "indem [...] Ämter, Liturgie, Predigt und Lehre" neu definiert wurden. Zusätzlich dazu werden Ordnungsversuche im "gesellschaftlichen Zusammenleben (politia)" und im "Zusammenleben in Haus und Familie (oeconomia)" in den Blick genommen, da diese Bereiche "ebenfalls als von Gott verordnet angesehen wurden." (VIII)

Nach einem Grußwort des Präsidenten der Heidelberger Akademie Paul Kirchhoff (XI-XIII) analysiert Christoph Strohm lutherische und reformierte Kirchenordnungen im Vergleich (1-28), indem er die Heidelberger Kirchenordnung von 1563, die Kirchenordnungen Nassau-Dillenburgs in den 1570er- und 1580er-Jahren sowie die Kirchenordnungstätigkeit Johann Gerhards im Herzogtum Sachsen-Coburg betrachtet. Danach widmet sich Sabine Arend den Pfarreranstellungen im 15. und 16. Jahrhundert in Württemberg im Vergleich zu anderen Territorien (Pfalz-Zweibrücken, Lauenburg, Preußen u.a.) (29-51). Intensiv beschäftigt sich ihr Beitrag mit den einzelnen Schritten der Pfarrstellenbesetzung (Vokation, Examination, Ordination und Introduktion). Gerald Dörner richtet sodann einen vergleichenden Blick auf die Bestimmungen oberdeutscher Agenden (Nördlingen, Straßburg, Basel und Schwäbisch Hall) (53-74). Seine Ausführungen thematisieren die Bestimmungen zum Gottesdienst, zur Taufe und zur Trauung. Mit Liedern in den evangelischen Kirchenordnungen beschäftigt sich Andrea Hofmann (75-92). Sie verfolgt dabei insbesondere die Geschichte des Genfer Psalters und dessen Spuren in den deutschen Kirchenordnungen. In Meike Melchingers Aufsatz wird der Frage nach einer Rezeption des Alten Testaments in der Braunschweiger Kirchenordnung aus dem Jahr 1528 von Johannes Bugenhagen nachgegangen (93-112). Dabei wird die Bedeutung des Alten Testaments für die verschiedenen Abschnitte der Kirchenordnung (Taufe und Schulwesen, Predigtamt und Gottesdienst. Armenfürsorge) hervorgehoben. Volker Leppin entdeckt "Strategien der Anpassung und Abgrenzung" (155) bei der unterschiedlichen Ausstattung von Kirchen (137-155). Er legt seinen Forschungen dabei Kirchenordnungen aus Sachsen, Hessen, Württemberg und Brandenburg zugrunde. Daran anknüpfend erörtert Bridget Heal das Weiterbestehen religiöser Kunstwerke in lutherischen Kirchen (157-174). Dabei thematisiert sie ebenfalls konfessionelle Abgrenzungsstrategien und leuchtet die zeitgenössische Debatte zur Gefahr der Abgötterei durch die Bewahrung von Bildern in Kirchen besonders intensiv aus. Mit dem Eherecht in den Kirchenordnungen der sächsischen Territorien beschäftigt sich Ralf Frassek (175-201). Entlang der Bestimmungen von der frühen ernestinischen Ordnungstätigkeit über das "Cellische Ehebedenken" 1545, die Dresdener Eheordnung 1556 bis zur Großen Kirchenordnung 1580 werden die Veränderungen und Entwicklungen in Eherechtsfragen beleuchtet. Tim Lorentzen analysiert die Thematik der öffentlichen Fürsorge in Kirchenordnungen (203-232). Ausgehend vom vorreformatorischen Stiftungswesen zeichnete er die Entwicklung zum "Gemeinen Kasten" nach und geht dabei Veränderungen und Umformungen (Kapitalisierung, Administration, Sozialdisziplinierung usw.) in der öffentlichen Fürsorge nach. Die Diskussion über Zins und Wucher im Spiegel evangelischer Kirchenordnungen erörtert Christian Hattenhauser (233-260). Nach einer Darlegung des Zinsverbots im kanonischen Recht und in der Praxis bis zum 16. Jahrhundert, beschreibt er anhand der Kirchen- und Schulordnung für die Stadt Stralsund von 1525, der Kursächsischen Visitationsinstruktion von 1527, der Ordnung der Reichsstadt Lindau 1533 und der Wittenberger Ordnung von 1542 die Diskussion um Zins und Wucher im Spannungsfeld zwischen dem Versuch der Umsetzung christlicher Ideale und den Grenzen der Machbarkeit.

Über die drei Säulen (ecclesia, politia, oeconomia) der inhaltlichen Beschäftigung hinaus bietet der Band wertvolle Nachträge zur Editionsarbeit an den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Thomas Bergholz stellt eine bis dahin unbekannte Landauer Kirchenordnung aus dem Jahr 1534 vor (113-124). Er präsentiert den Aufbau und Inhalt der Schrift. (Zu dieser Schrift vgl. auch den Beitrag von Florian Büttner in den Blättern für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde ). Eine bislang nicht bekannte Kirchenordnung für die Reichsstadt Augsburg aus dem Jahr 1535 oder 1536 kann Stephen E. Buckwalter vorstellen (125-135). Mit einer historischen Einordnung ihres Entstehens wird diese Ordnung von ihm im Band abgedruckt (129-135).

Eine europäische Dimension in der Beschäftigung mit Kirchenordnungen gelingt durch die Einbindung der letzten drei Beiträge. Ronald G. Asch beschäftigt sich mit dem Kampf um die Ordnung der Kirche in England in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (261-274). Dabei thematisiert er die Bedeutung liturgischer Fragen in politischen Zusammenhängen. Die kirchliche und politische Situation in Dänemark-Norwegen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stellt Martin Schwarz Lausten dar (275-290). Er untersucht die Anstrengungen König Christians III., die Reformation in seinen Ländern umzusetzen und die Tätigkeit Johannes Bugenhagens dabei. Den Blick auf Böhmen richtet Christine Mundhenk (291-309). Sie widmet sich der Kirchen-, Schul- und Spitalordnung des Johannes Mathesius in Joachimsthal und deren Bezügen auf Philipp Melanchthon und die Wittenberger Kirche.

Der Band wird durch ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren sowie durch ein Personen-, ein Orts- und ein Sachregister abgerundet.

Mit der Veröffentlichung dieses Sammelbandes ist der Forschungsstelle "Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts" erneut eine hervorragende Publikation gelungen, die hoffentlich als Anregung für weitere interdisziplinäre Forschungen an dem überaus wichtigen Quellenbestand der evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts dienen wird.

Jan Martin Lies