Bertram D. Ashe / Ilka Saal (eds.): Slavery and the Post-Black Imagination, Seattle: University of Washington Press 2019, 248 S., ISBN 9780295746630, USD 30,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Nitin Varma: Coolies of Capitalism. Assam Tea and the Making of Coolie Labour, Berlin: De Gruyter 2017
Jan Hinrich Hagedorn: Domestic Slavery in Syria and Egypt, 1200-1500, Göttingen: V&R unipress 2019
Mary Ann Fay (ed.): Slavery in the Islamic World. Its Characteristics and Commonality, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2019
Rana P. Behal: One Hundred Years of Servitude. Political Economy of Tea Plantations in Colonial Assam, New Delhi: Tulika Books 2014
Rainer Oßwald: Das islamische Sklavenrecht, Würzburg: Ergon 2017
Global betrachtet ist Sklaverei (ebenso wie andere Formen starker asymmetrischer Abhängigkeit) nur selten aus der Perspektive der Abhängigen dargestellt worden. Daher sind die im 19. Jahrhundert in den USA von ehemaligen Sklaven und Sklavinnen verfassten Slave Narratives, die als Instrument im Kampf für die Abschaffung der Sklaverei genutzt wurden, von großem Interesse für die Sklaverei-Forschung. Darüber hinaus dienten Slave Narratives gerade in der Zeit nach der Bürgerrechtsbewegung afro-amerikanischen Autorinnen und Autoren als Bezugspunkte für eine literarische Auseinandersetzung mit der amerikanischen Geschichte und für eine kollektive Identitätsbildung. Die in diesem Kontext entstandenen fiktionalen Neo-Slave Narratives der 1960er bis 1980er Jahre lassen sich aufgrund ihres Versuchs, die Vergangenheit aus der Sicht der Versklavten zu imaginieren, dem Typus des revisionistischen historischen Romans zuordnen. [1]
Das vielleicht bekannteste Neo-Slave Narrative, der Roman Beloved (1987) der Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, wird von Bertram D. Ashe (Professor für English and American Studies an der University of Richmond, Virginia) und Ilka Saal (Professorin für Amerikanische Literatur an der Universität Erfurt) in ihrem Sammelband Slavery and the Post-Black Imagination als Bezugspunkt für eine diachrone Abgrenzung literarischer Formen der retrospektiven Auseinandersetzung mit Sklaverei in Werken afro-amerikanischer Autoren und Autorinnen herangezogen. In ihrer Einleitung heben Ashe und Saal die besondere Bedeutung von Morrisons Beloved in der Geschichte des Neo-Slave Narratives hervor ("Morrison's landmark novel represents in many regards the culmination of the neo-slave narrative tradition, which has emerged steadily from the late 1960s onward", 3). Der Sammelband vermittelt einen beeindruckenden Überblick über das enorm breite Spektrum literarischer Texte, audiovisueller Medien und visueller und multimedialer Kunstwerke, in denen sich afro-amerikanische Künstlerinnen und Künstler nach Morrisons Roman, also seit den 1990er Jahren, mit dem Erbe der Sklaverei in den USA beschäftigt haben. Die Beiträge des Sammelbandes konzentrieren sich auf literarische Werke und (audio)visuelle Kunstwerke jener Generation, die nach der Bürgerrechtsbewegung geboren wurde oder diese allenfalls in der Kindheit erlebt hat, - eine Generation, deren Identität oft mit der Bezeichnung "post-black" beschrieben wird (vgl. 5). Ashe und Saal verstehen diesen (keinesfalls unumstrittenen) Begriff im Sinne einer Betonung von fortwährenden kulturellen und individuellen Aushandlungen von blackness anstelle normativer Setzungen: "Post-blackness seeks to emphasize an evolving understanding of meanings of blackness." (6)
Zu den Merkmalen, die viele der Neo-Slave Narratives über die Gattungen und Medien hinweg seit den 1990er Jahren verbinden, zählt der Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart in Gestalt einer Akzentuierung von "continuities between the antiblack racism of the past and the antiblack racism of the present" (5). Eine herausgehobene Rolle unter den neuen Darstellungsmodi, die dabei zum Tragen kommen, hat die Satire, deren Funktionspotential Ashe und Saal wie folgt charakterisieren: "contemporary artistic explorations of American slavery often, but not always, use satire or humor to explore slavery. They do so not to demean those who were actually enslaved or to underestimate the seriousness of slavery, but to approach slavery in much the way Ralph Ellison suggested blues singers sang the blues" (7). Das heißt satirische Darstellungsverfahren fungieren primär als Bewältigungsstrategie, um das schmerzvolle Erinnern emotional zu kontrollieren (vgl. 7).
Die Beiträge, die in dem Sammelband vereint sind, zeugen ausnahmslos von großer Sachkenntnis; diese schlägt sich u.a. darin nieder, wie die analysierten Gegenstände im Kontext von gesellschaftlichen Diskursen, akademischen Debatten und größeren literarischen oder künstlerischen Entwicklungslinien verortet werden. Die Artikel ergänzen sich hervorragend, was nicht zuletzt auf die durchgängig spürbare Orientierung an den folgenden, von Saal und Ashe in der Einleitung formulierten Leitfragen zurückzuführen ist: "How have narratives of slavery evolved poetologically over the past thirty years? What does post-Beloved writing reveal about changing attitudes towards the past?" (5) Wenngleich die Ausrichtung des Bandes eine dominant literatur-, medien- und kulturwissenschaftliche ist, so verdeutlicht doch schon die zweite Leitfrage, warum der Band auch für die Geschichtswissenschaft von Interesse sein kann, denn es geht bei einer Beschäftigung mit Neo-Slave Narratives letztlich immer auch um erinnerungskulturelle Aspekte, um im Wandel befindliche Rekonstruktionen von Vergangenheit in kulturellen Diskursen.
Zwei der zehn Beiträge beschäftigen sich mit Romanen, also jener Gattung, die bis zu den 1980er Jahren die literarische Auseinandersetzung mit Sklaverei dominiert hat. In "Three-Fifths of a Black Life Matters Too: Four Neo-Slave Novels from the Year Postracial Definitively Stopped Being a Thing" (43-64) stellt Derek C. Maus die vier Romane Grace von Natashia Déon, Homegoing von Yaa Gyasi, Underground Airlines von Ben H. Winters und The Underground Railroad von Colson Whitehead gegenüber, die im Abstand von nur wenigen Wochen im Jahr 2016 veröffentlicht wurden, während der Präsidentschaftswahlkampf die US-amerikanische Bevölkerung zunehmend spaltete. Laut Maus verbindet die vier von ihm untersuchten literarischen Texte zum einen, dass sie Verbindungslinien von der Sklaverei zur Gegenwart herstellen, und zum anderen, dass sie in Bezug auf Figurendarstellung und Handlung sowohl an Slave Narratives aus dem 18. und 19. Jahrhundert anknüpfen als auch an Klassiker der afro-amerikanischen Literatur aus den 1970er und 1980er Jahren.
Paul Beattys Roman The Sellout, der nicht zuletzt durch die Auszeichnung mit dem renommierten Man Booker Prize im Jahr 2016 zu den auch international sichtbarsten Werken afro-amerikanischer Autoren und Autorinnen zählt, steht im Mittelpunkt von Cameron Leader-Picones Beitrag "Whispering Racism in a Postracial World: Slavery and Post-Blackness in Paul Beatty's The Sellout" (65-82). Leader-Picone analysiert Beattys Roman als Satire, die sich vor allem gegen amerikanische Fortschrittsnarrative und die Wirkmacht von Authentizitätsdiskursen richtet.
Malin Pereiras Beitrag "Thylias Moss's Slave Moth: Liberatory Verse Narrative and Performance Art" (160-181) setzt sich mit der im Titel genannten Verserzählung aus dem Jahr 2004 auseinander, in der zentrale Motive der klassischen Slave Narratives, darunter das Konzept 'Freiheit' und die Bedeutung von Bildung, einer kritischen Neuperspektivierung unterzogen werden. Außerdem wird die Einbindung des Textes in einen Kontext von Artefakten, die von der Autorin erstellt wurden und die z.B. über das Internet zugänglich sind, von Pereira als "polytemporal, polymedia, multiartifact work of performance art" (170) interpretiert.
Stellt schon die Auseinandersetzung mit Sklaverei in narrativen Texten eine große Herausforderung dar, so gilt dies in vermutlich noch größerem Maße für visuelle Verfahren in den verschiedenen Medien, die in dem Sammelband diskutiert werden. Dass Neo-Slave Narratives in neue mediale Darstellungsformen Eingang finden, zeigt etwa die Adaption eines der bekanntesten frühen Neo-Slave Narratives, Octavia Butlers Kindred aus dem Jahr 1979, als gleichnamige Graphic Novel von Damian Duffy und John Jennings aus dem Jahr 2017. Diese Graphic Novel wird von Mollie Godfrey in "Getting Graphic with Kindred: The Neo-Slave Narrative of the Black Lives Matter Movement" (83-105) als Aktualisierung im Kontext von Debatten über visuelle Darstellungen von Gewalt sowie im Lichte eines wachsenden Bewusstseins eines strukturellen Rassismus in den USA analysiert.
Ilka Saal beschäftigt sich in ihrem Artikel "Performing Slavery at the Turn of the Millennium: Stereotypes, Affect, and Theatricality in Branden Jacobs-Jenkins's Neighbors and Young Jean Lee's The Shipment" (140-159) mit der Darstellung von Sklaverei im Theater und den besonderen Herausforderungen und Möglichkeiten von Performativität. Den von ihr untersuchten Dramen Neighbors (2010) und The Shipment (2009) ist gemeinsam, dass sie das Publikum durch den Gebrauch von Stereotypen zu provozieren und an die Tradition rassistischer Darstellungen zu erinnern suchen, indem sie Darstellungskonventionen des 19. Jahrhunderts in ein Spannungsverhältnis mit realistischen Theaterkonventionen des 20. Jahrhunderts bringen.
Derek Conrad Murrays Artikel "The Blackest Blackness: Slavery and the Satire of Kara Walker" (21-42) ist den experimentellen Kunstwerken der afro-amerikanischen Künstlerin Kara Walker gewidmet, die als "violent rupture in the genteel and self-consciously dignified space of African American art" (23) wahrgenommen und teilweise vehement kritisiert wurden. Solche negativen Reaktionen verkennen das Potential von Walkers Kunstwerken als Kritik an konventionellen Formen der Erinnerung an die Sklaverei, wie Murray betont: "Walker appeared to be making fun of her audience: chiding the popular historical memory of slavery - a history that is rife with cliché, stereotype, and romanticism" (27).
Das Medium Film steht in zwei Beiträgen im Mittelpunkt. Der von Kimberly Nichele Brown in "'Stay Woke': Post-Black Filmmaking and the Afterlife of Slavery in Jordan Peele's Get Out" (106-123) untersuchte Film Get Out aus dem Jahr 2017 kombiniert satirische und surreale Komponenten, da diese stärker als realistische Darstellungsverfahren in der Lage seien, "the absurdity of our present 'post-truth' moment" (107) einzufangen. Der von Bertram D. Ashe in "Plantation Memories: Cheryl Dunye's Representation of a Representation of American Slavery in The Watermelon Woman" (182-197) diskutierte Meta-Film The Watermelon Woman aus dem Jahr 1996 verwendet Konventionen der Mock-Documentary und problematisiert damit die Bedeutung medialer Inszenierungen für heutige Vorstellungen von Sklaverei.
Der Facettenreichtum der Beiträge in dem von Ashe und Saal herausgegebenen Sammelband zeigt sich auch darin, dass er neben den oben vorgestellten Artikeln ein von den Herausgebern mit dem Dramatiker Branden Jacobs-Jenkins geführtes Interview ("'An Audience is a Mob on ist Butt'", 198-228) sowie ein Skript einer Episode eines Podcasts zum Thema Musik von Chenjerai Kumanyika, Jack Hitt und Chris Neary mit einer Einleitung von Bertram D. Ashe ("The Song: Living with 'Dixie' and the 'Coon Space' of Post-Blackness", 124-139) beinhaltet.
Anmerkung:
[1] Vgl. zu den Merkmalen des revisionistischen historischen Romans Ansgar Nünning: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. Bd. I: Theorie, Typologie und Poetik des historischen Romans, Trier 1995, insbesondere 268-276.
Marion Gymnich