Wolfgang Krieger (Hg.): Die Auslandsaufklärung des BND. Operationen, Analysen, Netzwerke (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND; Bd. 13), Berlin: Ch. Links Verlag 2021, 986 S., ISBN 978-3-9628-9118-3, EUR 80,00
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Heike Amos: Vertriebenenverbände im Fadenkreuz. Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit 1949 bis 1989, München: Oldenbourg 2011
Christian Booß: Vom Scheitern der kybernetischen Utopie. Die Entwicklung von Überwachung und Informationsverarbeitung im MfS, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021
Tytus Jaskułowski: Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021
Sabrina Nowack: Sicherheitsrisiko NS-Belastung. Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er-Jahren, Berlin: Ch. Links Verlag 2016
Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten!". Der geheime Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg, München: Carl Hanser Verlag 2013
Falko Bell: Britische Feindaufklärung im Zweiten Weltkrieg. Stellenwert und Wirkung der »Human Intelligence« in der britischen Kriegführung 1939-1945, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016
Kevin Wright / Peter Jefferies: Looking down the Corridors. Allied Aerial Espionage Over East Germany and Berlin, 1945-1990, Stroud: The History Press 2015
Magnus Pahl: Fremde Heere Ost. Hitlers militärische Feindaufklärung, Berlin: Ch. Links Verlag 2012
Die sogenannte Behördenforschung, die Nachwirkungen nationalsozialistischer Prägungen in Denk- und Handlungsweisen vor allem west-, vereinzelt auch ostdeutscher Behörden und biografische Kontinuitäten untersucht, hat sich zu einem Mainstream in der deutschen Zeitgeschichte entwickelt. Aus dem größten derartigen Projekt, der Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes UHK(-BND), sind inzwischen 13 Bände hervorgegangen. Sie widmen sich drei Schwerpunkten: der Organisationsgeschichte und Personalpolitik, der (äußerst aktiven) Rolle des BND in der Innenpolitik, sowie der Informationsbeschaffung im Ausland und daraus abgeleiteter Wissensproduktion. Dabei begleitet die Frage nach NS-Kontinuitäten alle Darstellungen.
Nach den Studien von Armin Müller über die Funkaufklärung des BND, von Ronny Heidenreich über die DDR-Spionage, von Wolfgang Krieger über die Beziehungen zu den westlichen Partnerdiensten sowie ferner dem Buch von Ronny Heidenreich, Daniela Münkel und Elke Stadelmann-Wenz über die Auseinandersetzung zwischen dem BND-Vorläufer Organisation Gehlen (Org) und dem Staatssicherheitsdienst der DDR im Jahr 1953 [1] lenkt nun ein Sammelband die Aufmerksamkeit auf die Informationsgewinnung des BND.
Andreas Hilger blickt nach einer Einleitung von Wolfgang Krieger auf die UdSSR und ihre benachbarten Satelliten, also generell auf Länder - zum Beispiel in Afrika -, die Org und BND als Einflusssphäre des "Weltkommunismus" betrachteten. Daran schließt sich ein Abschnitt von Hilger und Sabine Nowack über die BND-Spionage in Südosteuropa (besonders Ungarn, Bulgarien, Jugoslawien) an. Beide Beiträge gemeinsam, weil inhaltlich nahe beieinander, hätten für sich eine eigene Monografie ergeben. Tilman Lüdke wendet sich den Aktivitäten im Nahen Osten zu, Holger M. Meding in einem packend geschriebenen Kapitel, gleichfalls in monografischer Länge, jenen in Lateinamerika. Beim Vergleich dieser vier großen Kapitel fallen Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf: Allen Autoren ist es gelungen, die Kontinuitäten zum personellen Gewaltapparat des Nationalsozialismus in ihre Untersuchungen einzuweben; beim Südosteuropa-Kapitel betrifft das besonders Akteure innerhalb von Org/BND, im Lateinamerika-Abschnitt die Zusammenarbeit mit unterschiedlich belasteten NS-Emigranten. In Ägypten ging es dagegen zunehmend darum, deutsche Spezialisten, die am Nil an potentiell gegen Israel einsetzbaren Waffen arbeiteten, unter Kontrolle zu bringen.
Fast alle Beiträge - am wenigsten jener von Hilger/Nowack - haben aber auch Schwächen. Hilger liefert eine empirisch dichte, mustergültig systematisch aufgebaute Analyse über Auftrag, Organisation, Personal, Informationsbeschaffung sowie Berichtswesen und Resonanz der BND-Tätigkeit. Der Text eröffnet allerdings mit einem (zu) langen Abschnitt über die Org "zwischen Besatzungspolitik und bundesdeutscher Souveränität". Hier repliziert der Autor schon wiederholt Beschriebenes, und dies über weite Strecken anhand zwei Jahrzehnte alter US-Quelleneditionen - auch wenn er diese immer wieder ergänzen kann und die Klarheit seiner Analyse ein Pluspunkt ist. Positiv gewendet mag man feststellen, dass der Kenntnisstand über die Org nun sehr breit, fast erschöpfend ist, was für die Jahre nach 1956 sicherlich nicht gilt.
Lüdke und Meding verfolgen einen jeweils umgekehrten Zugang: Ersterer skizziert anfangs ausführlich die politische Lage in der Region, besonders in Ägypten und Syrien. Es dauert, bis er auf die Tätigkeit des BND vor Ort zu sprechen kommt. Analytisch dringt er nicht so tief wie die anderen drei Beiträge. Meding geht in medias res, entwirft ein umfassendes Bild der Verbindungen des BND nach Lateinamerika (Kenntnisse über die zahlreichen Militärdiktaturen setzt er stillschweigend voraus): Der Dienst konnte dort auf die große deutsche Emigration zurückgreifen und relativ erfolgreich agieren, wie der Autor an mehreren Beispielen quellennah und lebendig nachzeichnet.
Im Kontrast zu diesen großen Überblicken stehen drei kürzere Spezialstudien. Jutta Braun beleuchtet mit Hans Georg Schulz einen Einflussagenten des BND aus dem Pressebereich in der "Frontstadt" Berlin und demonstriert anschaulich, wie schwer es der Org fiel, einzelne Verbindungen auch im Falle von Friktionen zuverlässig unter Kontrolle zu halten. Allerdings wirkt der lesenswerte Beitrag hier doch fehlplatziert, da er an die Auseinandersetzung des Jahres 1953 zwischen Org und Staatssicherheit anknüpft und sich eher in das Buch von Heidenreich u. a. zu diesem Konflikt gefügt hätte. Wolfgang Krieger historisiert gewissermaßen die bisherige, prä-UHK-Geschichtsschreibung zum BND. In seinem ersten inhaltlichen Beitrag untersucht er die Rolle von Richard Christmann als Agent in Tunesien und Algerien und korrigiert die Ergebnisse einer früheren Monografie von Matthias Ritzi und Erich Schmidt-Eenboom. [2] Wenn man weiß, dass Krieger als akademischer Historiker und Schmidt-Eenboom als Publizist einst um die Deutungshoheit über den BND gerungen haben, liegt nahe, dass hier nicht zuletzt eine alte Schlacht nochmals geschlagen wird. Ähnliches gilt für die Rekonstruktion des Falles Langemann - ein Karrierebeamter im BND, der schließlich interne Informationen über seinen Dienst an die Presse weitergab, woraus ein veritabler Skandal und 1982 ein Buch dazu entstand. Krieger kann aktengestützt die Geschichte mit ihren Hintergründen neu erzählen. Beide Beiträge stellen damit prominente Fälle auf eine solide Quellenbasis, fügen sich jedoch gleichfalls nicht recht in diesen Band. Sie wären womöglich in der kleinen Publikationsreihe der UHK, in der von 2013 bis 2015 fünf Studien im Selbstverlag erschienen, besser aufgehoben gewesen.
Damit stellt sich die Frage nach den inhaltlichen Erträgen. Es liegt angesichts des privilegierten Quellenzugangs auf der Hand, dass aus den bisherigen Arbeiten eine Vielzahl von neuen Erkenntnissen zur Tätigkeit des BND erwachsen sind, die zum Teil auch umfassende Neubewertungen hinsichtlich der politischen und der Gesellschafts- und Militärgeschichte der Bundesrepublik evozieren. Hilger, der an Fall- und Personalbeispielen reiche Beitrag von Hilger/Nowack sowie Meding geben in dem vorliegenden Band Einblicke in die interne Funktionsweise des BND, so in das Spannungsverhältnis zwischen Beschaffung und Auswertung und des restlichen Dienstes zum separaten, Gehlen direkt zuarbeitenden sogenannten Strategischen Dienst. Thematisiert wird auch die Wahrnehmung des BND-Meldewesens, gerade innerhalb auftragsmäßig benachbarter Ressorts wie dem Auswärtigen Amt und dem Verteidigungsministerium. Die Probleme, die sich dem BND insgesamt in seiner Osteuropa-Aufklärung stellten, werden in einer sehr abgewogenen Bilanz zusammengefasst.
Im Nahen Osten, wo es keine schon gewachsene deutsche Expat-Gemeinschaft gab und "weniger Anknüpfungspunkte als vermutet", (476) hatte der BND andere Sorgen, mussten doch einzelne Agenten lernen, "nicht mehr auf hundert Meter gegen den Wind den deutschen Offizier erkennen zu lassen" und sich auf "Gelassenheit, nicht Zackigkeit" einzustellen. (482) Als in der Bilanz erfolgreich wird die BND-Arbeit in Lateinamerika beschrieben, etwa als Vermittler zum brasilianischen Sicherheitsapparat während der Entführung des deutschen Botschafters Ehrenfried von Holleben im Juni 1970. (680-683) Anfang der 1960er Jahre hatte Pullach einen sehr gut platzierten Informanten in Kolumbien, der aus eigener Anschauung über die Gründung der FARC, später die mächtigste Guerilla in Südamerika, berichtete. In der Kubakrise 1962 informierte der BND die US-Dienste über die Verlegung von Raketen auf die Karibikinsel. Pikanterweise wusste Moskau davon: erklärbar nur durch funktechnische Aufklärung oder durch einen "Maulwurf" - entweder beim Absender in Deutschland oder beim Empfänger in den Staaten. "Die historische Forschung", so Meding, "wird sich wohl darauf einstellen müssen, einige Kausalketten neu sortieren zu müssen, sobald die einschlägigen sowjetischen Archivalien freigegeben werden". (641) Der Umgang mit NS-belastetem Personal war ambivalent, unterschiedlich in jedem Einzelfall, wobei der Verratsfall Felfe als Wasserscheide gelten kann: Vorher an Nützlichkeitserwägungen orientiert, wurden danach strengere Kriterien angelegt; der BND trennte sich auch in Lateinamerika von schwer belasteten Mitarbeitern, ohne diese aber der justiziellen Verfolgung zu überantworten.
Trotz der angesprochenen konzeptionellen Unstimmigkeiten und regionaler Leerstellen (Asien mit wichtigen Akteuren in der Beobachtung der UdSSR und Chinas bleibt mit Ausnahme des Nahen Ostens unterbelichtet) bietet der Sammelband eine Fülle von neuen Erkenntnissen, gerade in den Teilstudien von Hilger, Hilger/Nowack und Meding. Bei allem gebotenen Verständnis für nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutz sind die partiell kaum nachvollziehbaren Restriktionen bei der Freigabe der Manuskripte durch BND und Bundeskanzleramt zu beklagen. Meding wurde ein ganzes Kapitel gestrichen und in ein anderes massiv eingegriffen, nachdem sein ursprüngliches Rohmanuskript sogar zu zwei Dritteln als nicht freigabefähig galt. Diese Zensur wird jedoch bei aufmerksamer Lektüre stellenweise ad absurdum geführt: Wo der Name eines deutschen Auslandskorrespondenten - der aus Moskau ab 1957 an den Dienst berichtete - geschwärzt werden musste, während zugleich bekannt ist, wer dort in jener Zeit tätig war, ist offensichtlich, dass sich hinter "Rux, Conny" (unter Anspielung auf den damals bekannten gleichnamigen Boxer) nur der junge Gerd Ruge verbergen kann.
Diese Besprechung endet daher einmal mehr mit einem ceterum censeo: Eine historische Aufarbeitung, die noch zu oft der BND-immanenten Logik "Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht nass" folgt, konterkariert auch die ursprüngliche Absicht der Auftraggeber der UHK. Abhilfe für die weitere Forschung ist notwendig.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die bibliografischen Einzelnachweise auf der Website der UHK; www.uhk-bnd.de/?page_id=340 [26.01.2022]. Dort auch Nachweis der im Folgenden erwähnten Studien außerhalb der im Links-Verlag erscheinenden UHK-Reihe.
[2] Matthias Ritzi / Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann, Berlin 2011.
Armin Wagner