Milo Řeznik: Neuorientierung einer Elite. Aristokratie, Ständewesen und Loyalität in Galizien (1772-1795) (= Studien zum Mitteleuropäischen Adel; Bd. 7), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2016, 561 S., ISBN 978-3-631-67193-1, EUR 89,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Elisabeth Haid / Stephanie Weismann / Burkhard Wöller (Hgg.): Galizien. Peripherie der Moderne - Moderne der Peripherie?, Marburg: Herder-Institut 2013
Friedrich Wilhelm Schembor: Galizien im ausgehenden 18. Jahrhundert. Aufbau der österreichischen Verwaltung im Spiegel der Quellen. Mit einem Vorwort von Harald Heppner, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2015
Jacek Purchla (Hg.): Mythos Galizien, Wien: Metroverlag 2015
Burkhard Wöller: "Europa" als historisches Argument. Nationsbildungsstrategien polnischer und ukrainischer Historiker im habsburgischen Galizien, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2014
Elisabeth Haid: Im Blickfeld zweier Imperien. Galizien in der österreichischen und russischen Presseberichterstattung während des Ersten Weltkriegs (1914-1917), Marburg: Herder-Institut 2019
Miloš Řeznik widmet sich in seiner umfassenden Studie den tiefgreifenden Veränderungen der Rolle des polnischen Adels in der Zeit der Teilungen Polens. Er untersucht dabei die ersten zwei Jahrzehnte der Integration der im neu geschaffenen österreichischen Kronland Galizien lebenden polnischen Aristokratie im Rahmen der ständischen Gesellschaft der Habsburgermonarchie. Dieser Thematik und diesem Zeitabschnitt wurde bislang keine größere Aufmerksamkeit in der Historiografie geschenkt.
Řeznik untersucht nicht nur die durch den Herrschaftswandel ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungen in Galizien, sondern geht auch allgemein auf die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stattfindenden politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen in den Ländern der Habsburgermonarchie sowie des Königreichs Polen ein. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt der neuen Adelspolitik der Wiener Regierung im Rahmen der Zentralisierung und Modernisierung der Verwaltung der Habsburgermonarchie in den 1770er Jahren sowie der Frage, wie die polnische Aristokratie und der gutsbesitzende Adel in Galizien den Herrschaftswandel bewältigt haben. Hierbei stützt er sich auf die modernen Forschungsdiskurse zu den Themen Adel, Elite und Ständewesen. Der Verfasser stellt seine Studie in einen breiteren Kontext der Wiener Galizien- und Adelspolitik und wirft einen Blick darauf, wie die Beamten als Vertreter des österreichischen Staates in diesem Zusammenhang agierten und die polnische Aristokratie auf die vielfältigen Maßnahmen der Wiener Regierung reagierte. Im Mittelpunkt stehen dabei die Frage des kulturellen Transfers sowie die Herausarbeitung der unterschiedlichen Kulturen und Traditionen der adeligen Elite, mit denen sich die Wiener Regierung nach der Annektierung des ehemals polnischen Gebietes befassen musste. Untersucht werden die Integrations- und Akkulturationsangebote seitens der führenden politischen Vertreter des österreichischen Adels an die polnische Aristokratie. Řeznik hebt nachdrücklich hervor, dass auch der österreichische Adel durch die in den zwei Jahrzehnten des Untersuchungszeitraums durchgeführten Reformen der ständischen Verfassung von einem gesellschaftlichen Wandel erfasst wurde. Er stützt sich auf eine viel-schichtige Diskursperspektive und nimmt damit Abstand von dem älteren, einseitig nationalen Geschichtsnarrativ, das die Adelsgeschichte lange Zeit dominiert hat.
In der Studie werden die Anpassungsstrategien des polnischen Adels unter österreichischer Herrschaft aus verschiedenen Perspektiven untersucht: Einerseits wird die Frage nach den Handlungsräumen gestellt, die der galizische Adel nun als Teil des österreichischen Adels für sich fordern konnte, andererseits aber auch danach gefragt, welche Versuche er unternahm, seine eigenen Interessen im Rahmen des Herrschaftswandels zu vertreten. Der Verfasser verknüpft seine Studie mit der Elitenforschung und befasst sich eingehend mit dem Übergang von der vormodernen, ständischen Gesellschaft zu einer modernen Gesellschaft, dessen Ergebnis ein Elitenwandel an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert war. Weiter widmet er sich dem Identitätswandel innerhalb der galizischen Aristokratie und dem Adel, indem er nach dem elitären Bewusstsein der Adelsgesellschaft fragt. Darüber hinaus geht er auf die Frage der Identitäten und Loyalitäten gegenüber der Wiener Regierung ein, die in der Historiografie unterschiedlich diskutiert wurde, und plädiert dafür, die Identitätsfrage in einen kulturellen und politischen Kontext zu stellen, um neue Erkenntnisse über das Verhältnis der galizischen Aristokratie und des Adels zur Habsburgermonarchie zu gewinnen. Trotz der tiefgreifenden politischen Umwälzungen im Untersuchungszeitraum habe der besitzende Adel seine Position in Galizien sowohl im wirtschaftlichen als auch im kulturellen Bereich beibehalten. Die neue ständische Verfassung Österreichs ermöglichte die Entstehung einer galizischen Aristokratie, die, infolge der neuen Bestimmungen - im Gegensatz zu Zeiten der polnisch-litauischen Rzeczpospolita - nun zur adeligen Elite erhoben, sich in großem gesellschaftlichem Abstand zum verarmten Kleinadel befand. Durch ihre Integration in die österreichische gesellschaftliche Elite erhielten die galizischen Aristokraten Zugang zum Wiener Hof und konnten so ihre Kontakte in ganz besonderem Maße für ihre Interessen nutzen. Dem Verfasser zufolge seien die Akkulturations- und Assimilationsprozesse des galizischen Adels in der Forschung nur marginal behandelt worden und bedürften daher noch weiterer Untersuchungen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es sich bei dieser Forschungsarbeit um eine auf aus polnischen, österreichischen, ukrainischen und tschechischen Archiven stammenden Quellen basierende sowie sich auf die neuesten Publikationen zur Adelsgeschichte stützende, akribische Studie handelt, die neue Methoden in der Adels- und Elitenforschung anwendet und dazu beiträgt, die Lücke in der Erforschung der Neuorientierung der adeligen Elite im österreichischen Kronland Galizien teilweise zu schließen.
Isabel Röskau-Rydel