Rezension über:

Andrea Meyer: Kämpfe um die Professionalisierung des Museums. Karl Koetschau, die Museumskunde und der Deutsche Museumsbund 1905-1939 (= Edition Museum; Bd. 56), Bielefeld: transcript 2021, 285 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-8376-5833-0, EUR 45,00
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Rezension von:
Dorothee Haffner
Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Dorothee Haffner: Rezension von: Andrea Meyer: Kämpfe um die Professionalisierung des Museums. Karl Koetschau, die Museumskunde und der Deutsche Museumsbund 1905-1939, Bielefeld: transcript 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 6 [15.06.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/06/36115.html


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Andrea Meyer: Kämpfe um die Professionalisierung des Museums

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2017 feierte der Deutsche Museumsbund, die wichtigste Interessenvertretung der deutschen Museumsmitarbeiter*innen, sein 100-jähriges Jubiläum. Verbandsinterne Publikationen beleuchteten seine Geschichte, daneben veranstalteten Kristina Kratz-Kessemeier und Andrea Meyer (TU Berlin) im Juli 2017 eine Tagung, die für die kritische Auseinandersetzung neue Impulse setzte. [1] Basierend auf dieser Tagung wie auf mehreren eigenen Vorarbeiten hat Andrea Meyer nun eine dichte Studie veröffentlicht, in der sie die Anfänge der und die Auseinandersetzungen um die Professionalisierung der deutschen Museen schildert. Ihr Protagonist ist der Kunsthistoriker und Museumsmann Karl Koetschau (1868-1949). Er gründete 1905 die Zeitschrift Museumskunde und war ihr langjähriger Herausgeber. Sein Wirken ist allerdings bisher kaum untersucht worden. Der Titel des Buches mutet eher nüchtern an, der Inhalt ist dafür ausgesprochen spannend.

Meyer hat reiches Quellenmaterial ausgewertet, vor allem die Ausgaben der Museumskunde seit 1905 und die Publikationen des Deutschen Museumsbundes seit 1917, daneben Briefe und Erinnerungen mehrerer Akteure. Von Koetschau selbst ist weder Autobiografisches noch ein Nachlass überliefert. Umso wichtiger waren deshalb Archivalien im Zentralarchiv der Berliner Museen, das die Akten des Deutschen Museumsbundes als Depositum bewahrt, und im Düsseldorfer Stadtarchiv, wo Akten aus Koetschaus Tätigkeit zwischen 1913 und 1933 als Direktor der dortigen Städtischen Kunstsammlungen zu finden sind. Auf dieser Basis zeichnet Meyer ausgesprochen anschaulich und differenziert die fachinternen Debatten zur Herausbildung eines Selbstverständnisses der Museumsmitarbeiter nach. [2] Grundsätzlich und durchaus kontrovers diskutierte Aspekte waren damals das Streben nach einer reformorientierten Museumspraxis, das Ringen um ethische Regeln für das professionelle Handeln, die Fragen der internationalen Vernetzung wie auch die Form museologischer Ausbildungen - Themen also, die bis heute aktuell geblieben sind.

Meyer gliedert ihre Darstellung sinnvollerweise weitgehend chronologisch. Der zeitliche Horizont ist klug gewählt: er erstreckt sich von 1905, dem Jahr des ersten Erscheinens der Museumskunde, bis 1939, als der Kriegsausbruch vielen Bemühungen ein Ende setzte. Der untersuchte Zeitraum reicht also vom ausgehenden Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum erstarkenden Nationalsozialismus. In diesen Jahrzehnten wurden interessanterweise nicht nur in der deutschen Museumslandschaft, sondern auch international die gleichen Themen diskutiert, und der grenzüberschreitende Wissens- und Erfahrungsaustausch der Museumsmitarbeiter trug entscheidend zur Professionalisierung der Museumsarbeit bei.

Zu betonen ist, dass die frühen Bemühungen um eine Berufsvertretung sich zunächst nur an kunst- und kulturhistorische Museen richten und vor allem von Kunstmuseumsdirektoren betrieben wurden. Erst 1927 beschloss der Deutsche Museumsbund, das Mitgliederfeld auf alle Museumstypen auszudehnen und auch die völkerkundlichen und naturwissenschaftlichen Häuser mit einzubeziehen (28). Meyer charakterisiert - neben den Aktivitäten von Koetschau - das Handeln von Protagonisten wie Gustav Pauli, der von 1914 bis 1933 Museumsdirektor der Hamburger Kunsthalle und führender Akteur des Deutschen Museumsbundes war, oder Widersachern wie Wilhelm von Bode, dem legendären Berliner Generaldirektor, der seine Vormachtstellung durch eine solche Interessenvertretung gefährdet sah und daher anfänglich gegen den Museumsbund opponiert hatte. Deutlich fassbar wird die prägende Rolle des bislang wenig beachteten Karl Koetschau, seine vielfältigen Netzwerke, seine Aktivitäten im Zusammenspiel mit Pauli, aber auch seine Rivalität zu Bode im Bemühen um fortschrittliche Ansätze und breite Professionalisierung.

Erste Versuche, museologische Standards zu etablieren, hatte es bereits im späten 19. Jahrhundert gegeben. So hatte 1898 der Verband von Museums-Beamten (ein Vorläufer des Deutschen Museumsbundes) eingehend über "die Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren" diskutiert. [3] Die Klärung des Verhältnisses zwischen Kunsthandel und Museumsbeamten und die Einführung von ethischen Regeln des professionellen Agierens gehörten denn auch zu den zentralen Anliegen des neu gegründeten Berufsverbandes (75-92). Dass Museumsbeamte gegen Entgelt auch für den Kunsthandel oder für Privatleute tätig waren, wurde von der Reformergruppe als unvereinbar mit der Unabhängigkeit des Berufsstandes angesehen, aber es gelang auf der ersten Jahrestagung des Museumsbundes 1918 nicht, in dieser Frage strenge Richtlinien zu verabschieden. Das "Expertisenwesen" (86) blieb weiterhin virulent.

In den 1920er-Jahren vollzog sich ein Generationenwechsel, gleichzeitig kam es aus verschiedenen Gründen zur Stagnation (115-131). Immerhin konnten ab 1930 auch Frauen dem Museumsbund beitreten, in gleichem Maß, in dem sie in Museen verantwortliche Tätigkeiten aufnahmen.

Ein eigenes, umfangreiches Kapitel widmet Meyer der "Etablierung museologischer Ausbildungsmodelle" (155-191), die einen weiteren zentralen Punkt der frühen standespolitischen Aktivitäten bildete. Koetschau gab dafür entscheidende Impulse, indem er in Bonn regelmäßig Kurse für Kunsthistoriker anbot und entschieden darauf hinarbeitete, eine geregelte Aus- und Weiterbildung des Nachwuchses in museumspraktischen Fragen einzuführen und den Deutschen Museumsbund auch in diesem Punkt zur maßgeblichen Instanz zu etablieren. Seine Bemühungen waren aber nicht auf Dauer erfolgreich, und die Frage der adäquaten fachpraktischen Ausbildung ist bis heute nicht zufriedenstellend gelöst. [4]

Der Aufstieg der Nationalsozialisten führte schließlich dazu, dass die Bemühungen um das professionelle Handeln ins Gegenteil umschlugen (193-229). Koetschau, wiewohl bereits im Rentenalter, versuchte noch, sich den neuen Machthabern anzudienen. Meyer wertet dafür eine bislang unbekannte Denkschrift von sieben Seiten aus, die Koetschau Ende Mai 1933 direkt an den Leiter des preußischen Kultusministeriums sandte. Darin kehrte er sich von der Moderne und den Reformideen ab, schlug unverhohlen antisemitische Töne an und legte seine Vorstellungen einer praktischen Ausbildung von Kunsthistorikern im Sinne einer "Museumsschule" dar. Seine Versuche liefen letztlich ins Leere, führten aber dazu, dass er die Bemühungen um eine fortschrittliche Museumsarbeit und die Reformbemühungen der 1920er-Jahre zunichtemachte. Insofern ist seine Rolle sehr ambivalent zu betrachten, was gleichwohl für viele seiner Altersgenossen gilt.

Positiv hervorzuheben ist auch, dass Meyer sich nicht auf eine rein historische Darstellung beschränkt. Sie gründet ihre Ausführungen dezidiert auf aktuelle Tendenzen der Museum Studies, die "das Museum als Raum stetiger Aushandlungsprozesse verstehen" (12), und ordnet die besprochenen Ereignisse auch unter diesem Aspekt kritisch ein. Damit zeigt sie sich auf der Höhe der jüngsten Diskussionen über die Rolle der Museen, wie sie innerhalb des International Council of Museums im gegenwärtigen Ringen um eine neue internationale Definition sichtbar wird. [5]

Form und Gestaltung des Buches sind schlicht, aber ansprechend. Etwas gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass bei den zahlreichen, in den Text integrierten Abbildungen die Bildunterschriften als Überschriften gesetzt sind, die Bildnachweise dafür als Bildunterschriften. Der Anhang umfasst neben den üblichen Quellen- und Literaturverzeichnissen dankenswerterweise ein Personenregister.

Andrea Meyer hat ein materialreiches, streckenweise wirklich spannendes Buch vorgelegt, das man gerne und mit großem Gewinn liest und das allen, die sich für die fachlichen Debatten dieser Jahre innerhalb der deutschen Museen wie auch innerhalb des größten deutschen Museumsverbands interessieren, ausdrücklich ans Herz gelegt sei.


Anmerkungen:

[1] Wolfgang Klausewitz (1922-2018), von 1975 bis 1983 Vorsitzender des Deutschen Museumsbundes, hat sich mehrfach mit der Geschichte des Vereins befasst, zuletzt: Wolfgang Klausewitz: 90 Jahre Deutscher Museumsbund. Eine Chronik, in: Museumskunde, 72, 2007, Heft 1, 7-29; wieder abgedruckt in: Museumskunde 82, 2017, Heft 1, 19-41. Die Tagung "100 Jahre Deutscher Museumsbund im Rückblick" (7. Juli 2017) war eine Veranstaltung der Technischen Universität Berlin und der Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V. Der Tagungsbericht dazu von Alina Strmljan, in: ArtHist.net, 07.02.2018, https://arthist.net/reviews/17301 (letzter Zugriff 30.05.2022).

[2] Da in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem in leitenden Positionen, fast ausschließlich Männer tätig waren, verwendet auch Meyer überwiegend die männliche Bezeichnung (8, Anm. 3).

[3] Verhandlungen der ersten Versammlung des Verbandes von Museums-Beamten zur Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren. Hamburg, 7. Oktober 1898. https://doi.org/10.11588/diglit.33016 (letzter Zugriff 30.05.2022).

[4] Oliver Rump: Zur Ausbildungssituation in der deutschen Museumslandschaft. Ein Überblick und Ausblick, in: Erfolg durch Personal. Ansätze und Perspektiven des Personalmanagements in Museen, hg. von Matthias Dreyer / Rolf Wiese, Ehestorf 2018, 45-73.

[5] Siehe die Meldung auf der Website von ICOM International, https://icom.museum/en/news/the-icom-advisory-council-selects-the-museum-definition-proposal-to-be-voted-in-prague/ (letzter Zugriff 30.05.2022).

Dorothee Haffner